Seite:Die Gartenlaube (1898) 0083.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

so eifrig beraten wurde, daß mein Eintritt unbemerkt zu bleiben schien.

Die Nichte saß mit dem Rücken zu mir gewandt, aber ehe ich mir noch Zeit genommen hatte, mir die verwirrende Frage, ob wohl zwei Mädchen in Deutschland solche blonde Prachtzöpfe im Nacken trügen, mit einiger Deutlichkeit beantworten zu können, drehte die Eigentümerin der Zöpfe den Kopf – und da hatten wir die Bescherung!

Die Nichte und meine Prinzessin Ines waren ein und dieselbe, und der Blumenstrauß mit den überschwenglichen Redensarten, den ich heute abgeschickt hatte, stand preislich auf dem großen Sofatisch und war an die unrichtige, oder – wie man’s nehmen will – an die richtige Adresse gegangen!

Meine alte Freundin nickte mir zerstreut zu; Ines machte ihre mir nur zu wohl erinnerliche kleine Kopfneigung, und die Tante wollte mich eben vorstellen, als ich sie unterbrach: ‚Ich hatte schon in meiner vorigen Garnison die Ehre‘ – und mit ausgestreckter Hand, wie das damals eben erst Mode wurde, das Fräulein zu begrüßen gedachte.

Aber sie ließ die beiden Hände so schlapp an den Seiten des Kleides herunterhängen, als wüßte sie gar nicht, was sie mit diesen zierlichen Anhängseln eigentlich anzufangen habe, und sagte mit ihrer kühlen, klaren Stimme: ‚Danke sehr für die schönen Blumen, Herr von Rotenberg – es war sehr freundlich von Ihnen!‘ Die Tante sah starr und erstaunt von einem zum andern: ‚Was, ihr kennt euch schon? Und das hat mir keiner von euch gesagt?‘

Während ich den triftigen Grund, daß mir der Name des erwarteten Gastes nicht mitgeteilt worden sei, hervorbrachte, zuckte Ines nur in fluchtiger Verlegenheit die Achseln.

‚Es giebt ja mehrere des Namens in der Armee,‘ sagte sie – weiter nichts.

Inzwischen hatten die Tante und ich uns gegenseitig je einen Blick an den Kopf geworfen. Sie verstand sich vorzüglich auf diese Zeichensprache, und man kann es ihr nicht verdenken, wenn sie den ganzen Abend überaus pfiffig aussah und sich vorkam – ein Behagen, das ich ihr von Herzen gönnen konnte, wenn es mir auch leider versagt war, es mit ihr zu teilen.

‚Nun, und hier ist man schon in hochwichtigen Konferenzen mit der gütigen Fee Mode?‘ unterbrach ich endlich die beklommene Stille, die der ersten Begrüßung gefolgt war.

Aber Ines legte die Blätter, nach denen ich greifen wollte, rasch übereinander.

‚Das sind Damenangelegenheiten und Sie dürfen uns doch auf dem Ball nicht erkennen, Herr von Rotenberg,‘ sagte sie, nahm den ganzen Stoß Modebilder und ging damit hinaus.

Die Tante sah mich einen Augenblick sehr durchbohrend an, mit einem wahren ‚Röntgenblicke‘ würde ich sagen, wenn man von dergleichen damals schon gewußt hätte – und dann sagte sie, gewissermaßen als Antwort auf meine gänzlich ungesprochene Frage:

‚Ja, lieber Sohn, das ist eine eigene Sache! Das Prinzeßchen gefällt mir – gefällt mir sogar sehr gut; aber es ist ein kühles Nixchen, und ich habe in den drei Tagen erst ein einziges Mal Gelegenheit gehabt, mich über sie zu verwundern, was sonst, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen drei Tage im Hause ist, eher und öfter zu passieren pflegt.‘

‚Und worüber haben Sie sich gewundert, gnädigste Tante?‘ frug ich – denn den Namen gab ich ihr schon lange.

‚Ueber den finstern Zug von – ich hätte beinahe gesagt, verächtlichem Zorn, mit dem unser Fräulein heut’ das Bouquet in Empfang nahm und den ich mir im Augenblick gar nicht – jetzt schon ein bißchen besser, und nicht zu Ihren Ungunsten – zu deuten verstand,‘ fuhr Fräulein von Stettendorf in fliegender Hast fort, immer den Blick nach der Thür, durch welche die Besprochene ja im nächsten Augenblick herein kommen konnte, ‚ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll.‘

,Das passiert Ihnen doch sonst nicht so leicht?‘ warf ich lachend dazwischen. – Sie drohte mir mit dem Finger.

‚Artig!‘ sagte sie, ‚aber wissen Sie, Rotenberg, ich hatte das Gefühl, als wenn sie – falls man so sagen kann – auf sich selber eifersüchtig wäre – auf die Unbekannte, der da ein so effektvoller und gefühlvoller Gruß wie eine Bombe vor die Füße geflogen kam. Denn als ich frug: ‚Nun, was sagst du denn zu meinem galanten Pflegesohn, dem Lieutenant von Rotenberg?‘ da erwiderte sie – abermals mit jenem Zuge, dessen ich vorhin erwähnte: ‚Er mag wohl eben ein solcher Allerweltscourmacher sein, daß er sich für eine unbekannte, junge Dame sofort begeistern kann – eben weil’s eine junge Dame ist – und‘‘ – das alte, gute Fräulein stockte.

‚Und?‘ drängte ich, ‚da sagte sie doch gewiß noch irgend eine Teufelei – ich sehe es Ihnen an, Tantchen! Es ist gewiß das beste, ich weiß ganz genau, woran ich bin!‘

‚Und,‘ fuhr die Tante widerwillig fort, „und solche Leute sind gar nicht mein Genre‘ – das sagte sie, wenn Sie’s denn durchaus wissen wollen! Und da erwiderte ich – halten Sie sich mal die Ohren zu, Kindchen! – ‚Sieh’ ihn dir nur erst an!‘ – freilich ohne zu wissen, daß das schon lange besorgt war!‘ In dem Augenblick und während ich noch zweifelhaft und ungewiß vor mich niedersah, kam Ines wieder herein.

Sie warf einen kurzen, etwas fragenden Blick von mir zur Tante, und von der Tante zu mir, und schritt auf den Samowar zu, um den Thee zu bereiten.

Alle solche kleineren Aemter und Pflichten hatte sie als zeitweilige Haustochter mit einer allerliebsten Selbstverständlichkeit übernommen, das sah ich sogleich. Sie verwaltete sie mit ihrer vornehmen, graziösen Ruhe, die mir, wirklich ohne meinen Willen, der sich nachgerade gegen die fortgesetzte schlechte Behandlung aufbäumte wie ein Pferdchen gegen den Zaum, doch wieder und wieder das Herz abstehlen wollte, so daß ich mich förmlich zwingen mußte, nach einer anderen Richtung zu sehen.

Ihr gelang das besser – überraschend gut, und in einer für meine Eitelkeit sehr heilsamen Weise – ja, ich hatte ab und zu die Empfindung, als ob ich ungefähr so durchsichtig sein müßte wie das ‚bestgeputzteste‘ Fensterglas – ich kann nicht sagen, daß das gerade etwas sehr Behagliches hat.

Und dieser Zustand blieb während der sämtlichen Tage, die noch vor dem Maskenball vergingen, in unveränderter Weise fortbestehen. Ich ging nach wie vor – vielleicht noch ein bischen öfter als vor – im Hause meiner lieben, alten Gönnerin ein und aus – ich besorgte Theaterbillets für uns alle drei – ich gähnte mir als Musikketzer in zwei Symphoniekonzerten beinah’ die Seele aus – ich las mit Feuer und dem Brustton der Ueberzeugung Riehls Novellen und dann ‚Die bezähmte Widerspenstige‘ vor, wobei ich mir an besonders bezüglichen Stellen einen kleinen Seitenblick auf die reizende Widerspenstige mir gegenüber gestattete, die sich zu meiner inneren Genugthuung dabei mehrfach

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0083.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)