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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


wenn er nicht mit acht Beinen kommt zum Landwirtschaftlichen Verein! – Guten Abend, Frau Mohrmann.“

Christel steht abends am Fenster und betrachtet das Schloß, von dem jetzt in einigen Fenstern Licht schimmert, mit ganz andern Augen als bisher. Dann denkt sie an ihren Anton.

Gottlob, daß sie in so guten bürgerlichen Verhältnissen ist und einen so einfachen sparsamen Mann hat. „Was nützt einem solch Schloß, wenn das nicht da ist, was dazu gehört,“ sagt sie halblaut, „und wenn es da ist, dann die Last mit dem ‚Noblesse oblige‘! Ich möcht’s nicht, um die Welt nicht!“

Sie setzt sich dann noch mit dem Wirtschaftsbuch an den Sekretär Antons, den Schlüssel hat sie, und verrechnet die Einnahmen. Eine große Partie Daunen und gerissene Federn hat sie heute verkauft an einen Händler aus Dresden, ebenso einen halben Centner Backobst, das sie entbehren zu können glaubt.

Sie hat auch noch von der Butter zum eigenen Gebrauch in die Herrschaftsküche geliefert, ebenso Eier; sie ruht nicht, bis alles dasteht. Dann faltet sie die Hände und sinnt.

Wenn sie so ganz allein ist, geht’s ihr immer durch den Kopf, daß sie keine Kinder ihr eigen nennt. Einmal hat ihr Mann sie überrascht, wie sie bitterlich darüber weinte. „Ach, Christel,“ hat er gesagt, „gräme dich nicht! Wenn man so mit ‚nischt‘ anfängt wie wir, sind Kinder eine Last; sie machen das Sparen unmöglich, halten den Beutel immer offen. Höre, ich wüßte gar nicht, wie’s werden sollte mit ein paar Schreihälsen! Da müßte man sich ja wahrhaftig wieder ein Möbel anschaffen wie die Helbig!“

Nein, gottlob, er vermißt es nicht; der ganze Mann geht auf in der Wirtschaft. Sie hat auch nie wieder geweint, daß er es sah, und jetzt – jetzt hat sie sich drein gefunden, jetzt, wo sie einunddreißig wird. Eine Liebesheirat ist’s nicht gewesen, das hat sie schon vor der Hochzeit gesagt zu ihrer Mutter. „Er will eine Gehilfin haben, Mutter, eine Respektsmamsell, die er nicht zu bezahlen braucht. Schön! Ich bin lieber bei meinem eignen Mann in Stellung als bei einem fremden, und er soll sich nicht in mir getäuscht haben.“ Er hat sie auch immer gut behandelt, sehr gut! Zu Vergnügungen hat er sie freilich nie geführt, und putzen darf sie sich auch nicht. „Danke schön! So eine seidene Fahne – wieviel Scheffel Weizen rechnest du die? Und dann das Kartenspiel und der Wein auf so einem Ball! Wenn du ausgehen willst, geh’ zu deiner Schwester, und einladen magst du sie auch.“

Sie ist völlig einverstanden; als ob sie Gefallen an so etwas fände! Die Zeit – ach sie kann sich kaum noch auf die Zeit besinnen, da sie sich geputzt hat für den einen, den einen, dem ihre junge Liebe gehörte. Schön ist’s gewesen, süß ist’s gewesen, aber schließlich doch ein Jugendtaumel. Jetzt aber ist’s noch tausendmal süßer, mit ihm zu arbeiten, so ein ernstes richtiges Glück. Sie hat ihn lieber, alle Tage lieber! Wie sehr? Das fühlt sie erst jetzt, wo er fern ist von ihr, zum erstenmal fern.

Am andern Morgen kommt Anton zurück, in froher Laune, und aus seinem Rocke nimmt er eine geschwollene Brieftasche, die Wertpapiere enthält, welche er gekauft hat für das Erbteil seiner Frau.

„Hier, Altchen, ist dein Vermögen,“ sagt er und legt’s auf den Tisch, „ich hab’s gleich angelegt in sicheren Papieren, die übrigens bald steigen werden.“

„Behalt’s nur, Anto, ich versteh’ davon nichts, und was mein ist, ist dein, du weißt’s ja,“ antwortet sie und streichelt seine Hand. Sie sitzen allein bei Tische und Christel erzählt von der plötzlichen Rückkehr der Wartaus.

„Hab’ schon unterwegs davon gehört,“ erklärt er. „Für Nizza langt’s wohl auch nicht mehr; sie wollen in der eigenen Höhle Hungertatzen saugen. Hm, Nizza – ’s ist verflucht nahe bei Monte Carlo.“

„Mir thun sie leid, die Menschen. Heine behauptete gestern abend, ohne die Schulden könnten sie leben –“

„Nun, und ob die leben könnten! Wie die Fürsten könnten sie leben! Wenn ich das Ding zu eigen hätte, schuldenfrei – –. Himmel Herrgott, wenn man das kaufen könnte, Christel!“

„Dir sind die paar Thaler zu Kopfe gestiegen, alter Freund,“ sagt Christel lachend. „Kannst du dir mich vorstellen als Schloßfrau?“

Er antwortet nicht, er ißt, auf einen Punkt starrend, seine Suppe.

„Na,“ fragt er endlich, sich selbst zurückrufend, „hast mich vermißt, Christel?“

„Und wie, Anto!“ erwidert sie herzlich. „Mir ist’s überall gewesen, als müßt’ ich ersticken, so leer und so tot; gehst hoffentlich so bald nicht wieder fort!“

„Na, ich kann dir sagen, Kind, ich bin auch froh, wieder daheim zu sein. So’n Gasthausfutter und solche Betten – einfach schauderhaft!“

Sie lächelt. Einen Augenblick hat sie erwartet, er werde sagen: ‚Auch du hast mir gefehlt!‘ Aber er betont nur seine gewohnte Behaglichkeit.

„Nimm doch von dem Kalbsbraten,“ nötigt sie und streichelt über sein Haar. Ja, ja, sie weiß es ja längst, aus Liebe hat er sie nicht genommen, aber er kann vielleicht nicht anders lieben. Wenn sie nur wüßte, was seine Mutter in ihrer Todesnacht immer geredet hat von einer „Fränze“, die ihn toll gemacht habe. Wenn sie sich daran erinnert, wird sie jedesmal unruhig; vielleicht hat er diese Fränze anders geliebt? Bei dem Gedanken errötet sie stets, er thut ihr weh, und hastig geht sie in die Küche.

Dort schilt sie sich aus. Was ihr nur einfällt auf ihre alten Tage, ja, was ihr nur einfällt! Und dabei nimmt diese Unbekannte heute – Christel muß stets an sie denken, wenn Anto jede, auch jede Gelegenheit, wo er ihr einmal etwas Herzliches sagen könnte, übersieht – das Gesicht der Dame an, die dort im Schlosse über dem Schreibtisch des alten Barons hängt. Wenn die etwa so ausgesehen hat, dann … ja dagegen – so eine robuste Landpomeranze, wie sie ist!

Nun ist’s übrigens Zeit, wieder vernünftig zu werden! Wie kann sie sich nur so aus dem Gleichgewicht bringen lassen? Aber wahr ist’s, sie gesteht es sich jetzt ganz freimütig ein: es ist schrecklich, so allein zu sein, ohne ihn – daher ist sie nervös. Er ist doch ihr alles, denn – sie hat ja keine Kinder!

Als sie wieder nach oben kommt, sitzt Anton und rechnet in seinem Notizbuche.

„Fünfunddreißig Mark fünfzig Pfennige hat der Spaß gekostet,“ sagt er, „schreib’s an, Christel; du siehst, ich war solide, der Pastor hat mindestens das Doppelte verbraucht.“

„Wieso denn? Ihr wart doch immer zusammen?“ fragt sie.

„Bis auf die Stunden, in denen er alle Läden auf dem Bohlwege unsicher machte,“ lachte Anton. „Dem ließen natürlich die zehntausend Thaler keine Ruhe, er hat zusammengekauft, als wär’s Weihnacht, ein Schwarzseidenes für deine Schwester, ein Tuch aus Chenille, oder wie er das Zeug nennt, für die Mutter und einen ‚Pompadour‘ für Louischen; von den Puppen und Trommeln und Bleisoldaten will ich lieber schweigen. Ich habe bei mir gedacht: Gottlob, den Krempel kannst du dir sparen, hast eine vernünftige Frau – basta!“

Sie steht jetzt vor ihm und legt die Hand auf seine Schulter. „Würde es dir denn wirklich keine Freude gewesen sein, Anto, wenn du – –“ fragt sie, und ihre Augen sehen aus leicht erblaßtem Gesicht forschend in die seinen – „wenn du auch so – eine – so eine Schachtel Soldaten zum Beispiel – Anto –?“

Er lacht unbefangen, gutmütig. „Mach’ keine Redereien über Dinge, die nun mal nicht sind! Was nicht ist, ist nicht, Christel. Hoffentlich denkst du nicht, ich hätte dir auch ein seidenes Fähnchen mitbringen können?“ fügt er hinzu. „Aber nein, Christel, das denkst du nicht! Und mitgebracht habe ich dir doch was, wo werd’ ich nicht! Eine neue Wringmaschine, die hast du dir gewünscht. Die Wäsche soll gar nicht leiden dabei, behauptet der Kerl im Geschäft.“

„Ich danke dir schön, Anto,“ sagt Christel erfreut. „Das ist mir wirklich sehr lieb.“

Dann räumt sie den Tisch vollends ab.

(Fortsetzung folgt.)




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