Seite:Die Gartenlaube (1898) 0034.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

0


Blätter und Blüten.


Wie viel „Veteranen der Paulskirche“ sind noch am Leben? Das Herannahen der Gedächtnistage des ersten Deutschen Parlaments hat das allgemeine Interesse für die Frage erregt, wie viel von den Männern, die vor fünfzig Jahren an der Frankfurter Nationalversammlung als Mitglieder teilnahmen, zur Zeit noch am Leben sind. In einem Berliner Blatte fanden wir die Zahl der Ueberlebenden auf sieben angegeben, doch ist dieser Angabe von andrer Seite mit der Vermutung begegnet worden: die Zahl müsse eine viel größere sein. Allerdings kann die Niedrigkeit der Ziffer zunächst befremden. Wenn man aber bedenkt, daß die Zahl der Mitglieder des Parlaments, die 1848 und 1849 in der Paulskirche saßen, sich im ganzen auf 766 belief, und weiter in Betracht zieht, daß nur ganz wenige dieser Männer vor fünfzig Jahren ein Alter unter dreißig Jahren gehabt haben, während die Mehrzahl schon damals betagt war, so ist das Zusammenschmelzen der Zahl kaum noch erstaunlich. Wir folgen aber gern einer Anregung aus dem Kreise unserer Leser und lassen hiermit an alle noch am Leben befindlichen „Veteranen der Paulskirche“ die herzliche Bitte ergehen, uns durch ein kurzes Lebenszeichen baldigst erfreuen zu wollen, damit eine genaue Feststellung ihrer Zahl möglich werde.

Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr geschlagen. (Zu dem Bilde S. 4 und 5.) Das Jahr 1812 wird stets eins der denkwürdigsten in der Kriegs- und Weltgeschichte bleiben; niemals hat der Massenmord, der sich an die Fersen der Welteroberer heftet, ein so schreckhaftes Antlitz gezeigt. Freilich, mörderischer als die Kugeln der Feinde waren in Rußland die Elemente; aber es war doch der unersättliche Ehrgeiz eines Einzigen, der sie in die Schranken gerufen und ihnen eine halbe Million von Menschenleben geopfert hatte – ja, so groß war die Zahl der Toten, die auf den Eis- und Schneefeldern des mächtigen Reiches geblieben waren, als der Imperator auf eiligem Schlitten vom Schauplatze seiner Niederlage hinwegfloh! Als die Nachricht von dem furchtbaren Schicksal der „großen Armee“ im Dezember 1812 nach Berlin kam, wurde sie auch vom Turnvater Jahn sofort in ihrer Bedeutung für die patriotischen Hoffnungen der Deutschen gewürdigt. Auf seine Anregung dichtete der damalige Primaner Ferdinand August das bald danach vielgesungene Lied, welches mit der Strophe beginnt:

„Es irrt durch Schnee und Wald umher
Das große, mächt’ge Franzenheer.
Der Kaiser auf der Flucht,
Soldaten ohne Zucht.
Mit Mann und Roß und Wagen
Hat sie der Herr geschlagen.“

Das ausdrucksvolle Bild von Arthur Kampf zeigt uns, wie auf dem Rückzuge aus Rußland begriffene Franzosen durch ein deutsches Städtchen ziehen; elend, zerschunden, in Lumpen gehüllt, von allen möglichen Krankheiten geplagt, wanken sie zum Thore herein – vor Monaten waren sie vielleicht durch dasselbe Thor stolz und glänzend in den Krieg gezogen. Jetzt schreiten sie stumpf und empfindungslos weiter, unbekümmert um den Eindruck, den sie auf die zusammenlaufenden Bürger des Städtchens machen, die teils mit Mitleid, teils mit verhaltenem Grimme diese Reste der „großen Armee“ vorüberziehen sehen. Alles Soldatische ist aus der Haltung dieser Unglücklichen geschwunden. Nur hier und dort zeigt sich noch ein Rest militärischen Ehrgefühls, wie bei dem Grenadier der ersten Reihe, der sich krampfhaft zusammennimmt, um noch den Schein eines kriegerischen Auftretens zu bewahren. Beim Anblick dieses Bildes muß man des Schillerschen Ausspruches gedenken: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.“

Der Kiwi. (Mit Abbildung.) Als vor wahrscheinlich erst wenigen Jahrhunderten die ersten Menschen die große Südseeinsel Neuseeland betraten, sahen sie dort ungeheure Vögel, die in der Gestalt unserem Strauße ähnlich waren, diesen aber an Größe weit übertrafen. Die Ankömmlinge, die Stammeltern der heutigen Maoris, kamen von Samoa (= Reich des Moa), und es ist erklärlich, daß sie in dem Ungeheuer ihren obersten Gott zu finden glaubten und es schlechtweg Moa nannten. Von ihrer Verehrung gegen diese Tiere kamen sie aber bald zurück, und es dauerte nicht lange, so hatten sie die Riesenvögel ausgerottet, noch ehe ein Weißer sie erblickt hatte. Alle Erzählungen der Maoris, daß noch heute im Innern der Insel die Moas lebend existierten, sind leider Fabeln, wie die ähnlichen Märchen über die großen Vögel auf Madagaskar. Nur in einer Miniaturausgabe sind uns noch Verwandte des Moa auf Neuseeland erhalten geblieben, nämlich die etwa einen halben Meter großen Kiwi oder Schnepfenstrauße.

Der Kiwi.
Nach dem Leben gezeichnet von A. Meyerhof.

Seitdem es Zoologische Gärten giebt, war es ein Lieblingswunsch der Leiter derselben, einmal lebende Kiwis dem Publikum zeigen zu können. Aber der Import bot große Schwierigkeiten. Als ich 1867 von Australien zurückkehrte, reiste ich mit einem Abgesandten der Tierhandlung Reiche in Alfeld, der mit 10 Kiwis die Einführung nach Europa versuchte. Umsonst! Der letzte starb im Roten Meer, obwohl der Kapitän (der leider später mit der „Elbe“ verunglückte Kapitän v. Goessel) wie auch die Passagiere sich in hohem Grade für die seltenen Gäste interessierten und es gewiß an nichts Nötigem fehlte. Seitdem gelang aber die Einführung wiederholt, und besonders hat der eifrige Zoologe Herr Walter von Rothschild in London durch große pekuniäre Opfer sich um diese Angelegenheit verdient gemacht. Aus seiner Sammlung zu Tring stammt auch das abgebildete, im Zoologischen Garten zu Frankfurt a. M. lebende Exemplar.

Durchaus flügellos, von dichtem Wollhaar umgeben, mit großem Schnurrbart und blöden Nachtaugen, macht der Vogel einen höchst sonderbaren Eindruck und rechtfertigt thatsächlich das Interesse, welches das Publikum ihm zollt. In jedem Beschauer wird der Wunsch wach, das Tier auch umherspringen und laufen zu sehen, was aber während des Tages bei dem absolut nächtlichen Gesellen nur mit Hilfe des Wärters möglich ist. Als Nahrung erhält der Kiwi feinstreifig geschnittenes Ochsenherz und Regenwürmer, die in einem Beet seines Käfigs tags über sich eingraben und die er dann des Nachts wieder hervorwühlt. In den Dämmerungsstunden springt er gleich einem Kaninchen umher und zieht sich bei Tagesanbruch in seinen Kasten zurück. In der Freiheit verbringt er den Tag in Erdlöchern am Fuß der Bäume, wo er früher gegen seine Feinde gesichert war; heute aber jagt man ihn leicht mit Hunden und in kurzer Zeit wird die Existenz des merkwürdigen Tieres der Geschichte angehören. Dr. A. Seitz.

Defoe am Pranger. (Zu dem Bilde S. 17.) Von den Romanen, welche zum litterarischen Besitztum aller Kulturnationen geworden sind, hat Defoes „Robinson Crusoe“ wohl die weiteste Verbreitung gefunden. Dieser eine Roman, der 1719 den wirklichen Erlebnissen eines Schiffbrüchigen nachgedichtet ward, hat dem Namen Daniel Defoes Weltruhm erworben, einen Ruhm, der bestehen wird, so lange die rege Phantasie der Jugend sich an den Abenteuern Robinsons auf seiner Insel ergötzt und so lange der außerordentliche erzieherische Wert des Buches geschätzt bleibt, das den Lebensgrundsatz „Hilf dir selbst!“ so eindringlich lehrt. Weniger allgemein bekannt sind die Verdienste, die sich Defoe als politischer Schriftsteller um sein Volk wie um allen volkstümlichen Fortschritt erworben hat, wobei er sich gleichfalls als ein Verfechter des Leitspruchs „Hilf dir selbst!“ bewährte.

Daniel Defoe war 1661 in London als Sohn eines wohlhabenden Londoner Handwerkers geboren, der einer Puritanergemeinde angehörte. Unter den Verfolgungen, denen die „Dissenters“ während der Regierungszeit des letzten Stuart ausgesetzt waren, wurde der feurige Jüngling ein eifriger Parteigänger Wilhelms von Oranien, der nach seinem Regierungsantritt dann auch für die Grundsätze religiöser Toleranz und bürgerlicher Freibeit eintrat. König Wilhelm wandte dem geistvollen Politiker seine Gunst zu und betraute ihn mit wichtigen Regierungsgeschäften. Aber unter der Königin Anna verfielen die Dissenters wiederum schwerer Verfolgung. In einer Flugschrift geißelte Defoe diese Unduldsamkeit. Ein Prozeß wurde gegen ihn angestrengt und man verurteilte ihn, dreimal am Pranger zu stehen, und zu sieben Jahren Gefängnis. Bevor noch die erstere Strafe an ihm vollzogen war, dichtete er in der Einsamkeit des Kerkers die „Hymne an den Pranger“. Er führte darin aus, wie das einzige Verbrechen, dessen man ihn zeihe, das Bekenntnis der Wahrheit gewesen sei; er sagte kühn, daß diejenigen, welche ihn an die Schandsäule stellten, damit nur über sich selber Schande brächten. Es gelang ihm vom Gefängnis aus, das Gedicht drucken zu lassen, und als am 29. Juli 1703 die Schergen ihn zum Pranger führten, um ihn dem Hohn und Spott der Menge preiszugeben, da gingen bereits seine Verse im Volke von Mund zu Mund. Die ihm zugedachte Demütigung ward sein Triumph. Begeisterte Verehrer umdrängten den Pranger,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0034.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2024)