Seite:Die Gartenlaube (1897) 827.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Es ist dies der Roßbraten. In alter Zeit gab es in Germanien eine Fülle von Pferden; in großen Scharen trieben sie sich in wildem oder verwildertem Zustande umher und wurden gern gejagt und verspeist. Namentlich in norddeutschen Gebieten wurden Rosse Göttern geopfert, wobei das Fleisch der Tiere häufig bei festlichen Gelagen verzehrt wurde. Gerade darum betrachtete wohl die christliche Kirche den Genuß von Pferdefleisch als heidnischen Brauch und eiferte dagegen so unablässig, daß mit der Zeit dem Volke gegen das sonst allgemein übliche Nahrungsmittel ein unüberwindlicher Widerwillen eingeimpft wurde.

Heutzutage nimmt unter den Weihnachtsspeisen auch der Karpfen eine hervorragende Stellung ein. Im Winter sind die Karpfen am besten und eignen sich um diese Zeit vorzüglich als Festspeise. Ob sie schon von den heidnischen Vorfahren der Deutschen gewürdigt wurden, läßt sich nicht feststellen. Vom Karpfen schweigt im Altertum alle Kunde, erst um das Jahr 500 nach Christi Geburt wird er zum erstenmal in einer Schrift Cassiodors, des Geheimschreibers des großen Ostgotenkönigs Theoderich, erwähnt, in welcher gefordert wird, daß die Provinzialstatthalter den Fisch für die königliche Tafel liefern.

Neben dem Karpfen erscheint auch der Hering vielfach auf der Weihnachtstafel, und zwar zumeist als Heringssalat. Ursprünglich war der Seefisch in dem deutschen Binnenlande nicht bekannt, wohl aber galt er in skandinavischen Ländern als Festspeise; es war dort Sitte, am Julfeste Hering mit Haferbrei zu verzehren. Somit hat der Hering, der auch an Sylvester auf der Tafel zu erscheinen pflegt, das volle Anrecht, als ein Weihnachtsfisch zu gelten. Das sei zum Trost aller derjenigen hervorgehoben, die, bei der steigenden Verteuerung unsrer edlen Süßwasserfische, auf den Karpfen beim Weihnachtsmahl lieber verzichten.

Mehr noch als Braten und Fisch ist für Weihnachten Backwerk aller Art charakteristisch. Auch diese Sitte, das liebe tägliche Brot für die Festtage durch Kuchen und Süßigkeiten zu ersetzen, war schon im heidnischen Altertum gebräuchlich. Die germanischen Priesterinnen formten aus gesüßtem Teig Kuchen in Gestalt der den verschiedenen Gottheiten geheiligten Tiere oder der Götter selbst, buken dieselben in den Tempeln und verteilten das Gebäck an Festtagen unter das Volk. Derartig geformte Kuchen werden heutzutage von Bäckern und Hausfrauen zu allen Zeiten des Jahres bereitet, am häufigsten jedoch zu Weihnachten. Im Norden pflegt man vielfach den Weihnachtsbäckereien die Gestalt des Julebers zu geben; er erscheint auch unter den weihnachtlichen Kuchenformen in Schlesien; in der Mark begegnen wir den Pereken, Kuchen, die vorwiegend Pferdegestalt haben; in Ostfriesland kennt man die Nüjarskaukjes, dünne Kuchen, auf welchen Pferde gedruckt sind. Süddeutschland, vor allem Schwaben, hat um diese Zeit seine „Springerle“, ein Backwerk, auf welches Menschen- und Tierfiguren gepreßt werden. Im Laufe der Zeit wurde jedoch dem Volke die Form der Kuchen teilweise nebensächlich, da es deren Bedeutung nicht mehr verstand und so bäckt man jetzt in Norddeutschland die formlosen, aber gediegenen Christstollen, Christwecken und Striezeln, während Süddeutschland seine Früchte-, Klözen- oder Hutzelbrote hat. Hutzeln oder Klözen heißen die gedörrten Birnschnitze, die früher neben dem Honig den Hauptbestandteil des Gebäckes bildeten; heute werden dazu noch Rosinen, Feigen, Mandeln und andere Früchte verwendet. Hier und dort besteht die Sitte, daß die Mädchen gerade in der Christnacht ihre Liebhaber mit Klözenbrot beschenken.

Das verbreitete Weihnachtsgebäck ist jedoch der Honig- oder Lebkuchen, auch Pfefferkuchen genannt. Sein Ursprung ist zweifellos in altheidnischer Zeit zu suchen, da man noch den Zucker nicht kannte und den Honig als Süßmittel verwandte. Der Honigkuchen oder Honigfladen galt bei allen indogermanischen Völkern als eine Opferspeise, die man den Göttern darreichte und mit der man Geister besänftigen konnte. Auf gottesdienstliche Zwecke dieses Kuchens deutet auch der Name Lebkuchen; er ist von dem Worte leben abgeleitet, das in mittelalterlichem Latein ein Gebäck bedeutete, das die Priester nach kirchlichen Festen unters Volk austeilten. Die christlichen Geistlichen haben in diesem Falle ohne Zweifel einen heidnischen Brauch angenommen, um das bekehrte Volk mehr an den neuen Gottesdienst zu fesseln.

Die seit uralten Zeiten übliche Süßbäckerei europäischer Völker erhielt jedoch nach den Kreuzzügen eine völlige Umwandlung. Damals begann eine gesteigerte Zufuhr orientalischer Waren nach dem Abendlande und die Völker Europas lernten den Zucker, verschiedene Südfrüchte und allerlei Gewürze kennen. Durch Zusatz verschiedener Gewürze wurde aus dem alten Honigfladen der neuere Pfefferkuchen gestaltet, und die Venetianer brachten ein Zuckergebäck in den Handel, das heute namentlich in Norddeutschland eine beliebte Weihnachtsschleckerei bildet. Zu Ehren des Schutzheiligen Venedigs wurde es Marci panis, Markusbrot, genannt, aber die Venetianer hatten das Marzipan nicht erfunden, sondern darin nur orientalisches Zuckerwerk nachgeahmt.

In einigen norddeutschen Gegenden giebt man den Weihnachtskuchen auch die Gestalt eines Rades oder einer Scheibe. Das ist wieder ein Symbol der Sonne, deren Wende ja um die Mittwinterszeit gefeiert wurde. In der oldenburgischen Landschaft Saterland kennt man eine Sitte, die gleichfalls an den Sonnenkultus erinnert. Es wird dort in den heiligen zwölf Nächten die Wepelrot, ein Rad aus Weidenruten geflochten, in der Mitte ist es mit Goldblech geziert und von diesem laufen dichte Weidenstäbe strahlenförmig nach dem Rande. Die über die Felge reichenden Speichen sind mit Aepfeln geschmückt. Diese Wepelrot wird nun in die Häuser guter Nachbarn oder geliebter Mädchen geworfen.

Unter den Früchten, die am Weihnachtsfest geschenkt werden, sind Aepfel und Nüsse die wichtigsten. Ohne diese kann man sich eigentlich keine rechte Weihnachtsbescherung denken. Nun sind gerade Apfel- und Nußbäume die ältesten Obstbäume die den Völkern Mitteleuropas bekannt waren, wobei wir allerdings nicht an Walnüsse, sondern an Haselnüsse denken müssen. Alle anderen Obstbäume, auch der Walnußbaum, wurden erst in einer späteren Zeit aus dem Orient und den südlichen Ländern eingeführt. Der Apfelbaum und die Haselnuß wurden aber seit jeher besonders verehrt und mit allerlei Mythen umgeben, so daß sie sich ausgezeichnet als Opfergaben bei Festen eigneten.

So sehen wir, wie sich gerade in den wichtigen und beliebtesten Weihnachtsspeisen ältester Brauch und älteste Sitte unserer Vorfahren spiegeln. Wir sind aber in der Lage, noch Beweise dafür beizubringen, daß jene Speisen nicht nur beim Winterfeste genossen wurden, sondern daß sie genossen werden mußten, weil sie zu gottesdienstlichen Gebräuchen gehörten.

In Schlesien läßt man in der Christnacht den Tisch gedeckt, damit die Engel kommen und von ihm speisen. Darin ist wieder ein christlicher Mantel um einen heidnischen Brauch geworfen. Sehr deutlich hat sich der letztere noch im Möllthal in Oberkärnten erhalten. Dort stellt man in der Dreikönigsnacht Brot und gefüllte Nudeln für die Perchtel (Berchta, Freia) auf den Küchentisch, damit sie davon abbeiße und koste. That sie das, so wird das kommende Jahr ein gutes sein.

Anderseits giebt es im Volke noch Ueberlieferungen, wonach derjenige, der die vorgeschriebenen Weihnachtsgerichte nicht genießt, für die Unterlassung des Gebots mit Strafe bedroht wird. Einem solchen Säumigen schneidet die Perchta den Bauch auf, füllt Häckerling hinein und näht ihn mit Pflugschar und Eisenkette wieder zu.

In neuester Zeit ist oft die Ansicht ausgesprochen worden, daß das Weihnachtsfest, wie wir es feiern, in früheren Zeiten nicht bekannt war, daß unsere heidnischen Vorfahren nur ein großes Herbstfest kannten, das sich bis in den Winter hinein erstreckte.

Wir möchten dieser Anschauung nicht ohne weiteres zustimmen. Das Winterfest der alten Germanen bestand nicht allein in Schmausereien und was aus alter Zeit auf das Weihnachtsfest unsrer Tage überkommen ist, das sind nicht die Speisen allein. Die Julfeier war ein großes Friedensfest, denn Jul bedeutet Frieden. An ihm ruhte jeder Streit und man gelobte angesichts der Altäre der alten Götter Frieden und Gerechtigkeit. Es dämmerte schon damals in den Tiefen des Volksgemüts der Gedanke an Liebe und Versöhnung, und die Neuzeit hat nur das Erbe der Väter fortentwickelt, indem sie Weihnachten zum höchsten Fest der Liebe gestaltete.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_827.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)