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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Kenntnisse angeeignet. Namentlich wußte er jetzt recht genau, daß es auch wertvolle Steine gab und daß ein Stück Feld schließlich auch mit der Sache zu verdienen sei. Kurz, als die Herren abreisten war aus dem Romedi ein vollendeter „Stoandlnarr“ geworden, welcher Spitzname denn auch nicht lange auf sich warten ließ. Jede freie Stunde benutzte er, um in den Bergen herumzustreifen, und oft kam er mit ganzen Lasten seltener Mineralien zurück. Mit seinen Lehrern, denen er zum Führer gedient, war er in Verbindung geblieben, und so wußte er seine Funde auch direkt zu verwerten.

Als ab und zu und dann immer häufiger kleinere Geldsendungen von auswärts an den Romedi einlangten, schüttelten die Bauern den Kopf und begannen langsam zu begreifen, daß der Knecht nicht so verrückt sein müsse, wie man anfangs geglaubt. Und als der Romedi eines Tages gar mit einem schier faustgroßen Granaten heimkam und dann ein hübsch Stück Geld dafür einheimste, regte sich schon der Neid.

Der „Stoandlnarr“ aber waltete wie ein Gebieter über all den fast unzugänglichen und versteckten Plätzen, die er ringsum in den Bergen aufgestöbert hatte und noch gehörig auszunutzen gedachte.

Dann war für ihn ein Tag gekommen, an dem er glaubte, der Himmel sei auf die Erde herabgefallen. Das war, als er sich ein Herz genommen, der Emerenz zu entdecken, wie lieb er sie habe und wie er meine, ohne sie nicht mehr leben zu können. Und das Diandl war ihm an die Brust gesunken. Sie hatten sich ewige Treue geschworen. Arbeiten wollte er für sie, bis ihm das Blut von den Händen rinne! Und wenn er alle Berggipfel und Felszacken im ganzen Unterinnthal abtragen sollte! Der Vater durfte vorderhand nichts von der „G’spusi“ wissen. Es wäre ja noch Zeit. Er, der Romedi, wollte dann schon selbst mit dem Alten ein vernünftiges Wort reden, wenn er von seiner letzten Waffenübung bei den Tiroler Landesschützen heim käme und damit militärfrei würde.

Der Romedi rückte im Sommer auf vier Wochen ein, zum heftigen Verdruß des Praxmarer, dem sein Knecht unter der dringendsten Feldarbeit gewaltig abging. Aber der Kaiser wollte halt auch seine Leute haben. Da ließ sich nichts machen.

Vier Wochen sei nur ein Sprung, meinte der Romedi, als er von der Emerenz Abschied nahm. Und seine letzte Zeit beim “Militari“ wollte er im Nu „aberg’rissen“ haben. Wieviel Unerwartetes kann aber sich auch in der kürzesten Spanne Zeit ereignen! Das sollte der Romedi erfahren als er zurückkam.

Seine erste Frage, als er mit seinem Urlauberpäckchen den Hof betrat, war nach der Emerenz. Das Diandl sei seit ein paar Tagen fort zu einer Bas’n nach Brixen, um dort ihre Ausstattung zu nähen. Ja, sollte der alte Praxmarer schon alles wissen und mit allem einverstanden sein? durchblitzte es den Heimgekehrten in plötzlicher Freude. Um so schwerer traf ihn der wahre Sachverhalt. Die Emerenz war mit einem anderen versprochen!

Wie und warum das gekommen, dem hatte der Romedi nie nachgeforscht. Ob das Diandl nur dem Drängen ihres Vaters nachgegeben, ob sie dessen Widerstand gefürchtet und sich schließlich selbst geschämt habe, nur einen armen Knecht zu heiraten, er brauchte es nicht zu wissen. Er fragte nicht nach den Gründen. Für ihn war die vollendete Thatsache genügend, um ihm den „Himmel auf Erden“ im Verlauf weniger Minuten in die leibhaftige Höll’ zu verwandeln. Ziemlich hoch hinaus hatte die Emerenz freilich immer wollen! Das fiel dem Romedi erst jetzt wieder ein. Drum wird ihr halt der reiche Kurzweger lieber gewesen sein als der „welsche Bua“, der eigentlich kein Herz im Leib zu haben brauchte, weil das ein überflüssig Ding ist für einen bloßen Knecht!

Der Kurzweger, der vor einigen Jahren mit einem Sack voll Banknoten aus Bayern zugewandert war, hatte schon seit geraumer Zeit mit dem Praxmarer in einer Art Kompagniegeschäft gestanden, indem er den reichen Wälderbesitz des Bauern „praktisch“ verwertete. Er hatte eine riesige Brettersäge nahe beim Dorf errichtet, die großes Geld abzuwerfen schien. Wenigstens rückten die Bauern den Hut vor dem „Sagschneider“. Das will immerhin etwas heißen und passiert einem Einheimischen außer dem Pfarrer, Doktor und Bezirksrichter nicht sonderlich oft.

Ein Vierteljahr, nachdem der Romedi heimgekommen war, hielt der Kurzweger mit der Emerenz Hochzeit. Es ging hoch her dabei. Der Wein floß in Strömen, und die Böller krachten vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht.

Der Romedi hatte noch am Tage seiner Heimkehr Abschied vom Praxmarerhof genommen. Den Grund erfuhr der Bauer, der ihn ungern ziehen sah, nicht. Er fragte auch nicht danach. Wenn der Romedi „mir nichts dir nichts und ohne irgend welchen Grund davon laufe, dann war er eben nicht recht gescheit. Wenn er aber gar sich Hoffnungen auf die Emerenz gemacht haben sollte, dann sei er erst recht verrückt. Ein Raderl zu viel habe der Bursch unter jeder Bedingung in seinem Hirnkasten. Damit war die Sache für den Bauern abgethan.

Dann sah man den Romedi über ein Jahr lang in der Gegend nicht mehr, bis er plötzlich wieder auftauchte. Es hieß, er sei inzwischen im Welschland gewesen. Einen Welschen hatte er wenigstens mitgebracht. Und das war ein Bruder des Romedi, der, wie die Leute im Dorf meinten, einen ganz verzwickten „krautwelschen“ Taufnamen hatte. Niemand konnte sich ihn merken.

Der ehemalige Knecht vom Praxmarer kaufte sich eine halb zerfallene Mühle hoch im Berg droben, die er zu einem ganz stattlichen und wetterfesten kleinen Haus wieder aufbaute. Mit der noch verfügbaren Wasserkraft richtete er sich dort eine Stein-Schleiferei ein und vergrößerte seinen Handel mit seltenen Steinen nach auswärts. Unten im Dorf ließ er sich nicht oft sehen. Nur wenn er Lebensmittel einzukaufen, gewichtige Pakete und Säcke auf die Post zu befördern hatte, ging er hinunter, oder wenn er sich beim Kramer das Material für all die großen und kleinen Pappschachteln holte, die er sich für seine mineralogischen Sammlungen selbst anfertigte. Bisweilen fuhr er aber auch nach Innsbruck, und im Dorf munkelte man, daß er dann seine Einnahmen auf die Sparkasse trage. Noch seltener kam jemand vom Dorf zu dem Einsamen hinauf. Um so mehr wurde er von fremden Touristen besucht. Auf dem Praxmarerhof war aber der Kurzweger unumschränkt Herr geworden, da der alte Bauer bald nach der Hochzeit seiner Tochter gestorben war. – –

Der Regen hatte nachgelassen, das Wetter seine ärgste Gewalt ausgetobt. Der Romedi schreckte empor. Wie lange mochte er so im Wald gesessen haben? Ihm schien es ein Augenblick zu sein. So rasch und jäh war alles vor seinem Innern vorübergeflogen. Das war also das Ende vom Lied: der Kurzweger auf der Gant und die Emerenz eine Bettlerin! Dann ballte er unwillkürlich wieder die Faust, wenn er des Kramers gedachte. Dabei erinnerte er sich der drunten eingekauften Rolle. Sie lag neben ihm auf dem Boden und war vom Regen zu einer breiigen Masse zerweicht worden. Der Romedi trat sie mit dem Fuß in den Boden. Er war selbst naß bis auf die Haut. Nicht einmal die Joppe hatte er umgehangen, die schwer und ganz durchtränkt neben ihm lag. Mit einem gleichmütigen Achselzucken zündete er sich jetzt seine Pfeife an. Die Zündhölzer in der kleinen blechernen Büchse waren trocken geblieben. Er schritt vorwärts. Man sah kaum einen Fuß breit Weges in dem Wald vor sich. Der Romedi fand sich aber auch im Finstern zurecht. Da und dort orientierte ihn auch die schwache Glut seiner Pfeife.

„Also der Kurzweger auf der Gant –“ murmelte er wiederholt, indem er gemessenen Schrittes aufwärts stieg. Ein Gerücht, daß der reiche Sagschneider durch fortgesetzte verfehlte Spekulationen namhafte Verluste erlitten, war dem Romedi allerdings auch schon vor einiger Zeit zu Ohren gekommen. Er hatte aber darauf nichts Besonderes gegeben. Jetzt fiel es ihm ein, daß der Kramer Luis und der Kurzweger schon seit Jahr und Tag immer beisammen steckten , gemeinschaftlich Geschäfte machten ja, daß der Luis im Dorf geradezu als der geschäftliche Ratgeber des Sagschneider galt. „Also darum? – Verfluchter Haderlump!“ wetterte der Romedi laut vor sich hin.

Dabei wäre er bei einem Haar an seinem Haus vorüber „geschuht“. So tief war er in Gedanken. Er öffnete die Thür und machte im Hausflur Licht. Der Bruder lag offenbar schon lange im Bett. Er hörte sein regelmäßiges Schnarchen aus der Kammer. Der Romedi hatte bei all dem Sinnieren Hunger und Durst bekommen. Er ging in die Stube und schnitt sich einen tüchtigen „Ranggen“ Brot ab. Aus der Selchkammer neben der Küche holte er sich ein „Trumm“ Speck. Die beiden Brüder waren ganz gut zugerichtet und kamen auch ohne Häuserin prächtig durch, kochten und wirtschafteten selbst. In der Stube

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_854.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)