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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Augen, das die alte Mutter bemerken läßt: „Ja, hm – wenn du dir so eine Tasche voll davon mitnehmen könntest –.“

„Ach, Mutter,“ bittet sie abwehrend, „man muß nicht alles haben wollen; ich glaube auch, Anto vermißt gar nicht Kinder.“

Ein halbes Dutzend verwunderter Blicke trifft sie. Tante Louischen sagt, daß es Christel wie ein Blitz durch die Seele fährt, der das Dunkel der Nacht erhellt: „Wenn er so thut, als entbehre er sie nicht, so geschieht’s nur, weil er dich nicht traurig machen will.“

Christel sieht wie Hilfe suchend umher. „Aber – er hat doch nie eine –“ stammelt sie.

„Vor kurzem soll er aber doch geäußert haben, daß er Gott weiß was gäbe um so ein Häuflein Flachsköpfe,“ behauptet die Mutter. „Tischler Pappritz hat’s mir selbst erzählt: ‚Sie sind doch zu beneiden, Meister,‘ hat Anton gesagt, ‚und unsereiner, der sie ernähren kann, dem werden sie nicht gegeben‘.“

Christel schweigt, aber in ihrem Kopfe jagen sich die Gedanken nur so. Der Pastor, der es recht gut versteht, auf was die alte Frau hinaus will, spricht von andern Dingen, und mühsam schleppt sich die Unterhaltung fort, denn Christel ist wie abwesend. Plötzlich zieht die alte Frau sie zu sich, und ihren Mund an das Ohr der Tochter legend, flüstert sie:

„Wenn ihr den Anto adoptieren wollt, müßt ihr’s klug anfangen mit Pastors.“

Christel sieht die alte Frau ganz erschreckt an. Wie hat sie denn ihre eigensten Gedanken erraten können? Dann schüttelt sie heftig den Kopf. „Anderer Leute Kinder!“ Das Wort klingt vor ihren Ohren, als werde es noch einmal von Anton gesprochen. Am liebsten ginge sie nach Hause, aber sie hat ja versprochen, zu warten; und er bleibt so lange. Endlich kommt er; wie ein Schneemann tritt er ein, den Kragen hinaufgeschlagen, die Pelzmütze herabgeklappt, in der linken Hand einen Sack, in dem es von Nüssen und Aepfeln rasselt, in der andern eine Rute.

„Der Niklas! der Niklas!“ jubeln die Kinder. Da schreit er mit verstellter Stimme: „Wo ist der Anto? Komm’ her, Anto, kannst du beten?“

Der fünfjährige Bursche, mit dem köstlichen krausen Blondkopf und den großen blauen Augen, tritt vor.

„Bete!“

„Nee!“ sagt ganz patzig der Wicht.

„Warum nicht?“ brüllt Niklas.

„Weil du gar nicht der Niklas bist – du bist ja Onkel Anto!“

Da läßt der Niklas den Sack mit Aepfeln fallen und nimmt das Kind in die Arme und küßt es ab. „Prachtbengel du!“ ruft er. Christel steht mit leuchtenden Augen dabei, und doch dreht sich ihr das Herz um vor Weh.

„Guten Abend, alle zusammen! Guten Abend, Christel! Wollt’ dich nur abholen, da fiel mir ein, wie wir als Kinder vor dem Niklas zitterten, ließ mir von der Obstfrau Kurzen einen Sack zurecht machen – he, Anton, für dich steckt noch etwas drin!“ ruft er dann, und in der nächsten Minute hat der Junge eine sächsische Soldatenmütze auf dem Kopfe, eine Gardereitermütze, und zittert ordentlich vor Stolz.

„Wein? Nein, Schwager, danke,“ lehnt Anton ab. „Wir fahren wohl bald, Christel? Oder möchtest du bleiben heut’ abend – dann –“

Sie verneint und macht sich eilig fertig. Auf ihrem Gesichte liegt ein wehmütig glückliches Lächeln, er ist ein so guter treuer Mensch – wie nett, an den Niklas zu denken! Sie muß es ihm auch sagen, als sie nebeneinander im Schlitten sitzen. „Der Allerbeste bist du auf der ganzen Welt,“ flüstert sie und streichelt den Aermel seines Pelzes. Als sie dem Schlosse zufahren, steht droben an dem erleuchteten Fenster eine dunkle Mädchengestalt.

Vom Kölner Karnevalszug auf dem Waidmarkt.
Nach dem Gemälde von Chr. Heyden.


Anton sieht so starr hinauf, daß er fast einen Prellstein umgeworfen hätte. „Aber Anto!“ sagt Christel lachend.

Er entschuldigt sich nicht einmal, er murmelt nur ein „Donnerwetter!“ in den Bart.




Was Christel im Pfarrhaus gesehen und gehört, hat sie im Innersten erschüttert. Sie hatte es geahnt, daß Anton sich im geheimen nach Kindern sehne wie sie, nun weiß sie es sicher. Am nächsten Tage geht sie im Hause umher wie eine Träumende; wenn sie mit Anton spricht, sieht sie ihn immer an mit einem Ausdruck von Mitleid und stillem Jammer und die hellen guten Augen sind beständig feucht. Er merkt es gar nicht, er sagt nur, gleichsam als fühle er, daß er ihr eine Erklärung geben müsse für seine Zerstreutheit, es gehe ihm soviel

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0072.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2022)