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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Grete, „und hole uns eine Brezel vom Bäcker. Ich hab' kein Brot mehr im Hause. Hier.“

Sie schob ihm ein Fünfzigpfennigstück zwischen die Finger. Der Junge betrachtete die Münze, auf die flache Hand gelegt, mit einem Auge, wie ein Vogel.

„Also, zwei Brezeln,“ sagte er schlingelhaft lächelnd, „zu fünfundzwanzig. Sehr freigebig.“

Hinaus war er.

„Den haben wir uns gut gezogen, was?“ meinte Günther mit einem Kopfwinken nach der Richtung, von wo man Hansens Holterdipolter auf der Treppe noch hören konnte.

„Aber nein“, gab Grete zu. „Und wer ist am meisten schuld? Sie! Was darf er sich alles gegen Sie herausnehmen! Was lassen Sie sich alles von ihm gefallen!“

„Ja, aber nur in Civil. Als Freund. Hier zu Hause. In der Schule steht er stramm. Augen rechts. Rührt sich nicht. Ich liebe den Bengel höllisch. Ist Rasse drin. Wo ist denn aber unser Fränzchen?“

Günther hob die Tischdecke auf, guckte auch unter das Sofa, er war gewohnt, den Kleinen immer erst ausfindig machen zu müssen.

„Den suchen Sie heute nur nicht. Er ist zur Geburtstagsfeier unten bei dem Hauswirtssohn. Der kleine Junge, wissen Sie, mit dem er immer so nett spielt. Selig ist er vorhin abgezogen. Setzen Sie sich her, ja? Bis der Hans zurückkommt, näh' ich noch schnell die paar Knöpfe an.“

„Warten wir nicht auf den Bruder mit dem Kaffee?“

„Der hat seinen schon drin. Er schien mir so ein bißchen verfroren, da wollt' ich –“ sie unterbrach sich, ließ auch die Arbeit sinken. Aus ihren hübschen blauen Augen sah sie nachdenklich zu Günther auf. „Mit dem Arnold, wissen Sie, mit dem ist es nicht mehr richtig.“

„Wieso? Das heißt, ich seh's ja selber. Aber was meinen Sie denn, was ihm fehlt?“

„Ja, wenn ich das wüßte, da wär' ich ein ganz Teil klüger. Das ist ja eben das Elend. Also Ihnen fällt es auch schon auf? Na, wie sollt’ es auch nicht, er ist ja zu sehr verändert. Wenigstens, wer ihn genau kennt, und mit ihm lebt, und ihn lieb hat, der merkt’s. Freilich, was man so einen ernsten Menschen nennt, das war er ja immer; viel lachen war von je her nicht seine Art. Spaß hat er aber darum doch verstanden. Das wissen Sie ja am besten. Aber jetzt – schon seit Wochen geht er herum, wie gedrückt, oder wie gequält. Nicht, daß er brummig wäre oder launisch. Nur so still, so ohne Freude. Klagen thut er über nichts, wie würd’ er denn, das säh' ihm ja nicht ähnlich. Wissen Sie, bei uns sagt man dazu es wurmisiert was in ihm 'rum. Bloß was? Meta sagte vorgestern: es sieht aus, als wenn er eine unglückliche Liebe hätte. Aber wo sollt’ er die plötzlich hernehmen?“

„Kiek doch, die Meta,“ schmunzelte Günther, „was die für ’ne feine Nase hat. Und darauf sind Sie nicht gekommen?“

Grete horchte hoch auf. „Was sagen Sie da? Was meinen Sie?“

Aber es blieb keine Zeit mehr zu einem ungestörten Gespräch. Schon rasselte draußen das Thürschloß und Hans – er hatte den Drücker mitgenommen – kam zurück. Grete war so bestürzt von Günthers Andeutung, daß sie kaum danach hinhörte, wie ihr der Bruder beruhigend versicherte, er habe sie mit den zwei Brezeln nur uzen wollen. Gedankenlos schüttelte sie die kleinen Münzen in ihr Portemonnaie. Auch für die Schnecke die Hans „zugekriegt“ hatte und die er nun triumphierend auf seine Tasse legte, hatte sie nur einen flüchtigen Blick. Ihre verwunderten, eindringlich fragenden Augen kehrten zu Günther zurück.

„Nein, nun sagen Sie bloß – –“ stieß sie heraus.

Der Musiker warnte sie mit einem leisen Kopfnicken nach dem Buben hin, der schon begonnen hatte, aufzuhorchen.

„Natürlich,“ murmelte Grete, noch mehr verwirrt. Sie stand dann auf und kümmerte sich um den Kaffeetisch. Es wurde eine schweigsame kleine Mahlzeit, trotz der Brezelorgie. Hans, dem der Schnabel sonst nicht still stand, betrachtete, wenn auch eifrig schmausend, das versonnene Gesicht seiner Schwester. Da er an eine immer sehr lebhafte Unterhaltung zwischen ihr und Günther gewöhnt war, so schloß er aus Gretens Wortkargheit, daß sie mit seinem geliebten Gönner, „bös“ sei, und nahm ohne weiteres sofort an, daß sie unrecht habe. Er stach mit seiner runden, kräftigen Knabenfaust über Günthers auf dem Tisch ruhende Hand und drückte sie ein bißchen, als Zeichen seiner Zärtlichkeit und Parteinahme.

„Was willst du, Hanswurst?“

„Nichts,“ versicherte er errötend. Und nach einem vorwurfsvollen Blick auf Grete: „Ich meine nur, ärgern Sie sich nicht.“

„Thu ich denn das? Du bist wohl verdreht?“

„Na, weil Sie so still sind. Und die gar. Ich hatte mich doch so gefreut, wie Sie kamen, nun soll es eine fidele Kaffeestunde geben. Und statt dessen sitzen wir nur so herum – –“

„Das hat seinen guten Grund, mein Sohn. Wir beide, deine Schwester und ich, denken über eine wichtige Sache nach, von der du nichts verstehst, und wenn du deinen Happen-Pappen weg hast, wirst du dich gütigst drücken, damit wir sie zu Ende besprechen können.“

Hans runzelte gewaltig die Stirn, eine Widerrede erlaubte er sich aber nicht.

„Muß ich ganz aus dem Hause ’raus?“ fragte er etwas niedergeschlagen.

„Da Arnold noch unterrichtet, wird dir wohl nichts andres übrig bleiben, mein Alter.“

„Tobst noch ein bißchen, ja?“ redete ihm Grete nun auch zu.

Hans, den letzten Bissen im Munde, erhob sich langsam. „Ja wenn’s nicht anders geht – wie lange denn?“

„Sagen wir: Eine halbe Stunde.“

„Seh’ ich Sie aber dann nachher auch noch?“

„In Lebensgröße, verlaß dich drauf. Zieh dir aber was an. Die Sonne ist schon weg.“

„I wo denn! Bei der Hitze.“

„Sei so gut. Fünfzehnter Januar. Wann fängt denn bei dir die Kälte an?“

„Erst, wenn die Spatzen tot vom Dach fallen. Also in einer halben Stunde. Aber genau!“

Er trollte sich.

„In wen? So sagen Sie doch, in wen?“ fragte Grete eifrig, kaum, daß sich die Thür hinter dem Jungen geschlossen hatte. „Er kennt doch keine. Ich weiß doch, mit wem er verkehrt. Und er steckt ja die Nase kaum vor die Thür. Eine unglückliche Liebe, sagen Sie? Ja um Gotteswillen – –“

Es schien aber ein Unstern über diesem Zwiegespräch zu schweben. Frau Grete mußte sich noch einmal gedulden. Draußen klappte die Flurthür, der Schüler ging weg, und gleich darauf trat der Gegenstand ihrer Sorge ins Zimmer.

Arnold begrüßte den Freund, der kein seltener Gast war, mit einem Händedruck und einem Nicken. Er ließ sich dann etwas schwerfällig auf Hansens leeren Platz nieder, schob die Tasse von sich weg über den Tisch und lehnte die Stirn in die aufgestützte Hand.

Mit einer Art von scheuer Bekümmernis betrachtete Grete sein verändertes Gesicht. Seine Blässe und der schmerzliche Zug um die zusammengepreßten Lippen die der blonde, weiche Bart nur schwach verdeckte, redeten ihr plötzlich eine neue Sprache. Wer hatte da in aller Stille ihrem lieben Bruder ein Leid angethan? Es wurde ihr heiß um die Augen.

„Was ist dir denn, mein Noldichen?“ fragte sie halblaut und rührte schüchtern seinen Arm an.

„Müde bin ich,“ gab er kurz, etwas rauh zurück, ohne den Kopf zu heben. „Entschuldigt meine Unhöflichkeit, bitte. Aber ich habe das lebhafte Verlangen, ein Weilchen still zu sitzen und mich nicht zu rühren nicht zu sprechen. Drinnen hielt ich es nicht mehr aus, nach der öden Schulmeisterei. Er schloß die Augen.“

Es blieb nun eine Zeit lang still im Zimmer. Grete und Günther hatten einen betrübten Blick getauscht.

„Aber darum müßt ihr nun nicht auch schweigen Kinder,“ begann Rettenbachers verschleierte Stimme. aufs neue. „Unterhaltet euch doch weiter.“

„Brauchen wir ja nicht,“ wehrte Günther. „Wir haben ganz genug geschwatzt, können es schon so noch aushalten. Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_823.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)