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gehißt. Die deutsche Seemacht in den ostasiatischen Gewässern, zu der außer den genannten Schiffen noch der Kreuzer vierter Klasse „Kormoran“ gehört, wurde durch eine zweite Division verstärkt, die aus den Kreuzern „Deutschland“, „Kaiserin Augusta“ und „Gefion“ zusammengesetzt ist und unter dem Befehl des Prinzen Heinrich steht. Nachdem der Kreuzer „Kaiserin Augusta“ schon früher von Kreta aus seine Reise nach Kiaotschau angetreten hatte, verließ Prinz Heinrich am 16. Dezember mit den beiden übrigen Schiffen den Kieler Hafen. Inzwischen gelang es aber der deutschen Diplomatie, die Angelegenheit in friedlicher Weise zu regeln. Es kam in Peking ein Vertrag zu stande, durch den China die Kiaotschaubucht mit allen Hoheitsrechten für 99 Jahre pachtweise an Deutschland abgetreten hat. So wurde nicht allein für einen besseren Schutz der Missionen in Schantung gesorgt, sondern Deutschland gewann zugleich einen Stützpunkt für seinen Handel in Ostasien und eine Kohlenstation für seine Schiffe.

Landschaft im mittleren Schantung.

Kiaotschau mit seinem großen und sicheren Hafen wird sich unter deutschem Schutze gewiß zu einem blühenden Handelshafen entwickeln. Denn es ist günstiger gelegen als eine ganze Reihe der bisher dem europäischen Handelsverkehr in China geöffneten Häfen und besitzt auch ein reicheres, besser zugängliches Hinterland. War doch auch Hongkong vor einigen Jahrzehnten nur eine kleine Felseninsel ohne irgend welche Vegetation oder Kultur und nur von einigen hundert Fischern bewohnt. Im Jahre 1839 wurde es von den Engländern besetzt, und heute ist es die mächtigste Handelsmetropole des Ostens mit einer halben Million Einwohnern und einem Schiffs- und Warenverkehr, welcher mit jenen der bedeutendsren Häfen Europas wetteifert. Aehnlich war die Entwicklung von Shanghai; nördlich von diesem Handelsemporium des Yangtsestromes befinden sich noch drei offene Häfen auf chinesischem Gebiet: Tientsin, der Hafen von Peking, Niutschwang, der Hafen der Mandschurei, und Tschifu, der bisherige Hafen von Schantung. Wenn diese drei Häfen sich nicht in dem gleichen Maße entwickelt haben wie Shanghai, so hat dies seinen Grund in der weniger günstigen Lage in Bezug auf die Schiffahrt wie auch auf das Hinterland. Tschifu besonders liegt an der Nordspitze der weit in das Gelbe Meer vorspringenden Halbinsel von Schantung und ist mit dem Hinterlande nur durch einen elenden Karrenweg verbunden, so daß europäische Waren, welche für den westlichen Teil der Provinz Schantung bestimmt sind, großenteils nicht über Tschifu ihren Weg nehmen, sondern von Shanghai den Jangtsestrom aufwärts nach Tschingkiang und von dort auf dem großen Kaiserkanal, welcher den Westen von Schantung durchzieht, an ihre Bestimmung gesandt werden. Für den europäischen Handel mit Schantung und für die Ausfuhr der mannigfachen und ungemein wertvollen Naturprodukte dieser fruchtbaren und mineralreichen Provinz ist kein Hafen so günstig gelegen wie gerade der von Kiaotschau, so daß sich nicht nur der Verkehr über Tschingkiang, sondern auch jener des Hafens Tschifu voraussichtlich nach Kiaotschau ziehen wird.

Dorfstraße in Schantung.

Welche Wichtigkeit der Handel der Provinz Schantung mit der Zeit gewinnen wird, geht schon daraus hervor, daß Schantung bei einem Flächenraum von 140 000 Quadratkilometern, der also nicht viel größer ist als ganz Süddeutschland und die Reichslande zusammengenommen, mehr als die doppelte Bevölkerung dieses Gebietes besitzt. Während Süddeutschland mit Elsaß-Lothringen nur 12½ Millionen Einwohner zählt, hat die Provinz Schantung deren 30 Millionen und gehört somit zu den bevölkertsten Gebieten des Erdballs, an Dichtigkeit mit jener Belgiens vergleichbar. Auch in Bezug auf seine Lage ist Schantung dem europäischen Handel günstiger als die Mehrzahl der anderen Provinzen des chinesischen Riesenreiches. Denn während seine Osthälfte ganz vom Meere umschlossen ist, wird die Westhälfte von schiffbaren Flüssen sowie von dem schon genannten großen Kaiserkanal, einer der belebtesten und wichtigsten Wasserstraßen Chinas, durchzogen.

Die östliche, gebirgige Hälfte ist reich an mineralischen Produkten; in der Nähe der Stadt Wei oder Wei-sjang, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0050.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)