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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

goldne Fahne mit der Aufschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ gehißt hatte. Und jetzt: wenig Tage nach dem Sieg der Februarrevolution bekamen die vierhundert Mannheimer Bürger, welche als Deputation mit der ersten Sturmadresie nach Karlsruhe zogen, bei der Abreise auf dem Bahnhof von begeisterten Frauen die Brust mit schwarz-rot-goldnen Schleifen geschmückt, ohne daß die Polizei eingriff. Am 9. März wehte bereits vom Frankfurter Bundespalais eine mächtige Fahne in den vom selben Bundestag so schwer verpönten Farben hernieder, und dieser erklärte dieselben für das Abzeichen der neuzubegründenden Nationaleinheit. Am 21. März ritt dann gar der preußische König in schwarz-rot-goldnem Schmuck durch die Straßen Berlins, das preußische Militär erschien mit der in unserem Initial abgebildeten deutschen Nationalkokarde am Helm, und nun stolzierten mit ihr auch alle einher, die bisher die hartnäckigsten Reaktionäre gewesen waren und das Auftauchen der Kokarde zuerst als revolutionären Greuel grimmig verabscheut hatten. Und nach dem Verlauf weniger weiterer Tage konnte das Volk von Wien ein vom Stephansdom herabwallendes Riesenbanner in Schwarz-rot-gold jubelnd als Zeichen begrüßen, daß auch Kaiser Ferdinand seine Zustimmung zu dem Einigungswerk erteilt habe, von dem das Wiener Regierungsblatt jetzt selbst erklärte, daß es von den Vertretern des deutschen Volkes auszugehen habe.

J. B. Bekk.

Großherzog Leopold von Baden.
Nach der Lithographie von J. Grund.

Der wunderbare Siegeszug, den die deutsche Reichsidee in dieser Zeit der Märzstürme und Märzerrungenschaften durch sämtliche Länder des in seinen Grundfesten wankenden Deutschen Bundes vollführte, läßt sich nicht besser verdeutlichen als an diesem Triumph ihres Symbols, des Schwarz-rot-golds der deutschen Burschenschaft. Von diesem Siegeszug schrieb am 19. März Gervinus in der „Deutschen Zeitung“ mit Recht, daß etwas Aehnliches in der Geschichte noch nie erlebt worden sei. Denn was sei der Sieg der Revolution in Paris gegen „diesen unblutigen Triumph des Geistes in dreißig bis vierzig Staaten, wo nicht Eine Form und Ein Geist der Regierung, sondern dreißig bis vierzig ganz verschiedene Elemente von Menschen und Zuständen zu überwinden waren, und wo trotz dreißig Abweichungen der Stammsitte und der herkömmlichen staatlichen Isolierung der Eine Volksgeist Herr geworden ist über allen Partikularismus und den kleinen Kranz von Forderungen überall durchgeführt hat, zu denen Bedürfnis, Einsicht und Ehrgefühl das deutsche Volk reif und fähig gemacht.“

So schrieb Gervinus in stolzer Freude, während die Nachricht von dem nun doch noch in Berlin zum Ausbruch gelangten Straßenkampf nach dem deutschen Süden bereits unterwegs war, den Jubel über den „unblutigen Triumph des Geistes“ zu dämpfen.

Die Deputation der Mannheimer Bürger wird bei der Abreise von Damen
mit schwarz-rot-goldnen Schleifen geschmückt.

Geschwankt zwischen dem Ausbruch des Bürgerkrieges und der friedlichen Lösung hatte aber das Zünglein der Wage überall in Deutschland, bevor es zu den Jubel- und Eintrachtsfesten kam. Nach den ersten Nachrichten vom Sturz des „Julithrons“ wurde in den Residenzstädten die Garnison konsigniert, die Schloßwache verstärkt, mehr Truppen wurden in die Hauptstadt gezogen, an die Soldaten scharfe Patronen verteilt. Im Volke kam es zu stürmischen Auftritten; in den ersten Versammlungen erklang der Ruf Republik; das Verlangen nach Volksbewaffnung führte hier und da zu Angriffen auf Zeughäuser und Waffenläden, in den Wohnungen verhaßter Minister wurden die Fenster eingeworfen, auch in Brandstiftungen äußerte sich der Fanatismus des Pöbels. Auf dem Lande machten in einzelnen Gegenden, namentlich in Franken, dem Schauplatz des großen Bauernkriegs von 1525, darbende Bauern gewaltsame Angriffe auf die Rentämter ihrer Fronherren. Aber das erste Ueberschäumen der Volksleidenschaften fand überall sogleich seine Grenzen in einer zielbewußten Aktion des Bürgertums von zwar drohendem, aber doch gesetzmäßigem Charakter. Dieselben Ereignisse in Frankreich, welche überall in deutschen Landen die vorhandene Unzufriedenheit zu dem Verlangen entflammten, jetzt endlich auch die so lange vergeblich erbetenen Rechte und Erleichterungen mit Gewalt zu ertrotzen, beschworen ja gleichzeitig für das gesamte Vaterland Kriegsgefahren herauf. Und diese mäßigten im Bürgertum den revolutionären Drang zu dem patriotischen Verlangen: zugleich mit der Freiheit im Gesamtvaterland einen Zustand herbeizuführen, kraft dessen es „in Eintracht stark“ ohne fremde Hilfe dem drohenden Angriff Frankreichs siegreich begegnen könnte.

Nicht mit Waffen, sondern mit Adressen wandte man sich, nach dem sofort in Baden gegebenen Beispiel, gegen die Regierungen zur Abschüttelung des längst unerträglichen Joches. In Versammlungen von gewaltigem Umfang, zu denen das erregte Landvolk von allen Seiten herzuströmte, wurden die Forderungen des Volkes unter Hinblick auf die Kriegsgefahr stürmisch geäußert. Die bewährtesten Wortführer der Volksinteressen in den Kammern und in der Presse gaben denselben Form und Richtung. Es trat in Erscheinung, was Welcker in seiner Rede vom 12. Februar offen verkündigt hatte: daß in allen Teilen Deutschlands Männer des öffentlichen Vertrauens bereit seien, beim Ausbruch der unausbleiblichen Krisis im Sinne der Bundesreform durch ein Deutsches Parlament

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0148.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)