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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

mir lag, ein zusammengeschrumpftes Menschenkind, kläglich verkümmert und schattenhaft. Schon waren seine Augen wieder geschlossen und seine Züge hatten den Ausdruck schmerzlicher Ergebung. Seine Stimme hatte etwas Klagendes, sie klang wie aus einem Abgrund des Wehs heraus. Er klagte über seine furchtbaren Schmerzen in den schlummerlosen Nächten – es war wie das Stöhnen eines Gemarterten. Aber bald wußte er doch auch andere Töne anzuschlagen – und das war das Merkwürdigste, daß diese Stimme rasch umsprang zur leichten Konversation, zu Scherz und Witz. Sobald sich das Gespräch aus der dumpfen Enge der Krankenstube in freiere Regionen aufschwang, da schien auch des Dichters Geist wie losgelöst von dem Elend des Daseins und schwebte froh empor. Es giebt einen Witz der Verzweiflung, und der große Shakespeare hat uns genug Proben davon in seinen Schauspielen gegeben. Wenn ein Sterblicher zu solchem Witz berechtigt war, so war es Heine, der tiefunglückliche Dichter – und doch war sein Witz nicht von solcher Art, es war vielmehr ein Witz, der sich an seinen eigenen Treffern erfreute. Er konnte boshaft sein, aber diese Bosheit hatte nichts gemein mit dem Neid, mit dem der Unglückliche die Glücklichen verfolgt, es war Humor, mit der „lachenden Thräne im Wappen.“

Auf seinen Wunsch las ich dem Dichter meine Besprechung des „Romanzero“ vor. Sie erfreute ihn sichtlich. Aus einem neuerdings veröffentlichten Briefe Heines habe ich ersehen, daß er damals meinem Stil ein glänzendes Lob erteilte; ich kann das ohne Erröten hier erwähnen, denn welcher Poet lobt nicht den Stil eines Aufsatzes, in dem ihm selbst eine begeisterte Huldigung gespendet wird!“

Wir sprachen viel über Hamburg, über Julius Campe, das „junge Deutschland“, über Gutzkow, gegen den er sehr aufgebracht war wegen seines Werkes über Börne. –

Als ich Heine das nächste Mal besuchte, begleitete mich der Operndirektor Cornet, und ich wurde Zeuge einer Debatte, in welcher Heine seine ganze Schlagfertigkeit zeigte. Cornet war ein Verehrer Meyerbeers, dessen Opern er im Hamburger Stadttheater oft genug mit schönem Erfolg zur Aufführung gebracht hatte. Heine aber war ein erbitterter Gegner des Komponisten und hatte in Vers und Prosa ihn nicht verschont. Cornet ließ sich durch des Dichters Widerspruch nicht in seinem Lobe irremachen, er rühmte Meyerbeers Vielseitigkeit und daß dieser zwei „Stile“ habe, den deutschen und den italienischen. Darauf erwiderte Heine rasch mit einem unorthographischen, aber schlagenden Witzwort:

„Ja, er hat zwei Stühle, aber er kann auf keinem sitzen.“

Zahlreich waren die geflügelten Worte Heines, doch sie sind nicht alle in meinem Gedächtnis haften geblieben, und das Talent Eckermanns, das gesprochene Wort rasch aufzuzeichnen ist mir leider nicht zu teil geworden.

Heine war ein großer Anhänger Ludwig Philipps und hat dessen Lob in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ in allen Tonarten gesungen. Wohl aus Ueberzeugung, doch hat man ihm oft zum Vorwurf gemacht, daß er eine Pension von der Juli-Dynastie angenommen hatte. Nach dem Sturze Ludwig Philipps, nach der Februarrevolution, kümmerte sich Heine wenig mehr um die Politik. Es kam hinzu, daß er seit 1848 das Zimmer hüten mußte. Von dem damaligen Präsidenten der Republik, Louis Napoleon, hatte er keine sonderlich hohe Meinung, wie ja auch die Pariser demselben nicht viel zutrauten, weder im guten noch im bösen. Gerüchte von einem Staatsstreich durchschwirrten in jenen Tagen die Luft, doch man glaubte nicht recht daran und war bald wieder beruhigt.

Heine beleuchtete mit einigen treffenden Witzen die tonangebenden Persönlichkeiten der Pariser Salons, die politischen und die schriftstellerischen. Mir ist noch in der Erinnerung, daß er von einer gerade vielgenannten Gräfin sagte, sie sei süßlich wie ein in den Schmutz gefallener Bonbon.

Auch auf Moritz Hartmann kam die Rede – er lebte jetzt in Paris als Flüchtling und ich hatte seine Bekanntschaft gemacht. Der Sänger von „Kelch und Schwert“, der Vertreter der äußersten Linken des Frankfurter Parlaments, der Verfasser der „Reimchronik des Pfaffen Maurians“, war ein schöner Mann, dessen Gesichtszüge einen edlen Schnitt und einen ansprechenden Ausdruck hatten. Heine, zu dem er öfter kam, sagte von ihm: „O ja, er ist recht schön und alle Frauen sind in ihn verliebt, nur die neun Musen nicht!“

Doch nicht bloß das körperliche Elend gab dem Dichter jene Klagen ein, die er wie einen Strauß von Passionsblumen in seinem „Romanzero“ zusammengebunden hat. Sein Ach und Weh war nicht auf einem Punkte zu kurieren – er hatte noch einen anderen wunden Fleck, den er gleich im ersten kurzen Lied seines „Lazarus“ berührt:

„Wenn du aber gar nichts hast,
Ach so lasse dich begraben,
Denn ein Recht zu leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.“

Trotz der Freigebigkeit seines Verlegers Campe und seines Onkels Salomon Heine in Hamburg, mit dem er aber bisweilen auf gespanntem Fuße stand, war öfters große Ebbe in seiner Kasse – und dann klagte er über seine Finanznöte. Durch diese Klagen schimmerte manchmal das Gefühl durch, daß er in Paris doch eigentlich in der Verbannung lebe, ein Gefühl, das er nicht loswerden konnte, trotz des Hohnes und Spottes, womit er im „Wintermärchen“ das arme Deutschland überschüttet, trotz der im Grunde glänzenden Aufnahme, die er in Frankreich gefunden. Hatte doch ein französischer König, ehe die garstigen Februarbarrikaden sein Königtum fortfegten, ihm eine Pension gezahlt, war er doch eine französische Berühmtheit. Der Schlüsselverwalter der modernen Unsterblichkeiten, Professor Saint-René Taillandier, hatte ihm in der „Revue des deux mondes“ das ehrenvollste Denkmal gesetzt und ihn bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet, in derselben Zeitschrift, in der sich größere mit Beifall angenommene französische Aufsätze aus Heines eigener Feder befanden. Die Pariser Schriftstellerwelt, die von den anderen deutschen Dichtern wenig wußte, begrüßte in ihm einen ausgezeichneten Kollegen. Und trotzdem hatte Heine Heimweh und sehnte sich nach den „schönen Apfelsinen des lieben Mütterleins in Hamburg.“

Ich wußte, als ich von dem Dichter Abschied nahm, daß ich ihn nicht wiedersehen würde, er war dem Tode verfallen. Und doch lebte er noch einige Jahre und in die Zeit nach meinem Besuch fällt die merkwürdigste Liebesepisode seines Lebens, die Liebe zu jener „Mouche“, die wie ein verspäteter Schutzengel um sein Krankenlager schwebte und die Muse seiner letzten Gedichte wurde.

Ich begegnete oft Achselzucken in deutschen Landen, wenn ich von Heinrich Heine sprach, aber ich fand auch Bewunderung des Dichters, wo ich sie am wenigsten vermutet hatte. Anderthalb Jahrzehnte nach meinem damaligen Aufenthalt in Paris besuchte mich im Seebad von Travemünde ein anderer kranker Dichter, der nur einige Stunden des Tages von heftigen Schmerzen frei war. Ich war in Lübeck bei ihm gewesen, und er kam, um den Besuch zu erwidern. Es war der Dichter jener keuschen Minne, „von der nur Gott im Himmel weiß“, es war Emanuel Geibel. Gewiß, kein größerer Gegensatz als der zwischen diesem Dichter und dem des „Romanzero“. Bei einer Flasche Champagner vergaß Geibel den Jammer der Krankheit, die ihn so schwer daniedergeworfen hatte und ihm nur kurze Ruhepausen gönnte, er wurde heiter erregt.

Das Gespräch kam auf Heine, und nun begannen wir ein Deklamatorium aus Heines Gedichten, bei dem wir beide gleich glänzend bestanden, denn Geibel und ich kannten sie auswendig von Anfang zu Ende – und nirgends riß uns der Faden ab. Konnten wir besser den Dichter feiern? Und das geschah doch gleichsam im feindlichen Lager!

Es war ein dunkler trüber Herbsttag, am Anfang des Dezembers 1851 an dem ich von Paris Abschied nahm. Schon einige Tage darauf las ich in Brüssel die Kunde von dem Staatsstreiche der Nacht und später die Berichte über die blutigen Kämpfe in den Straßen. Ob das Echo des Gewehrfeuers von den Boulevards bis in die stille Klause der Rue d'Amsterdam gedrungen sein mochte? Heine hatte in seiner Jugend für den ersten Napoleon so viel Begeisterung verschwendet, daß ihm für den dritten nichts mehr übrig geblieben war. Ich aber war ein paar Tage zu früh abgereist, um große geschichtliche Ereignisse mitzuerleben.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_848.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)