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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Gesicht. Das junge Mädchen hat ihn mit einem Ausdruck der Enttäuschung angeschaut, als der Name „Mohrmann“ an ihr Ohr schlägt, ganz anders als vorhin. Seine Stimme bebt etwas, als er spricht, dann nötigt ihn ein weiterer Trauergast, Platz zu machen. Er tritt in den großen Flur, wo die Herren sich sammeln.

Die Träger nähern sich dem Sarge, die Damen ziehen sich in das Zimmer des Verstorbenen zurück, von wo aus sie sehen können, wie der letzte Baron Wartau das Haus seiner Väter verläßt, das schon nicht mehr sein war.

Im Hofe, der in grauer Dämmerung liegt, sprühen jetzt Fackeln auf, die Tagelöhner des Gutes bilden Spalier; er ist dicht gedrängt voll Menschen, fast das ganze Dorf ist anwesend.

In dem uralten Kirchlein unter dem Altar befindet sich die Gruft der Wartaus; dorthin geleiten sie ihn jetzt. Der Zug setzt sich in Bewegung, der Fackelschein wirft grelle Streiflichter über die Linden zur Seite der Freitreppe, über die lächelnden Putten, die die steinerne Einfassung der weit geöffneten Gitterpforte schmücken.

Um das Dach des Pächterhauses und die Giebel der Scheunen zuckt der Flammenschein, und Christel steht am Fenster und sieht den Kondukt vorüberziehen. Sie späht nach Anton – natürlich, da ist er, sie hat ihn schnell herausgefunden, er ragt ja so weit über alle die anderen hinaus, auch über den Herrn, der neben ihm geht.

Er sieht nicht hinauf, er geht mit gesenktem Haupte, als sei ihm das Liebste auf der Welt gestorben. Und jetzt macht er eine Gebärde, als wische er eine Thräne aus dem Auge. Nein, er hat nur den Hut ein wenig gehoben und faßt sich an die Stirn, als habe er Kopfweh. Er wird doch nicht? Im Dorfe geht die Grippe um, Christel selbst fühlt sich unwohl. Um Gotteswillen, sie will tausendmal lieber selbst krank werden, wenn nur Anton gesund bleibt; er ist so ungeduldig dabei, sein Gesicht drückt eine so große Qual aus, schon bei Kleinigkeiten; sie kann ihn nicht leiden sehen, den blonden Riesen.

Als er endlich nach Hause kommt, brodelt das Wasser in der Spiritusmaschine, der Tisch vor dem Sofa im Wohnzimmer ist mit blendend weißem Drell gedeckt und mit kalten Speisen besetzt. Die Lampe brennt, es ist warm und behaglich hier, und Christel sagt freundlich: „Ich dachte, es wäre dir heute lieber, hier allein zu essen, Anto? Du bist von all den Geschichten so abgespannt.“

Er sieht sich um und atmet auf. Es ist ihm in dieser trauten Umgebung, als falle ein eiserner Reif von seiner Brust, der sie pressend und atemerschwerend umspannt hielt.

„Gute Christel,“ sagt er gerührt, „du denkst doch an alles!“

Sie hat ihn noch nie so weich und dankbar sprechen hören und sieht ihn ganz verwundert an; derartige Rücksichten hat sie doch täglich für ihn? „Die Feierlichkeit hat ihn angegriffen,“ denkt sie, „er hat ein Kinderherz, der gute Mensch.“ Und als er nach einem Weilchen umgekleidet aus dem Schlafzimmer kommt und sie sich gegenübersitzen, lächelt sie ihn an, trotz ihrer quälenden Kopfschmerzen.

„Trink’ etwas Warmes, Anto!“

Er mischt mechanisch den Grog und beginnt zu essen, ebenfalls ganz mechanisch.

„Anto,“ fragt Christel den ins Leere hinausstarrenden Mann, „war die junge Enkelin zugegen bei dem Trauerfest?“

Er fährt wie aus einem Traume empor. „Ja!“ sagt er dann kurz.

„Wie sieht sie aus? Ist sie hübsch?“ erkundigt sie sich, weniger aus Neugier, als nur um etwas zu sprechen.

Er nimmt sein Glas und leert es in einem Zuge. Dabei ist er rot geworden. „Ich weiß es nicht,“ antwortet er endlich. – Die erste Lüge ist gesprochen!

Christel fällt’s nicht auf; als ob er für dergleichen Augen hätte, zumal jetzt, wo ihm tausenderlei im Kopfe herumgeht! „Hat Robert gut geredet am Sarge?“

„Ich weiß es nicht, Christel – ich glaube, ja – na, was so bei dergleichen Gelegenheiten gesagt wird,“ antwortet er ungeduldig.

„Neben wem gingst du denn eigentlich, Anto, hinter dem Sarge?“

„Neben Graf Altwitz. Der sprach mich an, als der Zug sich ordnete.“

Jetzt ist ein Lächeln in seinen Augen. „Er sagte, unsere Interessen träfen ja stark zusammen; es ist wegen der Uferausbesserungen des Flusses, weißt du.“ Und nun spricht Anton weiter von den nächsten Zukunftsplänen. „Wir müssen bald in Ordnung kommen, Christel,“ ist der Schluß von jedem seiner Sätze. „Heine will Anfang November heiraten,“ fährt er fort, „in der nächsten Woche nach der Uebernahme ziehen wir hinüber. Etwas anders wird’s werden – ja – etwas ungewohnt – ja – aber das hilft nun nichts, die verängstigten Augen, die du machst, Christel, sind völlig überflüssig. Du wirst dich schon ganz stattlich ausnehmen,“ setzt er hinzu, „als Frau Rittergutsbesitzer Mohrmann. Und zum Visitenfahren schenke ich dir ein schwarzes Atlaskleid; aber erst die Arbeit und dann das Vergnügen.“

Sie lacht mit blassem Gesicht. „Was das Vergnügen anlangt, Anto –“

„Wart’ ab! Wenn der Löwe erst Blut geleckt hat, Christel –“

„Welche Zimmer werden wir denn bewohnen?“ fragt sie.

„Ich nehme das des alten Herrn, weil ich von dort am besten den Hof übersehen kann; es wird ganz so bleiben können, wie es jetzt ist. Daneben, wo der alte Herr gestorben, schlafen wir – hab’ keine Angst, der spukt nicht. Das Tafelzimmer behält seine Bestimmung, und die andern Räume benutzen wir für Besuch. Oben? da rühren wir vorläufig die Hand nicht daran, die Prunkzimmer mögen bleiben wie sie sind, da müßte nämlich gebaut, alles renoviert werden. Die Fräulein behalten die beiden Zimmer über uns, die sie jetzt bewohnen, und bekommen ein drittes dazu für die Enkelin.“

„Ich bitte dich, Anto, laß ein paar von den Stuben unten tapezieren – die schreckliche Malerei an den Wänden, ich kann sie nicht sehen!“

„Hm! Ja, können wir machen, Kind. Einige Familienbilder und wertvolle Andenken nehmen die Fräulein mit hinauf, im übrigen ist der ganze Krämpel unser. Erst wollten sie Auktion machen, aber ich hab’s in Bausch und Bogen mitgekauft. Es soll nämlich eine Urkunde geben, laut welcher eine ganze Reihe wertvoller, genau bezeichneter Gegenstände in Wartau verbleiben muß, selbst wenn es durch Erbschaft oder Verkauf in andere Hände übergeht. Na, wie gesagt, ich red’ erst morgen noch eingehender mit Fräulein Tonette – ist ein ganz vernünftiges Frauenzimmer. Aber du hast Kopfweh, Christel, leg’ dich! Ich habe nur noch ein paar Worte an den Rechtsanwalt zu schreiben.“

Sie ist wirklich kaum fähig, sich aufrecht zu erhalten, läßt den Tisch abräumen und geht.

Anton stellt die Lampe auf den geöffneten Sekretär, schreibt einen Brief und sitzt dann, die Feder in der Hand, und sinnt. Endlich drückt er ein kleines Geheimfach auf, nimmt ein Bündelchen Briefe, die mit einem verblaßten roten Bändchen zusammengebunden sind, heraus und zieht eine Photographie hervor, die er vor sich hinlegt und betrachtet.

„Zum Schreien, diese Aehnlichkeit, wenn sie sich auch schließlich doch nicht gleichen,“ sagt er halblaut; „aber dasselbe Genre, obgleich die eine Putzmacherin, die andere Baronesse ist. Der Mund, der eigensinnige, geschweifte ist’s ganz, und diese dunklen, scheinbar so kühlen Augen ebenfalls, das Ganze – Rasse, Vollblut, edelstes Vollblut! Ach, die Fränze, wie lange habe ich nicht an die gedacht! Die Fränze – eine Liebelei nur, ja, ja! Aber wundervoll war doch diese Zeit; Herrgott, was für ein Philister ist man geworden! Und da kommt die Fränze mit einem Male wieder – die Fränze!“

Er stützt den Kopf auf den Arm und sinnt, und sinnt. Als er sich endlich erhebt, fühlt er, daß er aus der frohen ruhigen Selbstzufriedenheit der letzten Jahre wachgerüttelt, ausgestoßen ist. Ein verwünschtes Gefühl, so weich und weh, und so unruhig! Gottlob, daß es Arbeit giebt morgen, mehr Arbeit beinahe, als er leisten kann!

(Fortsetzung folgt.)



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