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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Danke! Ich mag nicht, ich kann nicht! Laßt mich in Ruhe in meinem Stift leben, weiter will ich nichts mehr.“

„Machst du dir das Leben schwer!“ murmelt Tonette. „Meinetwegen!“

„Die neue Herrin von Wartau kann Edith ja in Pension nehmen,“ schließt Josepha eigensinnig, „bis du wieder zurück bist, mein’ ich. Meine Nerven halten ein junges Mädchen nicht aus.“

„Ja, ja,“ antwortete die Schwester, „beruhige dich nur, es wird schon alles ins Gleiche kommen. Hier sind deine Baldriantropfen, leg’ dich schlafen; mit all deinem Schreien und Weinen kriegen wir Wartau nicht wieder. Ich wünschte, du sähest das ein, und daß es auch schließlich besser ist, die Geschichte wird freier Hand verkauft als zwangsweise – das begreifst du hoffentlich mit der Zeit noch. Ein jeder wäre nicht darauf eingegangen, uns gutmütigerweise hier wohnen zu lassen bis ans Ende.“

Josepha hat sich aufgerafft und läuft bis zur Thür. „Nicht ein Funke von Stolz ist in dir,“ schreit sie ihrer Schwester zu, „nicht ein Funke von Stolz und Pietät! Gesinnungen hast du wie eine Tagelöhnerin, nein, schlimmer noch, denn selbst die hängt noch an ihrer Kate – ich schäme mich, daß du meine Schwester bist!“

Und dann fällt die Thür hinter ihr ins Schloß und sie läuft voll Jammer und Verzweiflung in die Nacht hinaus nach dem Garten, in dem sie ihre Kinderspiele gespielt und der jetzt Fremden gehört. Und dort bricht sie zusammen und liegt auf der feuchten Erde an der Sonnenuhr lange Zeit.

Tonette sucht ihr Lager auf. Daß ihr sehr behaglich zu Mute ist, kann sie nicht behaupten, aber sie hat es sich längst abgewöhnt, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, sie ist schon zufrieden, wenn’s nicht ganz so schlimm wird, wie sie gefürchtet. Gottlob, sie behält doch wenigstens das Dach der Väter über dem Kopf, so lange sie lebt, wenn ihr auch kein Ziegel dieses Daches mehr gehört, sie braucht nicht in einer jämmerlichen Mietswohnung zu hausen. Mit diesem tröstlichen Gedanken schläft sie ein.

Um Mitternacht wird sie geweckt. Bröse ruft vor der Thüre: „Gnä’ Fräulein, kommen Sie doch, ich glaube – der Herr – mit dem Herrn ist’s nicht recht –“ Aber so hastig sich beide Schwestern auch ankleiden, so rasch sie die Treppe hinuntereilen, sie kommen doch nur gerade zurecht, um den letzten Seufzer des Vaters zu hören.

„Das ist ein Herzschlag gewesen,“ meint Bröse, während die Schwestern vor dem Totenbette stehen, ohne noch recht zu begreifen.

Es ist nur spärlich erhellt, das große hohe Gemach. Die Kerze, die Tonette jetzt in die zitternde Hand nimmt, um das stille Antlitz deutlicher zu sehen, wirft zuckende Lichter über die Züge des Entschlafenen, dem der Tod nichts nehmen konnte von dem verbissenen Schmerz seiner letzten Stunden. Der Diener ordnet, leise schluchzend, die Decken und legt die mageren, erkaltenden Hände seines alten Herrn ineinander.

Josepha aber fällt ihrer Schwester um den Hals, und weinend sagt sie:

„Nun find’ ich ihn wieder, Tone, nun versteh’ ich ihn – er hat’s nicht überleben können, er ist an dem Verlust von Wartau gestorben – –.“

Und Tonette streicht der Schluchzenden schweigend über das ergraute Haar.

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Ein düsterer Tag, der Begräbnistag. Nachmittags drei Uhr wird die Feierlichkeit stattfinden.

Christel heftet ihrem Mann auf den nagelneuen Cylinder einen schwarzen Kreppstreifen. Anton, der sein Lebtag nicht eitel war, steht heute eine halbe Stunde vor dem Spiegel und ordnet an seiner Toilette. Christel lächelt, obgleich es ihr gar nicht so zu Mute ist. Sie hat starkes Kopfweh, etwas, was sie sonst nicht kennt.

„Hast du die Enkelin schon gesehen?“ fragt sie dann.

„Nein – du?“

„Ich sah nur so ein schmales schwarzes Figürchen die Treppe hinaufhuschen, als ich aus dem Tafelzimmer kam, wo der Tote aufgebahrt ist. Wie der Blitz war sie oben; sie muß noch sehr jung sein.“

„Achtzehn Jahre, wie Fräulein Tonette sagt. Lebe wohl, Christel – bitte, halte ein Glas Grog parat, wenn ich wieder komme, das Wetter ist so naßkalt.“

Als Anton über den Herrschaftshof schreitet, stehen wenigstens zwanzig Equipagen in Reih’ und Glied dort. Der begüterte Adel der Nachbarschaft ist vollständig erschienen, Anton erkennt dies aus den Livreen der Kutscher und an den Pferden.

Der neue Besitzer von Wartau erscheint fast als letzter, wie er sofort bemerkt. In dem großen Zimmer zu ebener Erde, dessen auf den Flur, rechts und links von der breiten Treppe, mündende Flügelthüren weit offen stehen, ist die Trauerversammlung um den Sarg geschart, nur Herren. Die Gegenwart der Damen hat sich der Tote in einer eigenhändigen, von ihm für sein Begräbnis zurückgelassenen originellen Bestimmung, ohne näheren Kommentar, verbeten.

Der bereits geschlossene Sarg ist mit der ganzen Orangerie umstellt, über die Wartau verfügt, und auf hohen Kandelabern blühen ganze Büschel weißer Kerzen aus dem ernsten Grün hervor.

Aller Augen fliegen zu Mohrmann hinüber, als er jetzt eintritt und grüßt. Er hätte sich in seiner stolzen Persönlichkeit nicht besser präsentieren können als in diesem Augenblick. Einige kennen ihn schon, andere fragen mit Blicken ihre Nachbarn: „Ist er das?“ Sein Gruß wird teils artig, teilweise sogar respektvoll erwidert, und der alte Graf Altwitz sagt zum Amtsrat Sorben: „Verteufelt anständiges Exterieur.“

„Kerl hat einen großartigen Dusel gehabt,“ meint der Freiherr von Rothenbach auf Gitschwitz.

Anton reiht sich irgendwo ein, denn eben betritt sein Schwager mit den drei Hinterbliebenen den Saal. Die beiden alten Töchter führen zwischen sich ein junges Mädchen, ein zierliches, noch kindliches Geschöpf, dessen große mandelförmige Augen unter einem wirren Gekräusel seidiger Stirnlöckchen mit ängstlicher Scheu den Sarg umfassen, mit der Scheu, die die Jugend unwillkürlich vor dem Tod empfindet. Sie hat ein rundes, reizend geformtes Gesicht, sie ist eine Schönheit, darüber sind sich in einem einzigen Augenblick sämtliche Herren klar, die der Enkelin des Toten entgegensehen.

Anton geht es wunderbar. Er hört kein Wort von der Trauerrede, er sieht nicht die Menschen neben sich, nicht den Sarg, in dessen Ritterschild sich Kerzenstrahl und falbes Tageslicht spiegeln. Er steht hinter einer Doppelreihe schwarzbefrackter Herren, hat die Hand um eine Stuhllehne gekrampft und starrt das schöne Mädchen an, zwischen den beiden alten Fräulein, deren Gesichter in schwarzem Krepp fast verschwinden. Die dunklen Augen des Mädchens schweifen wie fragend über alle diese fremden Männer, sie streifen die Wände des Gemachs und bleiben endlich zerstreut an dem Deckenbild hängen, an einem Bacchantenzug, der mit faunischer Lust sich dahin wälzt, bocksfüßige tanzende Männer, kaum bekleidete Weiber. Sie wird rot, schüttelt fast unmerklich den Kopf und sieht wieder geradeaus. Sie müht sich offenbar, den Worten des Geistlichen zu folgen, und plötzlich, wie angezogen von Antons Blicken, bleiben ihre Augen an ihm hängen. Er bemerkt, wie der Ausdruck der Zerstreutheit blitzartig aus ihren Augen verschwindet, wie sie ihn anstarrt mit unverkennbarem Interesse; die feinen Nasenflügel blähen sich ein wenig, eine einzige Sekunde nur, dann senkt sie die Lider.

„Fränze!“ murmelt Anton.

„Amen!“ sagt der Geistliche in diesem Augenblick, und der Schwärm der Anwesenden kommt in Bewegung und drängt zu den Hinterbliebenen. Die drei Damen stehen da wie Fürstinnen und nehmen von jedem der Vorüberdefilierenden die üblichen Beileidsworte in Empfang. Es ist der letzte Akt der alten Vornehmheit, dieses standesgemäße Begräbnis. Auch Anton tritt zu ihnen.

Tonette streckt ihm die Hand hin und nennt ihn: „Lieber Herr Mohrmann.“

Josepha hält beide Hände in den Falten ihres Trauerkleides verborgen; sie senkt kaum den Kopf bei seinen hervorgestotterten Worten; grenzenlos hochmütig ist das scharfgeschnittene vergrämte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0047.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2019)