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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

zur Gärtnerwohnung, von der aus sie durch den Gemüsegarten in das Pächterhaus gelangen kann. Wie um sich zu beruhigen, wandert sie noch ein paarmal in dem Hauptgang, der den Park von dem Wirtschaftsgarten trennt, auf und ab. Da wurzelt plötzlich ihr Fuß am Boden. Drüben, auf dem Platz im Park, wo die Sonnenuhr sich befindet, steht unbeweglich eine dunkle Gestalt und schaut zu dem Schlosse empor; deutlich hebt sie sich gegen die helle Mauer ab und Christels an die Dunkelheit gewöhnte Augen erkennen Josepha von Wartau. Sie verharrt da wie aus Stein gemeißelt; unheimlich dünkt es Christel.

Aber auch sie bleibt jenseit der niedern Buchsbaumhecke unbeweglich. Und plötzlich hebt das alte Mädchen die ineinander gefalteten Hände gegen das Schloß empor mit einer verzweifelten Gebärde, dann schlägt sie dieselben vor das Antlitz und sich zur Erde werfend, weint sie laut und leidenschaftlich.

Jeden Ton hört Christel. „Arme, arme Beraubte!“ murmelt sie, „das ist der Abschied von dem Frieden deiner Kindheit, den Wünschen deiner Jugend, dem Stolz deiner alten Tage! Du Aermste, wenn ich könnte, ich gäb’s dir wieder – wie gern? Das weiß nur ich – und Gott!“




Fräulein Tonette sitzt an diesem Abend im Zimmer des alten Barons. Sie breitet eben wieder geduldig die Decke über seine Füße, die er bereits zehnmal abgeworfen hat, denn er ist furchtbar aufgeregt. Seine älteste Tochter hat ihm zum erstenmal in ihrem Leben zu widersprechen gewagt.

„Ich denke, es ist besser für dich, Papa, und auch für uns, wenn wir hier bleiben.“

„Besser? Wieso? Dieses Hundeklima kann ich nicht vertragen,“ antwortet er.

„Der Doktor sagt, die Reise würde dich zu sehr angreifen, Papa.“

„Schockschwerenot! Was der Kerl sagt, danach habe ich mich noch nie gerichtet!“

„Und außerdem – unsere Mittel erlauben es auch nicht, Papa. Sei so gütig, Papa, hör’ mir zu: die beim Verkauf erübrigte Summe ist so fabelhaft gering, sie würde bei einer Reise zu vieren nach dem Süden – – “

„Zu vieren?“ grollt er.

„Ach, Pardon, Papa – zu fünfen, denn du wirst doch Bröse nicht entbehren können?“

„Zu fünfen?“ donnert er, „seid ihr verrückt geworden?“

„Ja, wo soll denn Edith bleiben, wenn Josepha und ich dich begleiten?“

Er bekommt einen plötzlichen Lachanfall, und wie immer endigt dieser in einem erstickenden Husten. Dabei stößt er in langen Pausen hervor:

„Edith? ja ja – ich hatte es ganz vergessen – ich dachte immer – es wär’ genug des Segens – mit euch beiden – ha ha – noch ein Mund mehr, der – gefüttert werden soll!“

Seine Tochter hat ihm soviel als möglich Linderung gebracht, Thee und Wasser, und sie reibt ihm den Rücken, denn er hat sich seitwärts über die Lehne seines Stuhles gebeugt und sieht blaurot aus.

„Ich schere mich den Teufel darum,“ kräht er endlich, „mag sie hier bleiben, diese Edith, mit der Thränenweide von Josepha. Du und Bröse, ihr kommt mit.“

„Aber du müßtest so gut sein, Papa, und ihnen eine bestimmte Summe anweisen für die Zeit unserer Abwesenheit.“

„Bis aufs letzte wird man ausgeplündert!“ schreit er, „bis aufs letzte! Und heute noch bereue ich die blödsinnige Stunde, in der ich eurer Mutter meinen Antrag machte. Ich wollte gar nicht heiraten, ich wollt’ nicht! Aber die Sippe hat nicht geruht: der Name dürfte nicht aussterben – Na, und nun? Und nun?“

Er fängt wieder gellend an zu lachen.

„Dich hat der Verkauf aufgeregt; komm’, Papa, trink etwas Himbeerwasser, es wird dich beruhigen,“ sagt die große starke Dame, die in ihrem einfachen Kleide, dem glatten Scheitel und der plumpen Taille nicht wie eine Dame aussehen würde, wenn nicht die stolze Nase, der fein geschnittene Mund und die wundervoll geformten, peinlich gepflegten Hände gewesen wären. Sie sieht den erschöpften Greis mit einem merkwürdigen, einem gar nicht kindlichen Blick an, während sie ihm zu trinken giebt. Er nimmt’s in kleinen Schlückchen, wie die Kinder trinken, und sinkt dann aufstöhnend zurück.

„Soll dich Bröse nicht lieber ins Bett bringen, Papa?“ fragt sie dann.

„Nein, ich schlafe doch nicht, aber du kannst gehen, Tonette. Sage deiner Schwester, daß sie auf Wartau bleibt mit dem Kinde. Wohnung habe sie, im übrigen müßten sie auskommen mit dem, was ich ihnen gebe – viel kann’s nicht sein.“

„Sie richten sich sicher recht sparsam ein, Papa,“ beruhigt Tonette, „nur weiß ich nicht – – aber davon sprechen wir später, Papa.“

„Was denn nun schon wieder?“ schreit er.

„Es ist ja nichts –“ murmelt sie.

„Doch! Ich kenne schon diese Manöver, wenn euch etwas nicht paßt. ‚Davon sprechen wir später‘, heißt’s dann.“ Er ahmt die sanfte Stimme der Tochter nach. „Weiß schon, was dahinter steckt – die Mauern von Wartau sind nicht dicker als eure Köpfe.“

„Ich dachte, weil Josepha so schwächlich und weil sie seit einer Reihe von Jahren gewohnt ist, den Winter im Süden zuzubringen, und sie infolgedessen möglicherweise unser hartes Klima hier nicht mehr verträgt, ob es nicht besser sei, du läßt mich, statt ihrer, hier?“

„Und ich armer Krüppel kann die nervöse zimperliche Person bedienen?“ fragt er mit grimmigem Humor. „Schön, schön, meinetwegen! Auch Bröse kann ihr ja bei Nervenzufällen als Kammerfrau aufwarten. Na, dann bin ich ja bestens versorgt! Schön, schön – also die Josepha!“

„Ich werde mitkommen, Papa, es ist abgemacht,“ sagt Tonette verdrießlich und mit harter Stimme. Sie hat das Umherreisen so satt, das erbärmliche Reisen, die billigen Hotels, die schlechte Behandlung seitens der trinkgeldenttäuschten Kellner – sie wäre so gern hier geblieben und sie wäre schon durchgekommen mit der Edith. Sie versteht es, billig zu leben, und so wenig Christel die Eier zählte und die Butter wog, so wenig zählte und wog sie nach; sie kann ganz gut Almosen nehmen, ohne sich verletzt zu fühlen, und kommt prächtig weg mit ihrem herablassenden Hochmut solchen Leuten gegenüber.

„Ob dieses Mädchen, diese Josepha, mir wohl den Fuß in mein Zimmer gesetzt hat seit dem Verkauf von Wartau?“ grollt er weiter.

„Sie ist so maßlos unglücklich über den Verlust des alten Familienbesitzes, als stände sie am Sarge eines lieben Menschen,“ sagt Tonette, die Klinke schon in der Hand, „es ist ihr wie mein einziger Wunsch, nach all dem Schweren, das uns traf, hier unsere alten Tage zu verleben.“

„Kann sie doch auch, Herrgott nochmal!“

„Ja, Papa, das können wir, aber – als Mieter.“

„Schön, dann als Mieter!“ schreit er laut, „ich hab’ ’s Geldmachen nicht erlernt. – Gute Nacht!“

Tonette verläßt das Zimmer, geht durch den Flur die breite Treppe hinan in die beiden Stuben, die sie und ihre Schwester gemeinschaftlich bewohnen. Es ist ganz dunkel hier, aber von dem Ruhebette, das inmitten des Raumes steht, schallt ein leises Schluchzen.

„Josepha,“ sagt Tonette hart, „nimm dich doch zusammen – es ist nun mal nicht anders!“

Die Angeredete fährt empor. „Sag mir nichts, ich bitte dich, Tone, sag mir nichts!“ ruft sie.

„Doch sage ich dir etwas – Vater will, daß du hier bleibst, Josepha.“

„Ich bleibe nicht hier, ich gehe ins Stift!“

„So! Und das Kind? Du weißt doch, Edith kommt am ersten November aus der Pension.“

„Du bist ja da, Tonette.“

Tonette lacht spöttisch. „Ich kann mich aber nicht in zwei Teile schneiden!“

„Ach so! Ich soll hier bleiben mit Edith, während ihr – – Das hat Papa so bestimmt?“

„Das hat Papa so bestimmt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0046.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2019)