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schwärmerische Patriot Pfarrer Weidig von Obergleen und der als Schöpfer der kurhessischen Verfassung hochverdiente Marburger Professor Sylvester Jordan sind die berühmtesten Opfer dieser Inquisitionsjustiz. Der Hauptredner von Hambach, Johann Georg Wirth, mußte auf Jahre in den Kerker wandern; den früheren Bürgermeister von Würzburg, Wilhelm Joseph Behr, und den Redakteur des Bayrischen Volksblatts, Gottfried Eisenmann, ereilte dasselbe Schicksal, und ihre Haft erstreckte sich auf nahezu 15 Jahre. Zu ihrer besonderen Demütigung ließ Ludwig I sie vor seinem Bilde feierlich Abbitte leisten. Es kam die Zeit, da den Dichtern des „Jungen Deutschlands“, welche zuerst Metternichs System mit den Waffen der Poesie und der Satire bekämpft hatten, das Schreiben überhaupt untersagt ward, die Schriften von Heine, Börne, Gutzkow, Laube und ihren Gesinnungsverwandten, darunter die freiheitatmenden Dichtungen des österreichischen Grafen Auersperg (Anastasius Grün), sämtlich verboten wurden. Ebenso ging es den neuen freisinnigen Blättern in Baden: sie mußten eingehen, die meisten ihrer Redakteure wurden in Strafprozesse verwickelt, wenn sie nicht in das Ausland, nach Frankreich, der Schweiz, flüchteten; dies letztere that auch Karl Mathy, der jugendliche Redakteur des Karlsruher „Zeitgeistes“. Rotteck und Welcker wurden nach Unterdrückung des „Freisinnigen“ ihrer Professuren enthoben. Andere Führer der liberalen Bewegung sahen sich gezwungen, ihre Aemter niederzulegen, um ihr Abgeordnetenmandat zu erfüllen, weil die Regierung ihnen den Urlaub verweigerte. In Württemberg mußte deshalb Ludwig Uhland auf seine Tübinger Professur. Friedrich Römer auf sein Amt als Kriegsrat verzichten: Paul Pfizer hatte sich schon vorher veranlaßt gesehen, wegen seiner von edelster Vaterlandsliebe diktierten Schrift „Briefwechsel zweier Deutschen“, welche die patriotischen Hoffnungen der Deutschen auf den innigen Anschluß an Preußen verwies, für dieses aber die Verleihung einer freisinnigen Verfassung verlangte, aus dem Staatsdienst zu scheiden. Heinrich von Gagern, der in Hessen-Darmstadt an der Spitze der Kammeropposition stand, wurde mit Jaup und anderen direkt seines Amtes entsetzt. Die große Beliebtheit, die Uhland als Dichter in allen Kreisen der Nation genoß, auch in solchen, wo man sein mannhaftes Eintreten in Lied und Rede für das „alte gute Recht“ nicht zu würdigen vermocht hatte, lenkte die allgemeine Teilnahme auf diese Vorgänge. Noch größere Empörung rief aber überall, wo deutsche Herzen für das Vaterland schlugen, der Willkürakt des Königs Ernst August von Hannover hervor, der 1837 bei seiner Thronbesteigung die liberale Verfassung, die erst vor wenigen Jahren sein Vorgänger dem Lande gegeben, mit einem Federstrich beseitigte. Nur jene berühmt gewordenen „Göttinger Sieben“ fanden den Mut zu einem Proteste; Amtsentsetzung und Landesverweisung war das Schicksal der Tapfern. Die sieben Göttinger Professoren waren sämtlich erlauchte Vertreter der deutschen Wissenschaft, der Theologe H. Ewald, der Jurist E. Albrecht, der Naturforscher W. Weber nicht minder als die beiden Historiker Dahlmann und Gervinus, in deren Werken sich kraftvoll eine liberale Gesinnung aussprach, nicht minder als die allverehrten Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, deren Forschen und Schaffen mit heiliger Andacht der Pflege des Deutschtums und der Vaterlandsliebe geweiht war. Jakob Grimm, Dahlmann und Gervinus wurden nach Verlauf dreier Tage, von Kürassieren bewacht, über die Grenze geschafft. In Dahlmann traf die Verbannung den Schöpfer des Entwurfs zu der so schmählich beseitigten Verfassung.

In dieser Zeit hohnvollen Triumphes der Metternichschen Gewaltpolitik faßte Itzstein den Plan, der sichtlich vorhandenen Verschwörung der Bundesfürsten gegen das Freiheits- und Einheitsverlangen des deutschen Volkes eine Organisation gegenüber zu stellen, welche die vereinzelten Bestrebungen im Volke zu gunsten der Freiheit und Einheit in einen Zusammenhang brächte. Die Entrüstung, welche der hannöversche Verfassungsbruch und die Ausweisung der „Göttinger“ allenthalben in Deutschland weckten, die Teilnahme, welche eine von ihm mit anderen eingeleitete Sammlung für eine Nationalgabe an die schwergeprüften Männer allgemein fand, brachte ihm zum Bewußtsein, mit welcher Macht sich unter dem Drucke der Reaktion das nationale Gemeingefühl auch außerhalb Badens entwickelt hatte. Für jeden Märtyrer erstand ja überall eine ganze Schar von neuen Pionieren. Besonders in Leipzig, Königsberg und anderen deutschen Universitätsstädten hatte sich bei dieser Gelegenheit gezeigt, wie tief dies Empfinden bereits ins Volk gedrungen war. Da aber zur Zeit bei der völligen Unterdrückung der Presse der parlamentarische Kampf in der Kammer als das einzige Mittel erschien, gegen die Reaktion zu wirken, so beschloß Itzstein mit Welcker und anderen politischen Freunden, zunächst ein Zusammenwirken von Führern der Opposition in den politisch regsamsten deutschen Landtagen herbeizuführen.

W. Grimm. G. Gervinus. J. Grimm.
W. Weber. F. C. Dahlmann.   H. Ewald. E. Albrecht.
Die Göttinger Sieben.

Und so kamen im Herbst 1839 auf Itzsteins Einladung Männer dieser Gesinnungsgemeinschaft erstmals am schönen Rheinstrom zu geheimer Beratung zusammen.

(Fortsetzung folgt.)


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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0015.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2019)