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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

angerichtet worden, das in dieser delikaten Zusammensetzung der Deutsche eben nur an der „Waterkant“ kennt. Als wir neu gekräftigt wieder auf Deck kamen und bei gutem Rotspohn einen gemütlichen Kreis bildeten, waren wir allgemach bis ins Haff gekommen.

Die Sonne schien warm auf uns herab, das Schiff lief gerade mit dem Winde, so daß sich um uns kaum ein Lüftchen regte. Der freundliche Kapitän Last stieg von seiner Kommandobrücke und berichtete, daß das Thermometer in der Sonne und in der Nähe des dampfenden Schornsteins 1° Wärme zeige. Ich mußte lachen, denn just in diesem Augenblicke bemerkte ich, daß der Wein, der an dem Glase in meiner Hand abgeflossen war, sich in Eis verwandelt hatte. Und die Herren, welche Gläser mit Bier neben sich gestellt hatten, fanden in kürzester Zeit Eisstücke darin. Nichtsdestoweniger konnte man es in einem guten Pelz nicht nur ganz vortrefflich aushalten, sondern die reine, staubfreie, windstille Luft weckte die Empfindung eines milden lauen Tages.

Voll innigen Behagens ließ man das Auge über die eigenartig schöne Landschaft schweifen. Weit und breit dehnten sich die schneebedeckten Eisfelder aus, im Westen ragten ein paar Kirchtürme auf der Insel Usedom in die Luft, im Osten tauchten weißbeschneit die Lebbiner Berge auf. Nur undeutlich erkannte man auf der unendlichen Fläche einige schwarze Punkte: Fischer, die mit ihren Schlittengespannen in der Ausübung ihres Berufes auf das Eis gezogen waren. Dicht in unserer Fahrrinne sitzen ein paar Seeadler. Sie lassen das Schiff so nahe herankommen, daß man sie mit der Kugel wohl erreichen könnte. Aber sie fürchten keine Feindseligkeiten. Im Gegenteil schätzen sie die Eisbrecher als ihre Verbündeten im Kampfe ums Dasein, denn an dem offenen Wasser lauern sie auf die Fische, die sich unvorsichtig hervorwagen und so dem geflügelten Räuber zur willkommenen Beute werden.

Am Bollwerk in Swinemünde.

Allmählich hatten wir vor dem „Langenberg“, der uns mit dem Frachtdampfer im Schlepptau folgte (vergl. Abbildung S. 30), einen großen Vorsprung bekommen. Es wurde beschlossen, die so gewonnene Zeit zu benutzen, um die Fähigkeiten unseres Schiffes auch festem Eise gegenüber zu erproben. Wir bogen also aus der üblichen Fahrt rechts ab und arbeiteten uns in das Kerneis hinein. So ein Eisbrecher ähnelt in seiner äußeren Gestalt auffallend einer halben Walnußschale. Kurz und breit, ist er nicht darauf eingerichtet, mit scharfem Bug das Eis zu durchschneiden, sondern er schiebt sich mit seiner ganzen Schwere auf das Eis hinauf, zerbricht es so und drückt es zu beiden Seiten fort. Krachend barst es unter unserm Vordringen und gewaltige Platten, an 12 bis 15 Zoll stark, türmten sich aufeinander. Schließlich blieben wir innerhalb der massigen Trümmer liegen und unser unermüdlicher Maler benutzte die Gelegenheit, um von Bord zu hüpfen und uns wieder einmal zu photographieren. Ich glaube, es war die zwölfte Aufnahme und einige schwächliche Mitglieder der Expeditton fühlten sich durch das ewige „recht freundlich“ Aussehen schon sehr angegriffen. Es war ein wahres Glück, daß Küche und Keller – man gestatte den Ausdruck – unseres Schiffes so trefflich für unser leibliches Wohl sorgten, sonst hätte der unholde Photograph manchem den traurigsten Schaden an seiner Gesundheit durch andauerndes Exponieren anthun können.

Dann wurde die Fahrt fortgesetzt. Wir ließen das Haff hinter uns und bogen in die „Kaiserfahrt“ ein, welche man angelegt hat, um die mannigfachen Windungen des Swineflusses abzukürzen. Hier lag nur ganz dünnes Eis auf dem Wasser, das wie Glas aussah und Hunderten von wilden Enten zum Tummelplatz diente. Höchst übelgelaunt über die Störung, flogen sie kurz vor dem Dampfer auf, um gleich hinter ihm wieder in das offene Wasser einzufallen.

Allmählich zeigten sich auch einige Möwen und verkündeten die Nähe der See. Die Türme von Swinemünde tauchten auf, die schmucken Häuser mit ihren Lauben und Balkonen, die alten Bäume am Fluß, der Signalball der Lotsenstation – wir waren in Stettins Seehafen – diesmal nach schöner gefahrloser und genußreicher Fahrt! Denn ein bißchen verfrorene Ohren rechnen nicht mit.

Ganz anders sieht sich so ein Unternehmen an, wenn der Schneesturm heult und draußen in See ein Schiff im Eise festsitzt, das hereingeholt werden muß. Das brandende Meer hat in der Bucht einen mächtigen Eiswall von 10 bis 20 Fuß Höhe aufgetürmt. Ein Dampfer, der bei schwerem Frost seine Reise gemacht hat und an Rumpf und Takelwerk dick überfroren ist, sitzt in der gefährlichen Umarmung der Massen und kann weder vorwärts noch rückwärts, in steter Gefahr, erdrückt zu werden. Da geht denn der Eisbrecher hinaus und wirft sich in gewaltigem Anprall auf die gefrorene Mauer. Das gute Schiff kracht in allen seinen Fugen und den wetterharten Männern, die es führen, schlägt das Herz laut in der rauhen Brust. Aber das Menschenwerk erweist sich wirklich stärker als der trotzige Bau der Naturgewalten. Der Wall bricht, die kühne That gelingt und freudigen Herzens bringt man das Schiff mit Mannschaft und Ladung glücklich in den Hafen.

Nach kurzem Aufenthalt in Swinemünde ward die Rückfahrt angetreten. Da die Fahrstraße nur erst leicht überfroren ist, so geht die Reise glatt und schnell von statten. Allmählich senkt sich die Dunkelheit herab und in der traulichen Kabine versammelt sich alle Welt zu gemütlichem Mittagsmahl. Da wird manch frohes Glas getrunken, und nicht zuletzt auf unsere gute Handelsstadt Stettin. Denn eine Handelsstadt ist die alte Residenz der pommerschen Herzöge und der Handel wird immer ihre vornehmste Lebensbedingung bleiben, obwohl eine große Garnison und die zahlreichen Beamten der Provinzialhauptstadt nicht verfehlen, ihr auch nach andern Seiten hin ein eigenartiges Gepräge zu geben. Eine Handelsstadt war Stettin bereits im Mittelalter, wo es Mitglied der Hansa wurde. Seit den Wirren des Dreißigjährigen Krieges hat die Stadt wiederholt ihre Herren wechseln müssen, bis sie zu Anfang des 18. Jahrhunderts dauernd unter die preußische Herrschaft kam. Seitdem war Stettin in fortschreitender Entwicklung begriffen und wurde auch zu der wichtigsten Industriestadt der Provinz Pommern. Wo einst wendische Fischerhütten standen, arbeiten heute gewaltige Dampfmaschinen, erheben sich Fabriken aller Art und Werftanlagen, deren Erzeugnisse sich in der weiten Welt des besten Rufes erfreuen. In gleicher Weise entwickelte sich auch der Handel Stettins. Während der letzten Zeit liefen alljährlich in den Hafen, der von dem Oderstrom und seinen Nebenarmen gebildet wird, allein über 3000 Seedampfer und über 1200 Segelschiffe ein; dazu kamen noch die zahlreichen Küstenfahrzeuge und gegen 12 000 Oderkähne. Stettin besitzt direkte Dampferverbindungen nicht allein mit allen wichtigen Plätzen der Ost- und der Nordsee,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0031.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)