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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Ihnen die Suppe eingebrockt und muß sie Ihnen nun auslöffeln helfen. Das ist nur gerecht. Also – dieser Augenblick – diese einzige, nächste Viertelstunde entscheidet, meiner unmaßgeblichen Ansicht nach, in mehr denn einer Hinsicht über Ihr ganzes, künftiges Leben!‘ – Ich wollte sie unterbrechen, aber sie legte den Finger auf den Mund, und ich schwieg wohlerzogen.

Daß Ines Ihnen verzeiht,‘ fuhr die Tante bedächtig fort, ‚heut’ oder morgen – das halt’ ich für ausgemacht, denn sie ist ein gutes Kind und hat Sie lieb! Aber wie sie Ihnen verzeihen wird – da sitzt jetzt der Haken. Sie sind ja der Schuldige, daran läßt sich nichts drehn und deuteln. Aber die ganze Geschichte war doch, im Grunde genommen, nur ein schlechter oder – guter Witz und eine ganz gerechte, kleine Strafe dafür, daß Sie eine lange Zeit hindurch recht minderwertig von ihr behandelt worden sind. Also sie muß jetzt nachgeben – – – und mit Humor nachgeben – sie muß die Lächerlichkeit der Sache einsehn! Denn das sage ich Ihnen, ehrlich und ohne Hinterhalt, Rotenberg – das macht mir, wie ich Sie kenne, manchmal ein bißchen Sorge für Ihre Zukunft, daß Ines vorderhand noch nicht so recht über einen dummen Witz lachen kann – und das könnte Ihnen, der Sie doch eigentlich aus dummen Witzen zusammengesetzt sind –‘

‚Danke!‘ sagte ich herzlich.

‚Bitte!‘ erwiderte die Tante trocken, ‚ich meine, das könnte Ihnen im späteren Leben oft recht peinlich sein. Also gehen Sie ihr jetzt mal nach! Sie sitzt, wie ich sie kenne, in meinem kleinen Boudoir; da hat sie sich schon manchmal ausgeärgert, wenn Sie ihr wieder etwas Vermeintliches oder Wirkliches angethan hatten. Klinken Sie! Ist’s zu, dann klopfen Sie – laut und tüchtig – und hilft das auch noch nichts – dann reden Sie durch die Thür. Ich warte.‘

Und die Alte lehnte sich bequem im Stuhl zurück, drehte die Daumen mit rasender Schnelligkeit umeinander und schien zu Ende mit ihrer Weisheit.

Ich stand schweigend und starrte auf meine Stiefelspitzen, als wenn ich sie noch nie gesehen hätte und mir den hübschen Anblick so recht einprägen wollte.

Nach einer Weile, als sich gar nichts begab, sah die Tante in die Höhe.

‚Na?‘ sprach sie gedehnt und vorwurfsvoll und zerrte die eine Silbe so lang, als wenn sie vom besten Gummielastikum hergestellt worden wäre.

‚Ich kann nicht!‘ sagte ich verzweifelt, ‚schicken Sie mich in ein brennendes Haus – in die Bataille – zum Zahnarzt – es soll am Tell nicht fehlen! – aber zu einer beleidigten Braut! – Die Situation ist mir noch so sehr neu!‘ setzte ich flehend hinzu.

Die Tante warf mir einen Blick zu – einen einzigen! – aber der einzige sprach Bände! –

Und dann nannte sie mich zum erstenmal im Leben ‚du‘ – und von da an immer!

‚Ach, du unseliges Huhn,‘ sprach sie mit tiefem Mitgefühl, ‚wie wird es dir als Ehemann ergehen!‘

Dann stand sie auf und ging hinaus – ich hörte sie eine ganze Weile an der Klinke arbeiten – ich hörte ein dumpfes Gemurmel – ein leises Schluchzen – ich kam mir vor wie ein raffinierter Mörder und sonstiger Verbrecher – und ich büßte in den zehn Minuten wirklich alle vergangenen und begangenen Sünden ab – und noch ein paar zukünftige auf Vorrat. Aber eine innere Stimme sagte mir: ‚Landgraf, werde hart, – giebst du jetzt klein bei, so giebst du’s durch dein ganzes Leben‘ – und der Gedanke hatte immerhin seine zwei Seiten, selbst für einen so freudeglitzernden Bräutigam, der freilich im Augenblick eher alles andere that wie glitzern.

Na – alles nimmt ein Ende, das sollte ich auch erfahren und erleben.

Ich hörte – ganz gemein horchend, wie ich zu meiner Ehrenrettung nicht verschweigen will! – also ich hörte, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde, und nach wenig Augenblicken erschien die Tante und zog Ines hinter sich her wie ein Lämmchen zur Schlachtbank. Sie – Ines – hatte rotgeweinte Augen und sah mich zunächst überhaupt gar nicht an – wollte es wenigstens entschieden nicht; als ich aber, wie ein rechter, armer Sünder, mit hängenden Ohren dastand und gar nichts sagte, flitzte es wie ein Lächeln über ihr Gesicht – der erste, kleine Sonnenstrahl nach dem Frühlingsregen – sie hielt mir die Hand hin und sagte: ‚Meinetwegen – da will ich nur wieder gut sein – aber eine Scheußlichkeit war’s doch!‘

Und die war’s ja auch!




Wenn mich nun jemand fragen sollte, wie die Kur der Tante im Verlauf der Zeit sich bewährt hat – selbige Tante erschien übrigens auf unserem Polterabend im Hexenkostüm, als ‚ich‘, wie sich eigentlich von selbst versteht! – also wenn mich nun jemand fragen sollte, ob Ines im späteren Leben immer nachgegeben hat und ob ich gar nicht unter den Pantoffel gekommen bin, dem erwidere ich stolz und selbstzufrieden – – nein, dem will ich lieber antworten, daß ich es gar nicht liebe, wenn sich jemand in meine Privatangelegenheiten mischt; es geht ihn ja doch im Grnnde auch wirklich gar nichts an!“




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0092.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2019)