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hunderttausend Mark? Christel, Christel“ – und nun erhebt er seine Stimme, „du hättest sollen deinen Einfluß als vernünftiges Eheweib aufbieten! Christel – wen der Teufel versuchen will, der wird durch Hoffart verblendet.“

„Ach, Robert, Mohrmann ist der nüchternste Geschäftsmann, den es giebt. Es geht alles mit rechten Dingen zu, aber mich drückt’s, mir ist angst; ich fürchte, ich werde nicht in so große Verhältnisse passen.“ Sie seufzt tief auf.

„Man kann auch in großen Verhältnissen einfach bleiben, Christel.“ Der Pastor hat sich jetzt von der Ueberraschung erholt und klopft ihr auf die Schulter. „Und jemehr Besitz euch Gottes Segen giebt, um so mehr Verpflichtungen habt ihr. Reichtum und Gut ist eine schwere Last. Nun aber – wo – – Der Kauf ist doch perfekt?“ schaltet er ein.

Christel nickt.

„Wo Mohrmann auch mein Patron geworden ist, hoffe ich, daß er sich unseres Kirchleins etwas annimmt! – Sorge du dafür, Christel; das Dach fällt meiner Gemeinde demnächst auf den Kopf.“

„Was ich thun kann, Schwager, das geschieht,“ sagt sie, „und auch sonst, auch sonst mehr als vorher.“

Er hebt die Hand, als stehe er auf der Kanzel. „Wir sind zufrieden mit dem, was Gott uns gab, Christel, wenn er nur meiner Frau Gesundheit spenden will und die Herzen der Kinder gut und rein bewahrt.“

Christel schießen die Thränen in die Augen.

„Hast recht, Schwager; ihr seid reicher als wir,“ sagt sie und wendet sich.

„So mußt du nicht sprechen, liebe Christel; es geschieht alles nach seinem Ratschluß,“ stottert der Pfarrer, betroffen von der Bitterkeit, die aus ihren Worten klingt. „Du bist noch jung, er kann euch noch immer geben, was ihr ersehnt.“

Aber Christel hört es nicht mehr, sie ist schon draußen im Flur und ruft ihren beiden Schwestern, die in der Kinderstube beschäftigt sind, durch den Thürspalt zu: „Mohrmann hat Wartau vorhin gekauft; ich gehe zur Mutter hinauf; wollt ihr Näheres hören, so kommt!“ –

Sie macht die Thür wieder zu und läßt hinter sich in dem eben noch so geräuschvollen Zimmer eine lautlose Stille zurück. Die Nähmaschine ist so jäh verstummt wie das alte dünnstimmige Klavier, auf dem gerade das Menuett aus „Don Juan“ von dem zehnjährigen Gretchen geübt wird; selbst das Lärmen der Jüngsten hat aufgehört, ein wortloses Staunen ist über alle gekommen.

Die alte Frau aber in ihrem Giebelstübchen sitzt wie immer im Lehnstuhl am Tisch vor der Lampe, das Strickzeug – ein ausgewaschenes Kinderstrümpfchen, das einen neuen Hacken beansprucht – in der Hand. Ihr gegenüber die Aelteste, das achtzehnjährige Trudchen, vor einem Haufen Flickwäsche.

„Guten Abend, Mutter!“ sagt Christel und zerrt sich den schwarzen Wollshawl vom Kopfe. „Nur einen Augenblick, wollt’ nur sehen, wie’s geht.“ Sie hat der alten Frau mit den vergrämten Zügen die Hand gegeben, dem jungen Mädchen über den Blondkopf gestrichen und sitzt nun auf dem Sofa, wo sie den schwarzen Kater behutsam zur Seite schiebt. „Mach’ Platz, Peter, mach’ Platz!“

„Wie soll’s gehen,“ murrt die Angeredete, „immer egal so weiter, alle Tage Arbeit, alle Tage Lärm – und der Winter, der alte eklige Winter, und Neues hört man sein Lebtag nicht, oder es ist danach – ärgerliches Zeug!“

„Na, Mutter, dann will ich dir gleich erzählen,“ beginnt Christel frisch, „Mohrmann hat Wartau gekauft heute.“

„I gar!“ sagt die alte Frau, „um Mätzchen zu glauben, bin ich zu alt.“

In diesem Augenblick kommen beide Schwestern herein, die Pfarrerin mit leuchtenden Augen, Louischen, das ältere geplagte Mädchen, mit einem verkniffenen Zug um den Mund.

„Nein, solche Freude!“ ruft die gutmütige Pastorin und fällt Christel um den Hals. „Kinder, nun denkt mal an, unsre Christel als Schloßfrau von Wartau! Nein, Christel, das hast du dir auch nicht träumen lassen!“

„Da könnt ihr Pastors ja ein paar Kinder abnehmen,“ fällt Louischen ins Wort, „adoptieren oder so; und wenn du vielleicht einer Kammerjungfer bedarfst – ich nehme die Stelle – man macht eben verschiedene Carrieren in der Welt.“

„Schwatz’ nicht so albernes Zeug,“ fährt die alte Frau ihre Tochter an, „reiche Leute können ihr Geld allein gebrauchen – gelt Christel, was gehen dich die Pastorskinder an?“

„Sie gehen mich schon an, Mutter, aber ich habe Wartau nicht, sondern mein Mann, und ich glaube, daß er sehr sparsam sein muß, wenn er durchkommen will.“

„Ha! ha! Um den ist mir nicht bange,“ lacht die Greisin, „der versteht’s, hamstert immer so stillweg ein und läßt die Frau sich schinden wie ein Tagelöhnerweib!“

„Das ist nicht wahr,“ sagt Christel empört, „ich habe gearbeitet, weil es mir Freude macht – von Schinden ist keine Rede! Was ich thue, thue ich gern für ihn und für mich.“

„Nicht mal ein Abendmahlskleid hat er dir gegönnt,“ murrt die alte Frau.

„Weil ich keins wollte,“ antwortet Christel, „mein Brautkleid hat’s immer noch gethan bisher.“

„Und dir, Mutter, schenkt er wahrlich genug!“ wirft die Pastorin vorwurfsvoll ein.

„Na, meine Gratulation,“ sagt die Mutter und nickt Christel zu. „Ich brauche nicht viel mehr, aber vergiß die armen Schwestern nicht – ihr habt ja für keinen zu sorgen, außer für euch.“

Christels Blick ist ganz abwesend. „Ich kann Anto keine Vorschriften machen,“ antwortet sie verletzt und erhebt sich.

Da kommt der vorjüngste Bube hereingestürmt und hängt sich an die Falten ihres Kleides. „Trinkt ihr nun alle Tage Chokolade, Tante Christel?“ fragt er aufgeregt, „und sitzt ihr immer Sonntags im Herrschaftsstuhl in der Kirche?“

Sie schüttelt den Kopf und sieht den prächtigen vierjährigen Burschen gerührt an; er ist ihres Mannes Patenkind. „Nein, Antonchen, weder das eine noch das andere.“

„Sag’ nur der Tante Christel, sie soll dich mitnehmen,“ ruft Louischen laut lachend.

„Nimm mich mit, Tante,“ bittet das Kind, „weil du ja doch keinen Jungen hast!“

Die Pastorin reißt das Bürschchen zurück. „Hast du deine Mutter nicht mehr lieb?“ fragt sie streng, „möchtest du fort von ihr?“

„Du kannst mich doch besuchen!“ heult der gekränkte kleine Mensch. Dann aber schließt er die Arme um seine Mutter, stürmisch zärtlich, und widerruft bitterlich weinend sein Verlangen: „Nein, nicht fort, Mama! Nicht fort – bei dir bleiben!“

Die Pastorin wirft Christel einen stolzen Blick voll Mutterfreude zu. „Ich bin reicher als du!“ steht darin, „ich tausche nicht mit deinem großen Schloß um eins meiner Lieben. Arme Christel!“

„Ich muß nun gehen,“ sagt diese fröstelnd. „Guten Abend, Mutter – guten Abend, Schwestern!“

„Wann zieht ihr denn ein,“ ruft die Greisin einlenkend. „Ich will dir doch helfen,“ fügt Louischen großmütig hinzu.

„Ich weiß nicht, was Anto beschlossen hat,“ antwortet Christel und geht mit der Pastorin aus der Thür. Und auf der Treppe – der Bub’ ist schon voran gesprungen – umarmt die Pastorin die stille Frau. „Du kennst ja Mutter und Louischen, Christel? Sie können ihre Freude nicht so recht zeigen, aber ich kann dir sagen, ich freue mich so für euch, es ist schön, wenn Arbeit und Mühe so sichtbar gesegnet werden. Möge das alte Glück mit hinüberziehen in das Herrenhaus und –“ sie bringt ihren Mund ganz dicht an das Ohr der Schwester, „das Storchnest da drauf – weißt schon – möge dir Glück, bringen!“

Christel drückt ihr die Hand und geht schweigend hinaus auf die dunkle Dorfstraße. Der Wind hat sich stärker aufgemacht; in der Ulmenallee, die zum Gutshofe führt, schüttelt er die Aeste, daß sie ächzen und klappern. Das Schloß dahinter ragt massig und finster in die Nacht hinaus.

Und da hinein soll sie? Ihr ist’s plötzlich, als laure dort, in den weiten Gemächern, ein düsteres Unheil auf sie; und als könne sie seinem Anblick entgehen, biegt sie unwillkürlich vom Wege ab und schreitet hinter der Mauer des Schloßgartens bis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0044.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)