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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Der Stern Sirius.

Von Dr. H. J. Klein.

Es giebt unter den Sternen wie unter den Menschen Große und Geringe, Berühmte und Unberühmte, solche, die einen weitbekannten Namen haben, und andere, von denen im allgemeinen nicht viel oder nichts zu sagen ist. Die Zahl der letzteren ist am Himmel wie bei den Menschen auf der Erde die bei weitem größte. Zu den Sternen, die einen altberühmten Namen tragen, gehört Sirius; ja wie er der hellste ist, so kann man ihn mit gutem Recht auch wohl als den interessantesten aller Fixsterne bezeichnen, die an der nächtlichen Himmelsdecke glänzen und den Blick des Beschauers auf sich lenken.

Wer in einem kleinen Orte wohnt und häufiger das Auge zum Sternenhimmel emporwendet, kennt den Sirius gewiß, denn er ist unter den funkelnden Sternen des Himmels bei weitem der glänzendste. Der Stadtbewohner wird ihn aber auch leicht auffinden, wenn er Mitte Februar abends zwischen 9 und 10 Uhr den Blick genau nach Süden wendet und gegen den Horizont hinschaut. Der funkelnde Stern, der sich dann dort zeigt, ist eben der Sirius. Mitte April geht dieser Stern schon zwischen 8 und 9 Uhr am westlichen Himmel unter; Mitte November dagegen wird er zwischen 11 und 12 Uhr abends am Osthimmel wieder sichtbar und geht immer früher auf, so daß er Ende Januar schon vor 8 Uhr abends hell strahlend am südöstlichen Himmel gesehen werden kann.

Dieser Stern Sirius spielt schon in den frühesten Zeiten der menschlichen Kultur eine große Rolle. Im alten Aegypten begann seine erste Sichtbarkeit morgens vor Sonnenaufgang um die Zeit, wo die Überschwemmung des Nils, von der die Fruchtbarkeit des Landes abhing, ihre volle Höhe erreicht hatte. Dieses Zusammenfallen des Siriusaufgangs mit dem Tage der „Verkündigung der Nilflut“ war natürlich nur ein Zufall und findet schon längst nicht mehr statt, allein im alten Aegypten glaubte man an einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem Hervortreten des funkelnden Sterns und dem Austreten des Nils, und man bestimmte aus seinem Sichtbarwerden auch die Jahresdauer. Der Sirius wurde zum Herrn des Jahres erhoben und der Tag seines Frühaufgangs auf den 15. des Monats Thot festgestellt. Nun beträgt aber, wie wir wissen, die Jahresdauer nicht genau 365 Tage, sondern noch 6 Stunden darüber, und diese Stunden mußten in irgend einer Weise berücksichtigt werden, wenn im Laufe der Jahrhunderte der Siriusaufgang stets auf den 15. Thot fallen und die Jahreszeiten an den Monaten haften sollten. Wie dies bewerkstelligt wurde, war ein Geheimnis der ägyptischen Priester, welches erst durch neuere Forschungen aufgedeckt worden ist. Es war indessen einfach genug und konnte nur da verborgen bleiben, wo die große Masse des Volkes und selbst die Gebildeten sich um die Zeitrechnung durchaus nicht kümmerten. Die ägyptischen Priester zählten nämlich alle 4 Jahre den Tag des Siriusaufgangs, den 15. Thot, doppelt, rechneten aber diesen Doppeltag nur für einen einzigen Tag. Dadurch gelang es ihnen, die Jahresrechnung mit der Bewegung der Sonne und des Sirius in Uebereinstimmung zu erhalten, und es ist wahrscheinlich, daß diese ägyptische Jahresrechnung bis ins achtzehnte Jahrhundert vor Christus hinaufreicht.

Diese Jahresrechnung fand auch später Julius Cäsar noch vor und er legte sie seiner neuen Kalenderrechnung zu Grunde, nur mit dem Unterschied, daß er alle 4 Jahre statt der Doppelzählung eines Tages einen Schalttag einfügte. Das erste Julianische Jahr begann mit dem 1. Januar 45 vor Christus und das damalige ägyptische Jahr war ein Jahr mit Doppelzählung des 15. Thot. Diesen hat Cäsar sogleich berücksichtigt, indem er seine neue Jahresrechnung mit einem Schaltjahr begann. Heute gilt bei uns der Gregorianische Kalender; da derselbe aber den Schaltkreis von 4 Jahren nicht verändert hat, so bildet also die altägyptische Kalenderregulierung noch gegenwärtig die Grundlage unserer Schaltung. In so inniger aber weit zurückreichender Beziehung steht der funkelnde Stern Sirius zu unserer heutigen Kalenderrechnung!

Betrachten wir diesen glänzenden Stern an einem recht klaren, mondscheinfreien Abend genauer mit bloßem Auge, so sehen wir, daß er von bläulicher Grundfarbe ist, aber ununterbrochen funkelt und dabei wie ein Diamant in allen Farben des Regenbogens vorübergehend glänzt. Diese Farbenstrahlung und dieses Funkeln sind indessen keine Eigentümlichkeit des Sternes selbst, sondern werden lediglich durch die Erdatmosphäre hervorgerufen. Könnten wir die Sterne von einem Standpunkt aus betrachten, der völlig luftfrei wäre, so würden sie alle in ruhigem klaren Licht glänzen. Das Licht des Sirius ist wie erwähnt bläulich im Vergleich zum Sonnenlichte. Dies hat sich mit Sicherheit aus der Untersuchung desselben mit Hilfe des Spektroskops ergeben, eines Instrumentes, welches das Licht der Sonne und der Sterne in ein farbiges Band, das sogenannte Spektrum, zerlegt. Das Sonnenspektrum zeigt alle Farben des Regenbogens von Rot bis zu Violett und es ist mit einer großen Anzahl dunkler Linien durchzogen, von denen viele in den blauen und roten Teilen desselben auftreten. Dadurch gewinnt der gelbe Teil ein gewisses Helligkeitsübergewicht und das Licht der Sonne ist ein wenig gelblich. Im Spektrum des Sirius sieht man auch zahlreiche dunkle Linien, aber sie sind feiner als diejenigen des Sonnenspektrums und im Blau weniger zahlreich. Der Gesamteindruck des Siriuslichtes ist daher ein bläuliches Weiß. Aber noch mehr! Wie die Spektralanalyse lehrt, werden die dunklen Linien des Sonnenspektrums durch gewisse Metalle hervorgerufen, welche als glühende Nebel in der Sonnenatmosphäre sich befinden, so daß man aus der Anwesenheit bestimmter Liniengruppen auf die Anwesenheit jener Metalle in der Sonne schließen kann.

Genau das nämliche gilt auch für das Spektrum des Sirius und die Untersuchungen haben ergeben, daß auf diesem Stern unzweifelhaft Eisen, Magnesium, Natrium und mehrere andere metallische Körper im Zustande glühenden Dampfes vorhanden sind. Diese Entdeckungen reichen nun schon mehrere Jahrzehnte zurück, aber in der jüngsten Zeit hat die Spektralanalyse noch weitere Fortschritte gemacht, die uns Aussichten in den Entwicklungsgang der Sterne verschafften, an die niemand hätte denken können. Das Aussehen des Spektrums giebt nämlich auch Aufschluß über die Höhe der Temperatur, welche auf jenen Sternen herrscht. Wie viele Grad dieselbe beträgt, ob 10000 oder 100000 Grad, wissen wir zwar zur Zeit noch nicht, wohl aber ist unzweifelhaft geworden, daß die Sterne, welche ein Spektrum wie Sirius zeigen, im allgemeinen für heißer zu halten sind als diejenigen, deren Spektrum demjenigen unserer Sonne gleicht. Sonach ist Sirius also ein Weltkörper, dessen Glut die Hitze unsrer Sonne erheblich übertrifft, und wenn die Erde sich um ihn bewegte in dem gleichen Abstände wie jetzt um die Sonne, so würde ihre ganze Oberfläche von den glühenden Strahlen des Sirius verbrannt und zu einer toten Wüste werden.

Solcher größeren Glut des Sirius entspricht wohl auch eine höhere Leuchtkraft. Um diese Vermutung zu prüfen, müßte man wissen, wie groß die Entfernung des Sirius von der Erde ist.

Diese Entfernung muß freilich von vornherein als eine über alle Vorstellung hinaus große betrachtet werden, denn selbst im stärksten Fernglase zeigt sich Sirius – wie alle übrigen Fixsterne auch – als Punkt. Außerdem hat sich in den spektroskopischen Messungen zu Potsdam herausgestellt, daß dieser Stern sich der Erde mit einer Geschwindigkeit von 2,1 Meilen in der Sekunde nähert. Er hat also seit den Zeiten der Römer seine Entfernung von unsrer Erde um 120 000 Millionen Meilen vermindert, ohne daß er dadurch aber merklich Heller oder größer geworden wäre. In der That ist die Entfernung des Sirius so unermeßlich groß, daß es erst in der neuesten Zeit mit Hilfe der feinsten Meßinstrumente den Astronomen gelang, sie festzustellen.

Sie ist hiernach fast genau eine Million mal größer als die Entfernung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0114.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2020)