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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

bügeln läßt, und in der es so heimlich ist wie auf keinem Fleck der Welt.

Dann erscheint Frau Pastor mit dem kleinen Anton und dem jüngeren Mädelchen auf Besuch, und Christel freut sich über die Kinder, die sich einen großen Teller Waffeln gut schmecken lassen. Die Frau Pastor kommt im Auftrage ihres Mannes, der sehr beschäftigt ist; am Vormittag sei eine Frau bei ihm gewesen, Frau Rienhart, die um seine Vermittlung gebeten habe – sie bezog eine kleine Pension vom alten Baron von Wartau als Witwe eines Schloßbedienten, des früheren Kutschers, und Fräulein von Wartau kann dieselbe nicht mehr zahlen; ob Herr Mohrmann wohl etwas für die Frau thun wolle.

„Wieviel ist es denn?“ fragt Christel.

„Ja, da liegt eben der Hase im Pfeffer,“ erklärt Frau Pastor, „sie hat uns trotz allen Ausfragens die Höhe der Summe nicht bezeichnet. ‚Herr Mohrmann wird’s schon wissen‘ – ‚Herr Mohrmann wird’s schon machen‘ – natürlich in der Hoffnung, daß Herr Mohrmann etwas mehr giebt als der selige Baron.“

„Wart’ ein bißchen,“ sagt Christel, „Fräulein Tonette muß es wissen. Ich glaube übrigens bestimmt, daß Anton die kleine Verpflichtung übernehmen wird, er thut ja alles mögliche für die Wartaus, sie dauern ihn so schrecklich. Eßt, Kinder, iß doch, Charlotte, ich frage unterdes bei den Damen mal an; – Anto ist nicht zu Hause; wenn die Summe nicht zu hoch ist, kann ich wohl garantieren, daß er sie zahlt.“

Und Christel steigt die Treppe hinauf und klopft an Fräulein von Wartaus Zimmer. Eigentlich geht sie nie zu den Damen, nur im Fall einer Frage einmal; sie fühlt sich beängstigt in dem mit Möbeln und Bildern vollgepfropften Zimmer, dessen Luft erfüllt ist von einem eigentümlich süßen, schweren Parfüm, in dem sie nur mit Mühe atmen, nur mit leiser Stimme sprechen kann.

„Herein!“ ruft eine helle Mädchenstimme.

Christel tritt ein, ihr Fuß wurzelt fast an der Schwelle – das hat sie nicht erwartet! Am Kaminofen, vor dem ein kleines Etablissement von Sitzmöbeln um ein Tischchen arrangiert ist, dessen Platte eine rot verschleierte Lampe trägt, sitzt Fräulein Tonette im bequemen Sessel, zur Seite aber auf einem niedrigen Taburett – Anton und hält über den ausgespreizten Armen rotwollnes Garn, das Edith, vor ihm stehend, abwickelt; auf dem schönen Mädchengesicht liegt ein übermütiges Lachen.

Christels erstaunter Blick heftet sich auf Anton, und sie fühlt, daß sie rot wird. Er kommt ihr so unsagbar albern vor, der ernste Mensch in dieser tändelnden Situation. Sie hat nie den Mut gefunden, ihn um dergleichen zu bitten, nicht einmal in der kurzen Brautzeit.

„Aber so treten Sie doch näher, meine liebe Frau Mohrmann!“ ruft Fräulein Tonette. Edith hat inzwischen dem Manne das Knäuel zugeworfen und schiebt einen Stuhl herzu für Frau Christel.

„So, und nicht wahr, Sie wollen Ihren Ausreißer holen?“ lacht sie.

Anton ist aufgestanden und streift das Garn von den Händen, indem er es vorsichtig auf ein Nebentischchen legt. „Soll ich hinunterkommen, Christel?“ fragt er.

„Nein,“ antwortet sie, „ich suche nicht dich, ich wollte Fräulein von Wartau fragen – es ist in zwei Minuten abgethan, lassen Sie sich, bitte, nicht stören. Anto, wenn du das Garn nur nicht verwirrt hast? Bitte, Fräulein von Wartau,“ wendet sie sich an diese, „wieviel Pension zahlte doch Ihr Herr Vater der Witwe des Kutschers Rienhart?“

Fräulein von Wartau schüttelt den Kopf. „Liebste, ich glaube, aus dem Kopfe weiß ich das nicht.“

„Gleichviel,“ fällt Anton ein, „ich weiß ja schon, ich werde es übernehmen.“

„Danke, Anto,“ sagt Christel. „Verzeihen Sie die Störung, meine Damen.“

„Aber bleiben Sie doch ein wenig hier!“ ruft Edith, „wir sprachen eben von den mutmaßlichen Bewohnern der Sterne und Herr Mohrmann erklärte mir, daß sie wahrscheinlich weit kultivierter sind als wir: ach bitte, bleiben Sie noch, Frau Christel, es ist so furchtbar interessant.“

„Davon verstehe ich nichts, Fräulein Edith,“ antwortet Christel, „und außerdem wartet meine Schwester unten mit den Kindern auf Antwort. Guten Abend!“

„Ich komme mit,“ sagt Anton.

„Aber du kannst wirklich noch – ich meine, es ist noch Zeit bis zum Abendbrot, Anto.“

Er beachtet es nicht, verbeugt sich vor den Damen und geht neben Christel die Treppe hinunter. Es ist ein sonderbarer Weg, dieses kurze Stück nebeneinander; sie muß ihn immer von der Seite ansehen, es ist ihr, als sei er kleiner geworden, als sei er ein anderer.

„So!“ ruft sie der Schwester etwas forciert fröhlich zu, „hier bringe ich ihn selbst und gute Nachricht dazu – Anto wird die Pension zahlen.“

„Ich wußt’s im voraus,“ meint Frau Pastor herzlich und schüttelt ihrem Schwager die Hand, „Anto ist immer nobel. Nun sagt dem Onkel Guten Abend, Kinder!“

Anton setzt sich mit an den Tisch, fährt den Blondköpfen über die Wange und schenkt jedem eine Mark in die Sparbüchse. Die Frauen sprechen von dem Befinden der Mutter, die Pastorin erzählt, daß Louischen ein wenig kränkle und daß es dem Trudchen, ihrer Aeltesten, gut gefalle in Dresden in ihrer Stellung als Stütze der Hausfrau, und daß sie sogar schon im Theater gewesen sei.

„Das möchte ich auch einmal haben,“ sagt Christel. „Ach, Lotte, es war doch herrlich, wenn wir in Leipzig für unsre fünf Neugroschen auf dem ‚Olymp‘ standen und ‚Lohengrin‘ hörten!“

„Hör’, du, Anto,“ neckt die Pastorin, „du bist der Christel noch immer die Hochzeitsreise schuldig, könntest wohl mal mit ihr nach Dresden –“

„Das läßt sich ja machen,“ antwortet er, „anstatt nach Leipzig zu den Weihnachtsbesorgungen, nach Dresden.“

„O!“ macht Christel, ganz rot, „und dann besuchen wir deinen Freund Karl!“ Plötzlich stockt sie; sie erinnert sich, daß Edith neulich gesagt hat: „Wenn Sie einmal nach Dresden reisen sollten, nehmen Sie mich doch mit; Tante Tonette ist so schrecklich altmodisch und will mich nicht allein reisen lassen. Ich möchte so gern Emma von Zobel wiedersehen!“ – Die Freude an dem Plan ist Christel jählings geschwunden, aber, als wolle sie sich selber beschämen, sagt sie:

„Fräulein Edith kann sich uns ja anschließen, sie möchte so gern auch hin.“

Der gespannte Zug um seinen Mund läßt nach. „Das wollen wir noch überlegen, Christel; es könnte doch stören, besonders, wenn wir öfter mit Karls zusammen sein wollen.“

Sie atmet auf, es ist alles wieder vergessen. Und dann begleiten beide die Frau Pastor hinaus.

„Anto, möchtest du nicht hier bleiben?“ fragt Christel den Kleinen, „bitte mal Onkel, ob du es darfst!“

„Nein, ich will nicht,“ antwortet das Kind und reißt sich los, als habe es Angst, festgehalten zu werden, und der große Anton lacht:

„Hast kein Glück damit, Christel.“ – – –

Weihnacht kommt immer näher. Christel hat jetzt viel zu thun, ihre Wangen sehen wieder frischer aus, und nicht zum wenigsten macht dies die Aussicht, möglicherweise ihren Wunsch erfüllt zu sehen hinsichtlich des kleinen Anton. Der Pastor, mit dem sie vorsichtig sondierend sprach, hat ihr erklärt, er halte es für strafbaren Egoismus, wollte er dem zeitlichen Wohle eines lieben Kindes hindernd in den Weg treten, und er habe sowohl zu Christel wie zu ihrem Gatten das feste Vertrauen, daß sie den Jungen in Gottesfurcht und Rechtschaffenheit aufziehen würden. Die Mutter werde sich freilich nicht so leicht drein finden, aber er hoffe doch, mit ernster Zusprache sie dahin zu bringen, daß auch sie es als eine Fügung Gottes ansehe, wenn Anton aus ihrer Pflege scheide. Sie wisse ja doch auch, in wessen Hände sie das Kind gebe.

Christel hat unzählige Heimlichkeiten. Sobald Anton den Rücken wendet, läßt sie den Jungen holen, denn auch er muß gewonnen werden. Alles, was sein Kinderherz ergötzen und bestricken kann, bietet sie auf in ihrem Bemühen, dem Manne, den sie liebt, einen Ersatz für das versagte Glück zu schaffen.

Aus der Dresdner Reise ist nichts geworden: Karls haben gebeten, den Besuch aufzuschieben bis nach Neujahr. Um Weihnacht erwarten sie den Storch, aber dann, zur Taufe, da müßten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0075.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)