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zwar nie einen – hatte sie sich immer ganz anders vorgestellt. Der sah ja beinahe aus wie ein Gardelieutenant in Civil.

Daß es noch eine andere Welt gab als die ihr gewohnte, daß sie jenseit des Hofes, der Regierung und der Armee auch noch sprachen und fühlten und lachten, daran hatte sie bis dahin nie gedacht, bis sich nun mit einem Male vor ihren staunenden Augen diese andere nie gekannte Welt aufthat, hier in der fernen Stadt, in dem fremden Manne, mit dem ein Eisenbahnzufall sie zusammengeführt.

Und mit diesem Manne saß sie nun in der kleinen blumenumrankten Nische an dem kleinen Tischleindeckdich, das ihr wie aus der Tiefe hervorgezaubert schien, und der gravitätische Oberkellner bediente sie lautlos wie ein Geist. Und sie besiegte die anfängliche Befangenheit und ließ es sich schmecken wie ihr Gefährte und plauderte mit ihm im Ernst und im Scherz, bis es die höchste Zeit war, aufzustehen, und sie nun durch die feiernde Abendstille schritten auf unbekannten Pfaden, als wäre es immer so gewesen, als müßte es für alle Zeit so bleiben.

Jetzt bogen sie den Neuen Weg zum Schlosse ein; die Aussicht wurde weiter und schöner, die Luft freier und frischer. Ein jeder schien beschäftigt mit geheimen eigenen Gedanken, die Worte nicht aussprechen konnten. Durch schöne Garten- und Blumenanlagen führte sie in sanfter Steigung der Weg allmählich in den Schloßgarten. Die Blumen dufteten, die Vögel sangen ihr Abendlied, in weichem Blau wölbte sich über ihnen der weite Himmel.

Das Fräulein fühlte ihr Herz hörbar schlagen.

Ob es von dem Steigen kam? Sie lächelte. Sie hatte auf ihrer Reise ganz andere Bergwege gemacht und nie ihr Herz gefühlt. Es war heute eben alles anders als sonst.

Plötzlich gedachte sie ihres Vaters. Sie erschrak. Es war das erste Mal auf dem ganzen Wege, daß ihre Gedanken bei ihm waren. Das kam sonst nicht vor. Wenn er das ahnte! Er war immer so stolz darauf, daß er ihr ausschließliches Interesse in Anspruch nahm.

„Der arme Vater!“ seufzte sie halblaut vor sich hin.

„Ja,“ fiel Rupert ein, „er thut mir auch von Herzen leid. Um sein schönes Souper im Frankfurter Palmengarten ist er nun gekommen, und er hatte es schon vier Wochen vorher notiert.“

Der Scherz schien ihr nicht zu gefallen. Die Mundwinkel zuckten ein wenig, um die roten Lippen spielte wieder jener leise Zug von Hochmut, den er anfangs an ihr bemerkt hatte.

Ihn beirrte das wenig.

„Aber Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Der Herr Papa – pardon, Excellenz wollte ich sagen – Excellenz haben wenigstens gut gevespert.“

Sie war eigentlich böse auf ihn. Sie nahm sich vor, es ihm zu zeigen. Aber es ging nicht; als sie in sein ehrliches, treues Gesicht sah, das so seelenvergnügt und harmlos bei diesen kleinen Spöttereien dreinschaute, mußte sie lächeln. Und als er das merkte, wurde er ganz übermütig und erlaubte sich einen kleinen Scherz nach dem andern. Aber sie waren alle so launig und unschuldig, daß das Fräulein auch den letzten Widerstand aufgab und sie nun beide aus heller Kehle lachten wie die Kinder – sie wußten nicht weshalb, aber sie lachten und freuten sich, wie nur Menschen lachen und sich freuen können, die von ganzem Herzen glücklich sind.

Mit einem Male aber wurde sie ernst. Sie standen vorm Schloß. Nein, das war zu schön, zu überwältigend, um es anders als mit frommer Andacht anschauen zu können!

(Schluß folgt.)


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Erkältung.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Es gab eine Zeit, da führte man all die Gebresten, welche das schwache Menschengeschlecht plagen, auf „Erkältung“ zurück, und dann kam wieder eine Periode, in welcher man jedermann verlachte, welcher der Erkältung irgend eine Bedeutung beizulegen sich unterfing. Die ärztliche Wissenschaft der Gegenwart nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein. Zwar ist der Begriff der Erkältung noch nicht vollkommen geklärt und die Art ihrer krankmachenden Wirkung noch keineswegs widerspruchsfrei dargelegt – allein darüber herrscht kein Zweifel mehr, daß unter den Krankheitsursachen dem Vorgange der Erkältung eine weder seltene noch unbedeutende Rolle zukommt. Man denkt dabei an die nachteilige Wirkung, welche die Kälte besonders durch plötzliches Eintreten, oder durch den Wechsel nach bedeutender Wärme, oder durch unmittelbare Berührung mit unbedeckten Körperteilen des Menschen auf den gesamten Organismus ausübt, und schreibt die Vermittlung dieser Verkühlung in erster Linie der Haut zu.

Unsere Haut, welche die sorgsam schützende Hülle des ganzen Menschen bildet, hat eine Fülle von bemerkenswerten Funktionen. Durch diese allgemeine Bedeckung findet ein Gaswechsel, ähnlich wie durch die Lungen, statt, indem Kohlensäure und Wasser ausgeschieden, Sauerstoff und andere gasförmige Körper aufgenommen werden; durch die Haut wird der Schweiß abgesondert und ein wesentlicher Einfluß auf die Wärmebildung im Körper geübt. Sie vermag ferner manche flüchtigen Stoffe aufzusaugen, ganz besondere Bedeutung aber hat sie als Sinnesorgan. In der Haut befinden sich Nervenfasern und eigene, mit den Nervenenden verbundene Apparate, durch welche die Empfindungen von Druck und Schmerz zum Bewußtsein gelangen, durch welche der Gefühlssinn, der Tastsinn, der Ortssinn sowie der Temperatursinn zum Ausdrucke kommen. Physiologische Untersuchungen der Neuzeit haben dargethan, daß in der Haut gesonderte Nervenapparate für Empfindung von Wärme und Kälte vorhanden sind und daß der Wärmesinn an Stärke und Kraft weit geringer angelegt ist als der Kältesinn.

Der menschliche Körper, in welchem der innere Verbrennungsprozeß stets Wärme erzeugt, hat durch merkwürdige (hier nicht zu erörternde) Einrichtungen die Eigentümlichkeit, im gesunden Zustande eine gleichmäßige Körpertemperatur, welche etwa 37° C. beträgt, zu bewahren. Diese Eigenwärme wird vom Körper am leichtesten bei einer Temperatur der uns umgebenden Luft von 27° C. behauptet, er kann sie aber auch bei Einwirkung von Kälte in kürzerer Dauer und bis zu bestimmten Graden infolge besonderer Schutzvorrichtungen gegen Temperaturangriffe wahren. Hochgradige oder längere Zeit einwirkende Kälte der äußeren Umgebung bringt bedeutenden und dauernden Abfall der Körpertemperatur nicht nur an der Oberfläche, sondern auch an den inneren Organen zustande. Dieser Abfall der gesamten Temperatur des Körpers erscheint, wenn die Abkühlung gewisse Grenzen erreicht hat, für das Leben bedrohlich; Körpertemperaturen unter 22° C. sind an Lebenden nicht beobachtet worden. Auch in geringerem Grade verminderte Wärme der Luft führt durch die Berührung der Haut mit der kälteren Luft und durch die Einatmung derselben zu vermehrtem Wärmeverluste, welcher von gesunden Menschen leicht vertragen wird, bei schwächlichen, in ihren Kräften erschöpften und in ihrer Wärmebildung heruntergebrachten Personen aber als schädlich empfunden wird und sich in mancherlei Störungen der Organthätigkeiten bekundet.

Weit größer und häufiger sind diese Störungen, wenn die Kälte, auch selbst in geringeren Graden, ganz plötzlich, unvermittelt das Hautorgan trifft, besonders dann, wenn dieses gerade im Zustande einer höheren Erwärmung sich befindet, wobei die Hautgefäße erweitert sind, eine reichlichere Menge Blut die Haut durchströmt oder die Schweißabsonderung derart stark vor sich geht, daß sich der Schweiß als wahrnehmbare Flüssigkeitsmenge an der Hautoberfläche ansammelt. Das plötzliche Verdrängen des Blutes aus den Hautgefäßen durch die Kälte und das Stauen dieses Blutes gegen die inneren Organe, die jähe Unterdrückung der Abgabe des Wasserdunstes von der Haut, die gewaltsame Störung der eben erhöht eingeleiteten Wärmeabgabe von der Körperoberfläche, die lähmende Einwirkung des raschen Kälteangriffs auf die Hautnerven, das sind Schädlichkeiten, welche sich summierend zur Erkältung gestalten und Störungen der Nervenleitung wie der Blutverteilung im gesamten Körper herbeiführen, zu Erkrankungen der äußeren Haut, der Muskeln, Nerven, der Schleimhäute, wie innerer lebenswichtiger Gewebe Anlaß geben können.

Da fährt z. B. jemand während einer kalten Winternacht im überheizten Eisenbahnwagen und sucht sein von Schweiß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0026.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)