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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

allem, was wir miteinander gesprochen: Sie sind nicht zufrieden. Sie fühlen sich gelähmt in Ihrem besten Können. Ihr Beruf drückt Sie.“

Er lächelte. „Wenn ich nur einen hätte! Daß ich gar keinen habe, drückt mich nieder.“

„Und Sie sollten keinen finden, der Ihren Wünschen entspräche?“

„Es ist so schwer,“ erwiderte er langsam. „Alles überfüllt! Ich bin zu jung. Sie lächeln – ja, ja – zu jung, obwohl ich mir in diesem Nichtsthun und Warten oft schon so alt vorkomme. Sehen Sie, gerade jetzt befinde ich mich auf der Reise nach Berlin, dort mein Heil noch einmal zu versuchen –“

„Sie haben dort Aussichten –“

„Leider so gut wie gar keine. Aber weil mir gerade an dieser Stelle so viel gelegen, weil gerade sie meinen innersten Herzenswünschen entspräche, will ich das äußerste versuchen.“

„Was für eine Stelle ist das?“

„Es handelt sich um eines der königlichen Staatsgymnasien Berlins. An seine Spitze haben sie vor kurzem einen Mann berufen – nicht so einen alten, verbrauchten, engbrüstigen Pedanten, sondern eine ganze Kraft, einen noch jugendfrisch fühlenden, bedeutenden Philologen, der die höchsten Ideale für seinen Beruf mitbringt und der Mann dazu ist, sie in die That umzusetzen. Er war früher Docent in diesem Heidelberg. Von ihm empfing ich die ersten Anregungen, von ihm die Begeisterung für meinen Beruf, ausgeübt nach seinem Vorbild. Unter diesem Manne zu lehren, von ihm täglich zu lernen, mit ihm aufs neue in geistige Gemeinschaft zu treten – sehen Sie, ein größeres Glück könnte mir nicht widerfahren!“

„Und keine Hoffnung, es erfüllt zu sehen? Kann dieser Direktor denn nichts dafür thun?“

„Er hat ja gethan, was in seinen Kräften steht. Aber so einfach geht das bei uns nicht. Da sitzt am grünen Tische des Unterrichtsministeriums in Berlin so ein allgewaltiger Herr, ein Geheimrat ohnegleichen, ein Schulmonarch, vor dem sich alle beugen müssen. Der hält in den starken Händen Sein und Nichtsein. Und dieser Hartherzige hat bereits über mich zu Gericht gesessen – ein Nichtsein hat er verfügt. Und ich Thor! – Trotz alledem wage ich die weite Reise aus dem Elsaß nach Berlin, trotz alledem suche ich mein Herz mit dem Wahne zu umschmeicheln, es möchte mir auf eine mir allerdings völlig rätselhafte Weise gelingen, die Seele dieses Gestrengen zu erweichen–“

„Und der Namen dieses Geheimrats?“ fragte das Fräulein sehr schnell.

„Altstedt – Geheimrat Altstedt,“ gab er zur Antwort.

„Altstedt?“ rief das Fräulein. „Altstedt!“ wiederholte sie jubelnd, als berge dieser Namen den Inbegriff alles Glücks für sie. „Es ist nicht möglich – das ist zu schön!“

Ganz erstaunt sah Rupert sie an. Sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. Ihre großen Augen leuchteten so hell, so von ganzer Seele vergnügt, und wie ein Kind klatschte sie in die Hände.

„Hören Sie! Dieser Herr Altstedt, der übrigens gar kein hartherziger Tyrann, sondern ein reizender lieber alter Herr ist, den ich hoch verehre, mein werter Herr Doktor – dieser Herr Altstedt ist der intimste Freund meines Vaters. Erst vor seiner Abreise hat Papa ihm einen Dienst erweisen können, für den er ihm zu großer Dankbarkeit verpflichtet ist; denn es handelte sich um seinen einzigen Sohn. Nun weiß ich genau, daß er meinem Vater jeden Gegendienst thun wird, zu dem er irgend imstande ist und den er thun – darf. Und mein Vater? Was wird ihm eine größere Freude sein, als sich dem Manne erkenntlich zu zeigen, der seiner hilflosen Tochter in der Fremde ein so treuer Ritter gewesen!“

Wieder war Rupert zu Mute, als träumte er – oder sollte es die schönste Wirklichkeit sein, die ihm mit einem Male so nahe das Ziel seiner heißesten Wünsche zeigte?!

„Und selbst wenn mein Vater nichts thun könnte oder wollte, was freilich beides ausgeschlossen ist – wir beide sind die besten Freunde, der Herr Geheimrat und ich. – Und ich? Nun ich habe das Bitten zwar wenig gelernt und kaum noch versucht. Aber ich fürchte mich nicht, es wird mir gelingen. So inständig will ich ihn bitten, so hartnäckig! Und sollte ich dem alten Geheimrat zu Füßen sinken müssen, ich werde nicht ruhen, bis er mir die feierliche Urkunde überreicht, in der es schwarz auf weiß steht, daß der Probekandidat Herr Dr. Walter Rupert an das betreffende Staatsgymnasium in Berlin als ordentlicher Lehrer feierlichst berufen ist!“

Sie machte eine flehende Gebärde. Sie faltete bittend die weißen Hände. So zuversichtlich, so vertrauend blickte sie zu Rupert empor, als wäre er der gefürchtete Geheimrat und sie ein bettelnd Kind. Dabei blickte unter dem einfachen Sommerhut das hübsche Gesichtchen so schelmisch hervor, die dunklen Augen blitzten so siegessicher und so siegesfroh zugleich – nein, kein Geheimrat der Welt konnte ihr widerstehen, es wäre unmöglich gewesen!

Und Rupert? Er konnte sie nur ansehen und wieder ansehen. Das Wort, das er ihr sagen wollte, fand er nicht. Aber sein dankbar leuchtender Blick sprach eine um so beredtere Sprache.

„Und dann kommen Sie nach Berlin!“ fuhr sie in lebhafter Erregung fort. „Dann nehmen wir heute nicht Abschied voneinander, dann sehen wir uns wieder, viele, recht viele Male!

Und dann –“ Sie errötete und brach schnell ab.

Was war das?

Waren es die alten, doch schon begrabenen Hoffnungen wieder, die in ihrer Brust rebellisch sich regten, gingen sie auch jetzt einher im hellen Morgensonnenschein, die lockenden Geister des Neckarthales, wachte er wieder auf, der süße Traum der verflossenen Nacht?

„Aber,“ unterbrach sie gewaltsam ihre Gedanken und schaute mit einem fragenden Blick auf Rupert, „Sie sind so nachdenklich geworden, Herr Doktor!“

In der That, als sie jetzt zu ihm sprach, fuhr er fast erschreckt empor wie aus tiefem Sinnen, in das er sich verloren.

„Nachdenklich, ja,“ sagte er mit leise bebender Stimme, „über all dem großen Glück, das Ihre Güte mir verheißt, über dem doppelten Glück, denn es ist nicht nur das meine, sondern auch das eines anderen Menschen.“ Die letzten Worte hatte er nicht ohne eine gewisse Anstrengung gesprochen – er atmete tief und schwer, als er jetzt langsam, fast zögernd fortfuhr:

„Die Zeit ist kostbar. Jede Minute kann Ihr Herr Vater hier sein. Wer weiß, wann wir uns wieder so ungestört sprechen.

Und wir sind uns in der kurzen Zeit zu nahe getreten – wir dürfen nicht auseinander gehen, ohne daß wir uns ganz verstanden hätten. Lassen Sie mich Ihnen erzählen!

Es ist eine alte Geschichte. Und alte Geschichten haben den Vorzug, daß sie immer kurz sind. Kurz ist auch die meine.“

Er hielt einen Augenblick inne, gleich als suchte er nach den richtigen Worten, in denen er zu ihr sprechen wollte.

10.

„Ich war noch sehr jung,“ begann er seine Beichte, während seine Blicke sich vor denen seiner Zuhörerin senkten.

„Ich hatte gerade meine ersten Semester hier in Heidelberg absolviert. Da lernte ich auf dem Gute, dessen Besitzer der Patron meines Vaters ist – er ist Dorfschulmeister – die Erzieherin kennen, ein junges Mädchen von ansprechendem, edlem Angesicht, mit einem Herzen, das offen war für alles Große und Wahre. Sie hatte bessere Tage gesehen; ihr Vater starb früh und ohne jedes Vermögen – sie mußte sich eine Existenz gründen, um sich zu ernähren und ihre Mutter. Sie that es mit einer Energie, die bewundernswert war. Sie hatte dabei viel Schweres durchzumachen und große Unannehmlichkeiten zu überwinden. Aber alles das schien nur dazu angethan, den frohen Mut in ihr zu stärken und den heiteren Glauben an Gott und die Menschen.

Marie war ihr Name, wie der Ihre. Sie kam oft in unser Haus, ich verkehrte viel auf dem Gute – wir traten uns näher, wir glaubten einander zu verstehen – wir verlobten uns.“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da trat das Fräulein schnell einen Schritt zurück, aus den fein geschnittenen Mundwinkeln sprang plötzlich jener leise Zug von Hochmut wieder, den er gestern an ihr bemerkt – die Spannung, mit der sie bis dahin seinen Worten gefolgt, ließ nach. Er merkte das nicht.

„Ob es vor der Welt und den Menschen eine Verlobung war,“ fuhr er fort, „weiß ich nicht – vor meinem Gewissen war es eine. Ich war damals sehr jung, aber nicht unreif. Es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0058.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2017)