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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der für Emerenz so verhängnisvolle Tag war herangekommen. Ein warmer Frühherbsttag, an dem die Sonne so recht freundlich vom Himmel lachte. Kaum zeigte sich noch das erste gelbe Laub an Baum und Strauch. Im weiten Obstanger beim Praxmarer hingen die reifen Birnen und Aepfel an den Bäumen, daß es ein herrlicher Anblick der Fülle und des Reichtums war. Und dieses schöne Besitztum sollte heute „zertrümmert“ werden.

Der Beginn der Versteigerung war auf neun Uhr vormittags angesetzt worden. Man hatte einen Tisch mit Schreibzeug und Papier hinter dem Haus am Rande des Angers aufgestellt, mehrere Stühle darum herum und einige Bänke in der Nähe, da man einen großen Zufluß von Leuten erwartete, welchen die Stube vielleicht gar nicht gefaßt hätte.

Ein uralter riesiger Nußbaum breitete seine Aeste wie schützend in der Nähe des Tisches aus. Der Baum war schon längst von der Sage umwoben. Es hieß, ein Bergknappe aus Schwaz habe ihn zu Zeiten des münzreichen Erzherzogs Sigismund von Tirol gepflanzt. Der sagenhafte Knappe sei in dem Silberbergwerk zu großem Reichtum gelangt und von dort zu ständigem Aufenthalt her ins Dorf übergesiedelt, wo er sich einen Hof baute. In der That fand sich der stolze Praxmarerhof schon in den ältesten Kirchenregistern, so daß seine Erbauung ganz gut in die erwähnte Zeit hinaufreichen konnte. Die Praxmarer waren einmal viel reicher gewesen und hatten in den Franzosenkriegen großen Schaden gelitten. Deswegen hatte aber der verstorbene Vater der Emerenz doch behaupten können, daß er recht gut durch die Welt kam.

An den Nußbaum im Anger knüpften sich die ältesten Familientraditionen. Es hieß, mit ihm lebe und sterbe das Glück des Hauses. Nun stand er noch ebenso stolz da und sollte heute den Zusammenbruch des lange vererbten Besitztums erleben und einen neuen Herrn bekommen.

Es war schon halb zehn Uhr vormittags. Eine Menge Leute hatte sich bereits auf dem Anger eingefunden, zum größten Teil wohl Neugierige. Auf den Bänken saßen aber auch einige behäbige Bauern, die dem Anschein nach an der Versteigerung teilnehmen wollten. Die Gerichtsherren ließen lange auf sich warten. Endlich kam der Adjunkt mit dem Gerichtsschreiber und einem dicken Amtsdiener, der einen großen Aktenpack hinterdrein schleppte. Die Emerenz war nirgend zu sehen. Den „Herren“ stellte eine Magd vom Hofe einen Liter roten Wein samt Gläsern auf den Tisch. Die zwangsmäßige Versteigerung konnte beginnen.

Unter den letzten, die sich eingefunden hatten, befand sich der Kramer Luis. Er ging großthuerisch zum Tische, an dem die Gerichtsherren saßen, und nahm dort neben dem dicken Amtsdiener Platz. Für ihn war kein Glas aufgestellt worden. Er hätte daher auch keinen Wein bekommen, wenn ihn nicht sein Nachbar eingeladen hätte, Bescheid zu thun.

Nach Verlesung der üblichen Formalitäten begann das Aufgebot.

Der Luis hatte die Verlesung des Gerichtsadjunkten mit boshaftem Grinsen begleitet. Dann ließ er seine Augen wie musternd an dem Bauernhof hinauf- und heruntergleiten, sah auf den Anger hinaus und blieb schließlich mit seinen Blicken an dem alten Nußbaum haften. Ein teuflisches Lächeln zuckte über sein häßliches Gesicht. Er versicherte sich mit einem Griff, ob eine schwere Axt, die er mitgebracht hatte, noch neben seinem Stuhl lehne. Krampfhaft umfaßte er den Stiel der Axt. Das seltsame Gebahren des Kramers war mehreren aufgefallen. Keiner konnte sich eine Erklärung dafür geben. Doch nahm jetzt das Aufgebot das ganze Interesse der Anwesenden so sehr in Anspruch, daß man dem Kramer Luis keine besondere Aufmerksamkeit mehr schenken konnte.

Das erste Aufgebot erzielte nichts. Auch ein Angebot unter dem Schätzungswert blieb ohne Erfolg. Waren wirklich nicht die richtigen Kauflustigen vorhanden oder sollte der Hof infolge einer vorherigen Verabredung möglichst im Preise heruntergedrückt werden? Kurz, es rührte sich niemand. Der Adjunkt begann schon ungeduldig zu werden und machte Anstalt, das Besitztum dem ersten Hypothekargläubiger zuzuschlagen.

Der Kramer Luis schien das kaum erwarten zu können. Er rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her. Jetzt sprang er empor. „Habt’s alle mitanander koa Schneid’, ös Fretter?“ schrie er. „Aber i hab’ a Schneid’ mitbracht – und dös a gehörige! dabei schwang er die blitzende Axt mit beiden Fäusten in die Höhe. Er war eilfertig zu dem alten Nußbaum gegangen. Man wußte sich sein Beginnen nicht zu erklären. Etliche mochten wohl glauben, der Kramer sei plötzlich „überg’schnappt“.

„Mein g’hört der Hof! Dös könnt’s mir glauben!“ keuchte der Luis. „I bin der neuche Herr auf dem Gut da! I hab’ anz’schaffen! Vor allem muß mir der Baum weg. Der nimmt mir zu viel Licht im Haus. Hahaha!“ Der Luis schlug eine grelle Lache auf. „Wollen sehen, wie lang’ das Glück der Praxmarer noch lebt und wie lang’ der Stern der Praxmarer noch sein’ letzten Glanz behalt’t. Soll ja alles z’sammen stehen und fallen mit dem alten Baum da! Und fallen soll’s! Alles z’sammen! Der Baum und das Glück!“

Mit einer Kraft, die man dem Luis gar nicht zugetraut hätte, führte er einen mächtigen Hieb gegen den Baumstamm, daß die Holzsplitter nur so davon sprangen. „Und wenn i ihn ganz allein fällen sollt’! Um muß er! I hab' mir’s g’schworen!“ Und wieder fuhr die Axt in den Stamm.

Das lähmende Erstaunen, das die letzten Augenblicke auf den Zuschauern lag, löste sich jetzt, da die Axt in das Holz einhieb. Laute Entrüstungsrufe ließen sich vernehmen. Man hatte allgemein das Gefühl, daß hier ein unerhörter Frevel geschehe, daß ein Heiligtum ruchlos verletzt werde.

Bevor aber die Anwesenden zu irgend einer That schreiten konnten, hatten sich die Ereignisse der nächsten Minuten schon entwickelt. Alles ging blitzschnell.

Als der erste Axthieb fiel, hörte man von der auf den Anger führenden Hinterthüre des Hofes einen schrillen Aufschrei, die Emerenz war in die Thür getreten und hielt sich krampfhaft an den Pfosten derselben, um nicht zu Boden zu sinken.

Gleich darauf wurde sie zur Seite geschoben. Ein kräftiger Bursch sprang durch die Thüre auf den Anger und hatte in wenigen Sätzen den Nußbaum erreicht. Man sah ein kurzes Ringen mit dem Kramer. Dann flog die Axt in weitem Bogen in den Anger hinaus und ihr nach eine ganz beträchtliche Strecke weit der Kramer Luis, laut schreiend und sich mehrfach überkugelnd.

Man erkannte den Romedi. Laute Beifallsrufe erhoben sich. Der Luis hatte sich inzwischen wieder „aufgekrallt“. Reden konnte er noch nicht. Nur einige kreischende unartikulierte Laute brachte er hervor.

Der Romedi war plötzlich ganz ruhig geworden und wendete sich spöttisch an den Kramer. „Hoi! Mannderl! Gelt, das is nit so schnell gangen als du dir’s hast tramen lassen! Um den Baum umz’hauen, müssen Leut’ kommen und keine Heuschrecken!“

„Fangt’s den Lumpen! Liefert’s ihn ins Zuchthaus!“ zeterte jetzt der Luis, der wieder näher gekommen war, sich aber noch immer in respektvoller Entfernung von den Fäusten des Romedi hielt. „Den Stoandlnarr, den verruckten! Legt’s ihm Ketten an!“

Man ließ den Wütenden schreien. Der Romedi hatte sich inzwischen an den Gerichtsadjunkten gewendet, lüpfte seinen Hut und meinte so gleichmütig, als ob nichts vorgefallen wäre und es sich höchstens vielleicht um ein frisches Krügel Bier handeln. „Nix für ungut, Herr G’richtsherr, daß i a bisserl rauh zugriffen hab'. Aber es wär’ um jedes weitere Spandl von dem Baum schad’ g’wesen. Und da hab’ i halt die ganze Sach’ a bisserl kurz abmachen müssen!“

Der Adjunkt, der den Romedi gut kannte, ein großer Naturfreund war und mit dem „Stoandlnarr“ schon öfters „Handelschaften“ gehabt hatte, mußte über diese „kurze Abmacherei“ herzlich auflachen.

„Was soll denn nachher die ganze G’schicht’ kosten?“ fragte der Romedi nach einer kleinen Pause.

„Was für eine G’schicht’?“. entgegnete der Adjunkt.

„Na ja, die Hypothek oder wie man’s heißt,“ meinte der Romedi „I kann’s und will’s amal nit zugeben daß der Hof da vergantet wird. I bin zehn Jahr lang Knecht g’wesen beim Praxmarer und alleweil guat g’halten worden. Jatz will i mi halt auch erkenntlich zeigen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_870.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2017)