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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

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Blätter und Blüten.



 Wir gratulieren.
 (Zu unserer Kunstbeilage.)

Neujahr – Neujahr –
Ein froh Neujahr!
Thut auf die Thüren:
Wir gratulieren!

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Wir sind zwei Englein vom Himmel gefallen

Und bringen die fröhliche Botschaft allen:
Es dauert nicht lange, Hallelujah!
Dann ist der Frühling schon wieder da.
Wir haben schon tausend Blumen gesehn

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Fix und fertig im Himmel stehn:

Maßliebchen und Veilchen traut,
Anemonen und Lungenkraut,
Stiefmütterchen und Löwenzahn,
Waldmeisterlein dazwischen gethan –

15
Alle Englein sitzen

Und schwitzen,
Weben Sonnenstrahlen
Und malen –
Ein bißchen noch warten,

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Ist fertig der Garten,

Ueber Nacht
Fällt die ganze Pracht –
Pardauz! – von oben
Und hier sind die Proben!   Victor Blüthgen.

Fern der Heimat. (Zu dem Bilde S. 880 u. 881) Es ist ein Kind des Südens, das hier fern der Heimat seine Weisen ertönen läßt, und die schönen Zuhörerinnen, welche die arme Straßensängerin in den Park einließen, sind im deutschen Norden daheim. Aber die Empfindung, welche den Gesang der Italienerin beseelt, ist ihnen wohl vertraut. Zu den Klängen der Mandoline singt jene das Lob der Heimat; die Sehnsucht nach dem sonnigen Süden bebt in dem schwermütigen Liede. Ergriffen lauschen ihm beide. Die jüngere, die in Gedanken versunken auf den Stufen sitzt, weilt selber hier fern der Heimat; und wenn auch Liebe und Freundschaft ihr genug frohe Stunden bereiten, so hat doch auch ihr Herz in diesen Tagen die Macht des Heimwehs erfahren. Die andre aber muß gleich der Sängerin voll Sehnsucht des fernen Südens gedenken. Wohl ist Italien nicht ihre wirkliche Heimat; aber seit sie an der Seite des geliebten Gatten die Wunder seiner Schönheit geschaut hat, hegt sie die Erinnerung daran wie einen Schatz und das Land, „wo die Citronen blüh’n“, ist ihr zur zweiten Heimat geworden.

Das Sylvester-Orakel. (Zu dem Bilde S. 889.) Die beiden Freundinnen Hedwig und Emmi hatten am Silvesterabend des vorigen Jahres „Blei gegossen“. Während mit dem Metallgebilde Emmis auch die kühnste Phantasie nichts anzufangen wußte, hatte sich das flüssige Blei Hedwigs im Wasser zu einem geschlängelten Etwas ausgestaltet. Nach Emmis Ansicht konnte es nur die wohlgeformte Schlange des Aeskulapstabes sein und deutete unverkennbar auf den ärztlichen Beruf von Hedwigs künftigem Ehegemahl hin. Hedwig vermied es jedoch hartnäckig, mit Emmi über dieses Thema zu sprechen; schlug es die letztere in vertrauter Stunde doch einmal an, so stieg eine brennende Glut in die Wangen Hedwigs und ihre Lippen schwiegen dazu.

Wieder neigte das Jahr seinem Ende zu und wieder ward der Wunsch, den Schleier der Zukunft ein wenig zu lüften in den jungen Damen rege. Vom Bleigießen wollte Hedwig nichts mehr wissen. Aber es gab ja noch andere Wege, das Orakel nach guter deutscher Sitte zu befragen. Und bald war man einig. Die Freundinnen stellten sich Kugeln aus feuchtem Thon her, in deren Inneres sie einen mit ihrem Namen beschriebenen Zettel bargen. Nachdem die Kugeln auf dem Ofen gut getrocknet waren, mußten sie sorgsam bis zum Silvesterabend aufbewahrt werden, an dem die eigentliche Orakelbefragung in besonderer Weise vor sich gehen sollte.

Des Jahres letzte Stunde war herangekommen und in Hedwigs Elternhause war eine kleine Gesellschaft versammelt, um in weihevoller Stimmung beim Glase Punsch das neue Jahr heranzuwachen. Eben hatten sich die beiden Freundinnen, die mitten drunter waren, mit den Augen zugezwinkert, das Zeichen, um draußen im geheimen die große Frage ans Schicksal zu stellen, als plötzlich Hedwigs jüngerer Bruder mit schlauer Miene hervortrat. Er hatte das Geheimnis der beiden längst entdeckt und erschien nun mit den erforderlichen Requisiten – einem Gefäß voll Wasser und den aufgefundenen Thonkugeln – um die Leitung des Orakels selbst und zwar „öffentlich“ in die Hand zu nehmen. Gern wären die zwei Freundinnen entwischt, aber es war schon dafür gesorgt, daß sie nicht entkommen konnten. Und nun saßen sie alle im Kreise um den runden Tisch herum, an dem die Handlung in Scene gesetzt wurde. Mit feierlich ernster Gebärde versenkte der Bruder die beiden Kugeln in das schon lange nicht mehr benutzte Fischglas, das seiner Bestimmung getreu auch heute in den Dienst zweier Goldfischlein gestellt wurde. Und das feuchte Element that seine Schuldigkeit – langsam aber sicher bewirkte es die Auflösung der beiden Thonklöße. Alles sah dem Schauspiel erwartungsvoll zu. Als die Spannung der Umsitzenden bereits aufs höchste gestiegen war – da begab sich endlich das Wunderbare. Einer der Zettel tauchte, der Thonhülle entkleidet, im Wasser auf. Und das Orakel besagte: diejenige, deren Name zuerst zum Vorschein kommt, wird sich im neuen Jahre verloben. Auf dem Zettel aber stand deutlich der Name Hedwig. Wieder hatte sich das Schicksal für sie entschieden.

Unser Bild von Oscar Gräf stellt die heitere Scene, in welcher Hedwigs Bruder eben den Orakelspruch verkündet, mit vielem Humor dar. Die Eltern schmunzeln vergnügt dazu und der Großvater nickt lachend Beifall, während die übrigen Geschwister huldigend ihre Glückwünsche darbringen. Auch Emmi streckt ihrer Freundin neidlos die Hände entgegen und fast scheint es, als wenn ein verschmitztes Lächeln um ihre Lippen spielte. Hat sie etwa vorher die Kugel der Freundin gelockert und so dem Schicksal ein wenig vorgearbeitet? Jedenfalls ist der Herr mit dem dunklen Schnurrbärtchen hinter Hedwigs Stuhle Emmis Bruder. Und die verschämte Art, mit der Hedwig sich von dem jungen Manne wegwendet, läßt ahnen, daß er zugleich der ihr vom Schicksal versprochene „Medizinmann“ ist, dessen unverhohlene Freude über den Orakelspruch auch die baldige Erfüllung des letzteren in Aussicht stellt. M. H.     

( Prosit Neujahr
1898! )


manicula      Hierzu Kunstbeilage XXVIII: „Wir gratulieren.“ von E. Rosenstand.

[Inhaltsverzeichnis dieses Heftes, hier nicht transkribiert.]


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_892.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)