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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Ein Tag an Bord eines Eisbrechers.

Von Gustav Klitscher. Mit Abbildungen von W. Stöwer.

Ein kalter, klarer Frostmorgen strahlte im hellen Licht der späten Wintersonne über meiner guten Vaterstadt Stettin, als ich mich an einem Januartage des vorigen Jahres auf den Weg machte zu dem Eisbrecher, der uns durch die Eismassen der Oder und des Haffs nach Swinemünde an die Küste der Ostsee bringen sollte. Ueber den schönen neuen Vierteln, die auf den hochgelegenen Glacis vor den Thoren der ehemaligen Festung entstanden sind, lachte ein blauer Himmel, der Wind wehte schwach, kaum merklich von Südosten, nur das Knirschen des hart gefrorenen Schnees zeugte von der grimmigen Kälte der vergangenen Nacht. Als ich mich aber dem Hafen näherte, quoll aus den engen Gaffen der alten Stadt braungrauer, dichter Qualm mir entgegen, wie der Rauch aus tausend Fabrikschloten. Aus dem breiten Flußthal dampfte ein undurchsichtiger Nebel empor, der mich kaum den Platz finden ließ, wo am Bollwerk unser „Berlin“ festgemacht war. Mir wurde um den Erfolg unserer Fahrt bange. Aber die anderen Teilnehmer waren guten Mutes. Unser Maler erklärte, daß er selbst im dicksten Nebel Würde skizzieren und photographieren können, und da der liebenswürdige Chef der allen Besuchern der Ostseebäder wohlbekannten Reederei Bräunlich, welcher die Eisbrecher unterstellt sind, persönlich erschienen war, um für das allgemeine Wohl zu sorgen, so kehrte allmählich die Zuversicht wieder zurück.

„Brrr, meine Herren, es ist abscheulich! Wir haben 16 ° Réaumur.“

„Kälte?“ brummte ein Gemütsmensch unter seinem Schnurrbart hervor, an dem dicke Eiszapfen hingen.

Diese lieblose Frage wurde mit der gebührenden stillschweigenden Verachtung hingenommen. Nur das einförmige Klipp-Klapp von Stiefeln, deren Inhaber sich durch eine gewisse rhythmische Bewegung zu erwärmen suchten, tönte eine Weile durch die Stille. Viel mehr Anklang fand dagegen die Versicherung eines alten wettererfahrenen Lotsen, daß es gegen 10 Uhr aufklaren würde. Wir gingen also an Bord, um uns die Zeit des Wartens so gut es eben möglich war, zu vertreiben. Der „Berlin“ legte trotz des Nebels vom Bollwerk ab, da ertönten auch schon die gellenden Töne einer Dampfpfeife. Auf zehn Schritt war nichts zu sehen. Plötzlich tauchte dicht neben uns der zweite Eisbrecher auf, der uns mit einem großen Seedampfer im Schlepptau in der von uns gebrochenen Rinne folgen sollte.

Wieder hieß es stillliegen.

Die Sonne schimmerte durch die weißdampfende Luft wie ein scharf umrissener, blaßgelber Teller hindurch. Man konnte ohne Schaden für die Augen gerade in sie hineinsehen. Uebereinstimmend bemerkten wir genau in der Mitte der Scheibe einen dunklen Punkt, den wir alle, Landratten und seebefahrene Männer, noch niemals gesehen hatten. Wir tauften ihn, weil der wartende Mensch doch schließlich etwas zu thun haben muß, mit dem ganzen Stolz naturwissenschaftlicher Entdecker den Bräunlichschen Sonnenfleck. Und als hätte sich Frau Sonne nach Frauenart unserer allgemeinen Aufmerksamkeit gefreut – sie machte das Wort des wetterkundigen Mannes wahr, verscheuchte endlich allen häßlichen Dunst und bescherte uns den prächtigsten Wintertag, den sich unser Herz nur wünschen konnte.

Nun habe ich wohl, Gott sei Dank, eine ganze Weile von dem im allgemeinen verpönten Wetter gesprochen, sitze dabei immer noch im Hafen von Stettin und der Vorwurf geistiger Verarmung wird mir nicht erspart bleiben. Wenn man aber so von den himmlischen Gestirnen abhängig ist wie bei nautischen Unternehmungen, dann mag es schon verziehen werden, daß sie im Vordergrund der Beobachtung stehen. Es wird auch im folgenden noch öfters von Wind und Wolken die Rede sein müssen.

Vorerst aber hieß es: „Volldampf voraus“. Die Schraube begann zu arbeiten und knirschend barst das Eis unter dem Bug unseres „Berlin“. Da die Eisbrecher täglich zwischen Stettin und Swinemünde verkehren, so ist im Strombett eine abgegrenzte Fahrrinne gebrochen, deren Eistrümmer zwar jedesmal nach der Durchfahrt der Schiffe baldigst wieder zusammenfrieren, die naturgemäß aber viel leichter passiert werden kann als gewachsenes Kerneis. So geht die Fahrt verhältnismäßig rasch stromabwärts.

Wir schicken uns an, die mannigfach wechselnden Bilder am Ufer zu betrachten; aber als wir unsern Platz verlassen wollen, wird uns die scherzhafte Ueberraschung, daß wir mit unsern Filzgaloschen, die wir über die Stiefel gezogen haben zwecks

Die Sonne im Morgennebel.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0029.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)