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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

seiner Vorgänger allmählich überwunden und schickte sich eben an, das erste der großen Werke, die seinen Namen in alle Welt getragen haben, die Holzschnittfolge der Apokalypse, zu vollenden. Vieles von dem nun, was Dürer mühsam aus sich selber heraus, dann auch durch den Vergleich seiner Werke mit italienischen Kunstwerken hat lernen müssen, fiel Holbein in früher Jugend von selber zu. Er war weitaus der gewandtere in Kunst und auch im Leben. Unerreicht in seiner und auch späterer Zeit ist der sprudelnde Reichtum an Einfällen und die Pracht der Gesamtwirkung bei den Malereien, mit denen er, wohl um geringen Lohn und in kurzer Zeit, die Fassaden von Häusern geschmückt hat. Unsterblich war Holbein, wo es galt, einen Menschen mit all seinen starken und schwachen Seiten im Bilde festzuhalten, das heißt im Porträt, oder, wo in seine Darstellungen sich ein Zug von Satire einmengen konnte. Aber er war nicht die gemütvolle, träumerische, grüblerische Natur, die nach langem Ringen etwas in die Welt stellt, das dann veraltete Traditionen umstürzt und eine neue Epoche heraufführt. Auch in der bildenden Kunst giebt es lachende Erben. Holbein war frühreif und meist rasch fertig mit seinen Arbeiten. Schlimme Erfahrungen in der Jugend mögen sein Gemüt zurückgedrängt und ihn früh mit dem Gedanken vertraut gemacht haben, den Verhältnissen sich anzupassen und sie zu seinem Vorteil auszunutzen.

Der Erzengel Michael.
Getuschte Vorzeichnung im Museum zu Basel
Nach einer Photographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.

Sein Vater war am Beginn des Jahrhunderts ein vielbeschäftigter Maler gewesen. Als der Sohn aber zum Jüngling heranwuchs, ging es ihm weniger gut. Die Aufträge des Kaisers Maximilian kamen bloß der jüngeren Malergeneration, Dürer und seinen Altersgenossen, zu gute. Auch scheint sich der alte Holbein in seinen Bildern nie recht genug gethan zu haben. Jedenfalls wurde er gerade, als er das vollendetste seiner Werke schuf, wegen kleiner Schulden verklagt. Er zog dann ins Elsaß, während sein Sohn als Malergeselle in eine Baseler Werkstatt trat und nun für sich selber zu sorgen hatte. Er malte zunächst Altarbilder mit anderen Gesellen oder dem Meister zusammen und dann auch Porträts schweizerischer Haudegen, der Anführer jener Söldnerscharen, die damals fast alljährlich in die Lombardei zogen, um bald in dem, bald in jenem Solde blutige Siege auszufechten. Holbein scheint gleich von Anfang an durch seine fabelhafte Geschicklichkeit Aufsehen erregt zu haben. Von Bedeutung für seinen Lebensgang und vielleicht auch für seine Weltanschauung war es aber auch, daß der berühmteste Gelehrte seiner Zeit, Erasmus, ungefähr gleichzeitig sich in Basel niederließ. Erasmus war als Humanist, was man heute als: Philologen, Pädagogen und kirchenpolitischen Schriftsteller bezeichnen würde. Sein ganzes Leben war ein Kampf gewesen gegen die überlieferten Formen der Wissenschaft und vor allem gegen die ausgelebten Formen der Frömmigkeit; er führte diesen Krieg in allem, was er schrieb; oft trifft man mitten in seinen wissenschaftlichen Arbeiten launige Ausfälle gegen die herrschenden Zustände, und in einer Zeit, wo man weit schwerfälliger schrieb als heute, verschaffte ihm sein sprudelnder Witz und seine leichtflüssige Diktion, die noch heute in Erstaunen setzt, immer neue Bewunderer. Einen unerhörten Erfolg hatte namentlich sein Büchlein „Das Lob der Narrheit“, worin er schildert, wie alle Stände von der Dummheit beherrscht werden und ihr verpflichtet sind. Nicht wenig hat gerade dies Buch dazu beigetragen, das Gefühl von der Haltlosigkeit der damaligen Zustände in den weitesten Kreisen zu verbreiten. Als Erasmus nach Basel kam, hatte er die kampfesfrohe Jugend bereits hinter sich; er verwandte nun den Rest seines Lebens hauptsächlich darauf, mit dem ihm befreundeten Buchdrucker Froben Werke lateinischer Autoren im Originaltext herauszugeben und namentlich die griechischen durch Uebersetzungen ins Lateinische zu verbreiten. Auf der Höhe seines Ruhmes, aber körperlich schon längst durch frühere Entbehrungen gebrochen, war er nicht mehr imstande, den Geistesströmungen, die neu neben ihm auftauchten, entgegen zu kommen. Er vereinsamte und wurde mehr und mehr ein kalter, vorsichtiger, gallichter, nervöser Greis. Im Gefühle seiner überragenden Gelehrtenbildung hat er wohl auch auf den jungen Maler herabgesehen; aber die Bekanntschaft wurde trotzdem für beide Genies wichtig. Holbein hatte ein Exemplar vom „Lob der Narrheit“ mit Federzeichnungen, zum Teil urdrolligen Karikaturen, versehen, worauf er weiter zum Schmuck der in Frobens Druckerei erscheinenden Bücher herangezogen wurde.

Hans Holbeins des Jüngeren Frau und Kinder.
Oelgemälde auf Papier im Museum zu Basel.
Nach einer Photographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.

Als er dann nach einem etwa zweijährigen Aufenthalt in Luzern und einer Reise nach der Lombardei wieder in Basel eintraf und sich als Meister niederließ, hat er noch etwa zu sieben Altären größere und kleinere Bilder gemalt. Kaum 24-jährig, erhielt er den ehrenvollen Auftrag, den Großratssaal in Basel mit historischen Darstellungen auszumalen, wodurch sein Ruf in weiteren Kreisen stieg. Aber für seine fernere Zukunft war doch die Bekanntschaft mit Erasmus und dessen Freundeskreis am wichtigsten.

Zunächst wurde er jetzt von all den aufstrebenden Baseler Verlegern mit Zeichnungen für ihre Bücher beauftragt. Kirchenväter und heidnische Schriftsteller erhielten so Kopfleisten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_865.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2022)