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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

in die Finger stach und rot wurde – kurz, ich opferte mich auf dem Altar geselliger und ästhetischer Genüsse – aber ich kam anscheinend um keinen Schritt vorwärts.

Fräulein von Stettendorf, die ich nur in flüchtigen und seltenen Augenblicken allein sprechen konnte, half mir auch nicht auf die Sprünge – und wenn ich verzweifelt klagte: ‚Ich werde nicht klug aus der ganzen Sache,‘ dann erwiderte sie mir sehr entmutigend: ‚Ich auch nicht!‘ – was mir nicht viel helfen konnte. –

So kam der Maskenball näher und näher, und die Kostümangelegenheit blieb mir über der Herzensangelegenheit unentschieden. Es war mir wirklich und wahrhaftig gar nicht nach Verkleiden und Scherzen zu Sinn und ich ging ernstlich mit dem Gedanken um, am Ende die Sache ganz aufzugeben – entweder gar nicht oder in einem dunklen einfachen Domino auf den Ball zu gehen, um die Rolle des unbeachteten Zuschauers zu spielen, zu der ich überhaupt im Leben verurteilt zu sein schien.

Denn den Ausweg, den ein guter Freund von mir in solchem Maskendilemma ergriffen hatte, der unmaskiert mit einem Fünfzigthalerschein in der hochgehobenen Rechten auf einen Kostümball ging und infolgedessen von niemand erkannt wurde, da kein Mensch ihn jemals im Besitze von barem Gelde gesehen hatte – diesen Ausweg hätte ich freilich zeitweise auch ergreifen können, aber vielleicht gerade damals nicht – kurz, er war ausgeschlossen!

Ich wollte schließlich die ganze Maskenballangelegenheit davon abhängig machen, wie mich Ines in den letzten Tagen vor dem Feste behandeln würde. Denn fuhr sie fort, derartig gleichgültig und abweisend sich gegen mich zu verhalten, so hatte der Spaß überhaupt für mich keinen Sinn und ich fand besseres zu thun, als mich mit fremden, gleichgültigen Gänschen im Takte zu drehen, was mir ohnehin schon nach acht durchtanzten Wintern überdrüssig geworden war.

Wir hatten prachtvolle Schlittschuhbahn in jener Zeit, und ich stellte mich als Matador in dieser wie in manchen anderen brotlosen Künsten fleißig auf der Eisfläche ein. Ich hatte auch schon das Glück genossen, mit meiner blondgezopften Schönen dort herumzugleiten und sie im Stuhlschlitten zu schieben, was zu meiner Zeit eine beliebte Aufmerksamkeit war – jetzt freilich bald in umgekehrter Folge stattfinden wird, da es ja heute Mode ist, daß die jungen Damen die Cour machen und die Herren es herablassend entgegennehmen. Na, so weit waren wir eben damals noch nicht!

Bei diesen gemeinsamen Fahrten taute, trotz Kälte und Eis, der Gegenstand meiner Anbetung etwas auf – wir sprachen dann über alle möglichen Themata zwischen Himmel und Erde – über Bücher und Bilder, über Menschen, Welt und Leben – und unsere Ansichten stimmten so gut überein, ihre liebliche, heitere Verständigkeit war so überaus anziehend, daß ich mir sehr oft auf die Zunge beißen mußte, um sie nicht zu fragen, ob wir denn diese Uebereinstimmung und Sympathie nicht durch einen gemeinsamen Lebenslauf statt Schlittschuhlauf besiegeln wollten.

Aber es ging mir nicht über die Lippen, so oft ich einen Anlauf nahm. Ich hatte ja noch immer nicht die leiseste Veranlassung, den geringsten Schimmer von Recht, anzunehmen, daß ich ihr nicht völlig gleichgültig wäre – und ich meine, es gehört schon ein Geck erster Qualität dazu, einem Mädchen seinen Antrag zu machen, ehe er im geringsten gemerkt hat, was für ein Gesichtchen sie dazu ziehen wird.

So blieb denn vorläufig alles beim alten.

Ich hatte es bisher jeden Tag so einzurichten gewußt, daß ich mit Ines gleichzeitig auf dem Eise erschien, mit ihr ein halbes Stündchen auf und ab lief und dann gleichzeitig mit ihr den Schauplatz des Winterpläsirs verließ. Freilich mußte ich mich immer schon an der Treppe von ihr verabschieden, da sich das nicht anders geschickt hätte. Heute, am Tage vor dem vielbesprochenen Ball wartete ich nun schon geschlagene zehn Minuten auf meine Göttin, fuhr in meiner erwartungsvollen Verfassung eine kunstvolle ‚Acht‘ nach der andern, sah die blitzende Fläche spiegelblank und lockend vor mir liegen, und als noch fünf Minuten hingeschlichen waren, sagte ich mir, Ines werde wohl heute nicht kommen. Ich verbeugte mich frischweg vor einer niedlichen, schwarzäugigen Ratstochter, mit der es sich sehr nett plaudern ließ und die auch auf Schlittschuhen sich gewandt zu bewegen verstand. Surr! flogen wir Hand in Hand miteinander dahin – dazu wurde noch eben von der Stadtkapelle ein deliciöser Walzer intoniert – und die Sache war nicht ohne Reiz.

Es ist immer mein besonderes Pech gewesen, daß ich in meiner ganzen Art und Haltung etwas Hofierendes und Huldigendes gehabt habe – auch, wo ich es gar nicht wollte.

Zahllose Male hat man mir nach irgend einem sterblich ledernen Kommißpecco, auf dem ich alle zehn Minuten nach der Uhr sah und am Leben verzagen wollte, hinterher gesagt: ‚Na, Rotenberg, Sie haben aber wieder einmal flott die Cour geschnitten!‘ und meine Seele hatte nicht daran gedacht!

Daß man aber, wenn man mit einem hübschen Mädchen Schlittschuh läuft, sich fidel und lebhaft unterhält, daß man über nichts und wieder nichts ins Lachen kommt, das ist ja doch kein Unglück und kein Verbrechen – nicht wahr? Allein mir sollte es zum Verderben gereichen! Denn als ich mitten im muntersten Geplauder mit meiner kleinen Demoiselle bin und wir so recht wie zwei Schmetterlinge auf Stahlschuhen einhergaukeln und schaukeln, bei den Klängen der ‚Schönen blauen Donau‘, die damals Hauptwalzer war – da sehe ich plötzlich die großen Augen von Fräulein Ines so finster auf mich geheftet, daß ich einen förmlichen Schreck bekam und mir wirklich gar nicht zu erklären wußte, was ich denn eigentlich verbrochen hatte.

Die ungnädige Göttin schien eben erst gekommen zu sein. Sie hatte in einem der Stuhlschlitten Platz genommen und ein zerlumpter Kerl von mörderischem Ansehen, wie sie in meiner Jugend sich durch Schlittschuhanschnallen ihr Brot zu verdienen pflegten, kniete ritterlich vor ihr auf der Erde und befestigte ihre Stahlschuhe, die notabene so klein waren, daß sie hätten als Berloque an der Uhr getragen werden können.

Ich konnte doch nun nicht augenblicklich meine Partnerin abschütteln wie eine überreife Pflaume, ich mußte anstandshalber noch einmal mit ihr die Bahn herunter fahren; dann murmelte ich ein paar Worte vor mich hin, von denen ich hoffen will, daß sie sie besser verstanden hat als ich – und verabschiedete mich von der kleinen Schwarzäugigen, um Fräulein Ines mein ganz devotestes Kompliment zu machen und sie zu fragen, ob sie mir wohl die Ehre erzeigen wollte, mit mir zu fahren.

Aber siehe da – das Fräulein erwiderte nur kurz und kühl: ‚Ich danke sehr – ich fahre heute nicht!‘ winkte ihrem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0084.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)