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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

hören Sie, Magisterchen, so schlecht wie heute haben Sie mir noch nie gefallen. Was ist denn das? So hat es Sie doch sonst nicht angegriffen, wenn Sie eine Stunde zu geben hatten? Was war’s denn für einer?“

„Einer aus dem Wilhelmsgymnasium, Obertertia. Ist mit Nachterminen in Griechisch und Latein versetzt worden. Ein heilloser Strohkopf. Dem Alter nach könnt’ er bald heiraten. Soll nun mit Gewalt nachgeheizt werden, damit er Ostern nicht wieder zurück muß.“

„Na ja, aber so was kommt Ihnen doch nicht zum erstenmal unter die Finger.“

„Gewiß nicht.“ Rettenbacher ließ jetzt die Hand sinken und lehnte sich, aufschauend, in seinen Stuhl zurück. „Aber haben Sie nicht auch schon Zeiten gekannt – –“

„Wo mir die ganze Prostemahlzeit bis dahin stand?“ fuhr Günther fort, als Arnold stockte. „Hab’ ich. Hab’ ich tüchtig. Aber was will man machen? Man kann die Karre doch nicht stehen lassen.“

„Wer spricht denn davon? Wie kommen Sie mir vor? Es ist ja auch nicht das. Mir geht nur – ich erlebe nur augenblicklich Stunden der Feigheit, so daß ich meine Muskeln nicht spüre. Ich bin faul, schlaff, in widerhaariger, böser Stimmung, mich ärgert die berühmte historische ’Fliege an der Wand'. Ich sollte mich eigentlich schämen, sollte mich vor niemand sehen lassen!

„Im Gegenteil. Sie sollten sich einmal tüchtig satt schimpfen, sich alles herunterreden, was Sie auf dem Herzen haben. Das würde Ihnen gut thun. Gewitter reinigen die Luft bekanntlich.“

„Aber bekanntlich weiß man auch nie, was sie nebenbei noch anrichten können. Also –“

Rettenbacher winkte abwehrend mit der Hand. „Sehen Sie wohl, so ist er nun,“ sagte Grete. Ihre aufmerksam und liebevoll forschenden Augen hatten den Bruder noch kaum verlassen. Sie faßte jetzt, sich zu ihm neigend, nach seiner Hand und schüttelte ihn ein wenig daran.

„So sei doch nicht so gräßlich zugeknöpft, Arnold! Du bist doch hier nicht unter fremden Leuten. Herr Günther sagt, du hättest – na ja, du hättest einen Kummer – Gotte doch, nun wirfst du ihm einen Blick zu, als wenn du ihn fressen wolltest! Denkst du denn, damit sagt er mir was Neues? Schon all die Wochen her hab’ ich mir den Kopf zerbrochen, was dir wohl sein könnte, was dich wohl quälen mochte. Ich bin doch auch nicht blind. Und weh thut’s. mir auch, wenn dir nicht wohl in deiner Haut ist. Was glaubst du denn von deiner Schwester?“

Arnold sah sie freundlich an, er drückte auch ihre Hand, die noch auf der seinen lag.

„Ich glaube, daß du ein gutes, liebes Ding bist, Gretchen,“ sagte er herzlich. „Aber ich glaube auch, daß du mich ruhig meiner Wege gehen lassen solltest. Ich finde mich ganz allein zurecht, bin’s schon von je her so gewöhnt. Daß ich mich in letzter Zeit, wo mir verschiednes durch den Kopf gegangen ist, so wenig beherrscht habe, daß du anfangen konntest, dir Sorgen zu machen, ist höchst unrecht von mir und soll nicht mehr vorkommen. Besonders, da der Grund zu meiner – Mißstimmung keine Lebensfrage betrifft –“

„Keine Lebensfrage?“ fuhr Günther nun dazwischen. „Was denn? Was ist es denn andres als eine Lebensfrage, zum Donnerwetter? Aber Sie sind verrückt, Freundchen, wissen Sie das? Und sie ist auch verrückt. Alle beide seid ihr verrückt!“

Arnold stand rasch auf.

„Wollen Sie einen Augenblick mit mir hineinkommen?“ fragte er mit so verfinstertem Gesicht und so rauher Stimme, daß Grete erschrak.

Günther schien sich aber nichts daraus zu machen.

„Will ich. Gerne,“ sagte er, sich sofort ebenfalls erhebend. „Bin ganz in der Laune dazu.“

Eilig lief er dem Hausherrn voran zur Thür hinaus, über den Vorplatz in Rettenbachers Zimmer.

(Fortsetzung folgt.)0


An der Weihnachtstafel.

Geschichtliche Rückblicke von M. Hagenau.

Festtage sollen mit Festmählern verbunden sein. Das ist Brauch und Sitte bei den Kindern der Neuzeit und war es auch bei unseren Altvorderen. Wo der Geist seine Rechnung gefunden, dort will auch der Leib nicht leer ausgehen, und man kann ihm sein Recht gönnen. Wenn die Tafelfreuden nicht ausarten, so tragen sie viel zur Hebung der festlichen Stimmung bei, während derselben kommt ja in der Regel das Gemüt zur Geltung, und gemütliche Festtage wünscht sich jeder, nicht zu allerletzt gewiß der Deutsche. Große Feste, wie Ostern und Weihnachten, werden aber noch durch besondere Gerichte ausgezeichnet, die man Festspeisen nennt. Viele von ihnen sind uralten Ursprungs und liefern den Beweis, wie die nationale Küche allen Wandlungen der Zeit zu trotzen versteht. Freilich waren einst jene Festgerichte keineswegs nur für Menschen bestimmt, sondern bildeten einen Teil der Gaben, die man Göttern opferte, und bestanden aus dem Besten, was die jeweilige Jahreszeit zu bieten vermochte.

In vielen Gegenden Deutschlands, namentlich im Norden, werden zu Weihnachten Schweinebraten und Schweinskopf aufgetragen. Vielfach wird dieses Gericht Juleber genannt und der Name zeigt schon deutlich, daß es mit der altgermanischen Julfeier zusammenhängt, die um die Mittwinterszeit begangen wurde. Jenes Fest war dem Wotan geweiht und unter den Opfern, die man dem Gotte darbrachte, nahm der „goldborstige Eber“ den wichtigsten Platz ein. Das war durchaus natürlich. Das Schwein war eins der ältesten Haustiere der Germanen, als die Kultur noch in ihren Anfängen begriffen war, ließ es sich leicht halten denn in den weiten Eichenwäldern fand es reichliche Nahrung und bei der Eichelmast konnten schon prächtige Eber groß gezogen werden wie jener, von dem alte Dichter sangen: „Seine Borsten ragen hoch wie der Wald, seine Hauer sind zwölf Ellen lang!“

Eine nicht minder beliebte Weihnachtsspeise bildet der Gänsebraten. In manchen Gegenden wird der fette Vogel allerdings schon Wochen vorher zu Ehren St. Martins verzehrt. Wir wissen aber, daß der heilige Martin, der nach altem Volksglauben auf einem Schimmel reiten soll, mit der Gänsezucht und dem Gänsebraten nichts zu thun hatte. An den Tagen, an welchen die Kirche ihn feiern läßt, verehrten einst die Heiden ihren obersten Gott Wotan und brachten ihm die Gans als Opfer dar. Warum die Wahl gerade auf diesen Vogel fiel, ist leicht zu erklären. Die Gans ist der älteste Vogel, den der Mensch gezähmt und gezogen hat, erst in späterer geschichtlicher Zeit wurde sie in ihrer Bedeutung durch das Huhn zurückgedrängt. Bei den germanischen Völkern muß aber die Zucht der Gänse in besonders hoher Blüte gestanden haben, denn die Römer zogen den kleinen Schlag der germanischen Gänse allen anderen vor, und von den Germanen haben sie auch erst um die Wende des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt den Gebrauch der Daunen kennengelernt. Die Gans war somit ein sehr nützlicher Vogel, der den heidnischen Völkern Eier, Fleisch und warme Polster und Federbetten lieferte, und ursprünglich auch das einzige Hausgeflügel, das die Völker des Nordens ihren Göttern opfern konnten.

Während der Eber und die Gans in ihrer Wertschätzung durch Jahrtausende sich erhalten haben, ist ein drittes Festgericht der germanischen Völker von unsrer Tafel spurlos verschwunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_826.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)