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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

der engen Taille, die ein Leipziger Schneider nach neuester Mode anfertigte.

„Gefällt sie Ihnen? Ja? Gefällt sie Ihnen?“ jubelt da eine helle Stimme, und aus dem angrenzenden Gemach kommt im weißen Kaschmirkleid, das ohne jeden Schmuck in weichen Falten um den entzückenden Mädchenleib sich schmiegt – Edith – Edith so unsagbar reizend, daß er seinen Augen nicht traut. Wie wundervoll der zierliche Hals das Köpfchen trägt, wie köstlich das schwarze Haar absticht gegen das elfenbeinerne Weiß des Kleides! „Ja? Gefällt sie Ihnen?“ ruft sie noch einmal und umhalst Christel, „ich habe sie aber auch frisiert, denken Sie, Herr Mohrmann!“ Und Christel steht da, errötend wie ein junges Mädchen, und wartet auf ein Lob aus ihres Gatten Munde, und als er schweigt und sie die Augen hebt, kehren eben langsam seine Blicke von Edith zu ihr zurück.

„Sehr nett! Sehr nett, liebe Christel,“ stottert er, „und die Tafel? Kann ich rasch noch die Tafel sehen?“

Edith läuft wie ein Kind voraus. „O, Sie werden staunen!“ ruft sie. Und wirklich, als er in das Tafelzimmer tritt, sagt er befriedigt: „Ah! das lasse ich mir gefallen!“

Das köstliche alte Meißener Service auf blendendem Damast, Blumenschalen, Krystallschüsseln mit eingelegten Früchten, und auf schweren silbernen Armleuchtern, die Anton beim Kauf mit übernahm, schlanke weiße Kerzen. Möglich, daß die anderen neuere zierlichere Geräte haben, mehr Kinkerlitzchen, aber gediegener sieht es hier aus, wirklich gediegen.

„Nun?“ fragt Edith, „bedanken Sie sich nicht bei Frau Christel?“

Er reißt abermals die Blicke von ihr los und nickt seiner Frau zu, die im Rahmen der Thür stehen geblieben ist. „Sehr nett, sehr nett, Christel; und Sie, gnädiges Fräulein, Sie haben natürlich geholfen, also auch Ihnen Dank!“ Dann geht er rasch zurück, denn eben hört er über den Flur schon Stimmen seiner Gäste, und Christel und Edith folgen ihm.

Christel hat so etwas wie Lampenfieber und fühlt sich unsagbar angegriffen. Etwas linkisch wird ihre Verbeugung, und ihre Unterhaltung ist etwas unbeholfen, die konventionellen Redensarten sind ihr fremd. Sie hält Edith krampfhaft an der Hand, und das schöne kindliche Geschöpf in seiner natürlichen Anmut läßt sie noch ungewandter erscheinen. Bei Tische – sie hat den Ehrenplatz zwischen dem Altwitzer Grafen und dem Landrat von Logow – vergißt sie vor Angst, zu prüfen, ob auch die Gerichte gut zubereitet sind, die höflichen Fragen der Herren zu beantworten; auf ihrem Gesicht wechseln Röte und Blässe, hilfesuchend irrt ihr Blick zu Anton. Endlich beruhigt sie sich etwas; Graf Altwitz bringt die Rede auf Edith, da kann sie mitsprechen und warmes Lob fließt über ihre Lippen.

„So natürlich und liebenswürdig, so anhänglich ist Fräulein von Ebradt, mein ganzer Trost in diesem großen einsamen Hause,“ sagt sie.

„Der Trost Ihres Herrn Gemahls wohl auch?“ fragt mit völlig harmlosem Ausdrucke der als bösartig bekannte Landrat.

Christel sieht ihn groß an, und von ihm zu Edith. Anton und Edith, die sich gegenübersitzen, trinken sich eben zu. „Gewiß,“ sagt sie dann ruhig, „Sie wissen wohl, Herr Landrat, wir haben keine Kinder, da ist die Freude an solch liebem Geschöpf nur natürlich.“

„He – Scherbitz,“ flüstert jetzt leise der Landrat, der Edith unverwandt betrachtet, seinem Nachbar zu, „finden Sie nicht, daß Fräulein von Ebradt auffallend der Adoptivtochter von Neussens ähnlich sieht?“

„Hat denn Neussen ein Kind adoptiert?“ fragt der andere laut zurück.

„Ja, freilich! Wissen Sie denn das nicht? Und zwar – höchst romantisch – das Kind einer spanischen Zigeunerin, das sie auf ihren Reisen irgendwie und -wo gefunden haben.“

„Ja, versteht sich, das ist längst bekannt; ebenso sind es die kostbaren Anekdoten, die das Bändigen der Kleinen liefert,“ sagt ein vierter. Und jetzt schwirrt ein allgemeines buntes Gespräch über dieses Thema durch den Saal. Reizende Streiche des Kindes, auch wieder bedenkliche Momente aus der ersten Zeit seines Aufenthaltes in der Familie werden zum besten gegeben. Den Unterschied von Mein und Dein habe sie gar nicht begriffen, die kleine Schönheit mit den Murilloaugen, Kratzen und Beißen sei an der Tagesordnung gewesen, und als mal die Rute habe in Kraft treten sollen, sei sie auf die schmale Brüstung des Balkons gesprungen mit blitzenden Augen und geballten Fäusten, bereit, sich jeden Augenblick auf das Pflaster zu stürzen; von den regelmäßig wiederkehrenden Fluchtversuchen gar nicht zu reden.

„Wie kamen denn die Leute auch gerad’ auf solches Kind?“ fragt einer.

„Neussen ist eben ein Schönheitsfanatiker,“ sagt der Landrat und streift Ediths köstlich amüsiertes Gesichtchen.

„Aber bedenkt Herr von Neussen denn nicht die Konsequenzen?“ tönt jetzt Antons tiefe Stimme laut. „Mein Gott, was kann er erleben an solchem Kinde! Ich bin ein abgesagter Gegner von Adoption überhaupt, in diesem Falle erkläre ich sie für Wahnsinn.“

Christel ist es, als solle sie ohnmächtig werden bei diesen Worten. „Aber,“ wagt sie mit zitternder Stimme zu sagen, „wenn die Eltern des Kindes bekannt sind als rechtschaffene Leute, und – –“

„Gleichviel,“ erklärt ihr Mann, „es ist doch etwas Fremdes. Niemals kann ein solches Kind Ersatz sein für eigenes Fleisch und Blut.“

Ein Weilchen noch dreht sich das Gespräch um dieses Thema, dann wechselt es. Es wird lebhafter an der Tafel, nur Christel sitzt sprachlos wie ein Automat. „Ich bin ein abgesagter Gegner von Adoption“ – weiter hört und fühlt sie nichts. Ihre Nachbarn haben es längst aufgegeben, sich mit ihr zu unterhalten – sie antwortet gar nicht. Dahin – ihre Pläne, dahin alles lachende Zukunftsglück; einsam weiter, immer einsamer, denn Antons Herz ist nicht mehr dasselbe! Eine Last fühlt sie plötzlich auf sich, eine furchtbar schwere Last.

„Gnädige Frau,“ sagt der Landrat jetzt, „Ihr Herr Gemahl wünscht, glaube ich, Ihnen irgend etwas anzudeuten.“

Sie blickt hinüber zu Anton, er macht eine kaum merkliche Bewegung gegen die Thür. Ach ja, Butter und Käse ist längst genossen – sie soll die Tafel aufheben. Träge, als versagten die Glieder ihr den Dienst, erhebt sie sich. Ein allgemeines Rücken der Stühle, Händeschütteln, Verbeugungen vor Christel und Edith, die an ihrem Arme hängt, dann zieht sich der Schwarm ins Nebenzimmer zurück.

„Sorge für Kaffee, Liqueur und Bier,“ flüstert Anton ihr zu. Mechanisch geht sie hinaus in die Küche. Edith hat ihr vorhin einen Kuß gegeben und ist dann, ein Liedchen trällernd, die Treppe hinaufgesprungen.

Christel sitzt, nachdem der Kaffee hineingesandt, in der Hinterstube, wo die Lampe noch nicht brennt, im Lehnstuhl am Ofen. Ihre Hand gleitet unaufhörlich über den glatten weichen Atlas ihres Kleides. Der Kopf schmerzt so furchtbar, ihr ist, als werde sie krank; vielleicht, vielleicht stirbt sie und – Anton – –. Sie lacht plötzlich und dann kommt ein stechender körperlicher Schmerz am Herzen – da kann er ja die Edith heiraten, da wird alles Glück kommen!

Um Gottes willen, wie bitter macht sie der Schmerz, den ihre erstorbene Hoffnung in ihr zurückließ! Trägt er denn nicht dasselbe Leid wie sie? Ach, sich nur einmal aussprechen können, so von Herzen zum Herzen! Aber er weicht ihr förmlich aus, selbst in der vertrautesten Stunde fühlt sie, daß zwischen Seele und Seele nicht die Brücke geschlagen ist, auf der sich rückhaltloses Vertrauen begegnen kann. Er war ja auch früher nie so, aber sie hat es nur nicht so vermißt wie jetzt. Wann hätte er je mit ihr über etwas anderes gesprochen als über wirtschaftliche Fragen oder – über Alltagsdinge! Er hatte vielleicht geglaubt, darüber hinaus verstehe sie nichts! Aber er hatte auch nicht einmal den Versuch gemacht, das zu ergründen!

Und nun sollten sie so nebeneinander weiter wandern durch den Staub und die Alltäglichkeit des Lebens, ohne einen gemeinsamen Punkt, auf dem ihr beiderseitiges Interesse zusammentrifft?

Ein bitteres Schluchzen überfällt sie plötzlich. Herrgott da droben, warum hast du mir das versagt, was du dem hungernden, dem schlechtsten Weibe von der Straße giebst, die noch flucht über den Segen und wünscht, daß er verderbe!

Ach, das Weinen thut ihr heute nicht gut, bringt ihr keine Erleichterung! Wie furchtbar der Kopf schmerzt! – Sie geht in das Schlafzimmer, taucht ein Tuch in kaltes Wasser und legt es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0102.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)