Seite:Die Gartenlaube (1897) 807.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ein neuer, wütender Husten überfiel ihn, schlimmer als je zuvor.

„Doktor! Zu Hilfe!“ rief Hanna. Mit beiden Armen hielt sie den Unglücklichen, der, nach Luft ringend, um sich schlug.

Dann – plötzlich – brach der Husten ab, wie mitten durchgeschnitten. In die krampfhaft aufgereckte Gestalt kam ein Schüttern, sie wankte und brach lautlos zusammen.

„Was ist das?“ fragte Hanna entsetzt.

„Der Tod,“ antwortete Meinhardt leise und ernst. „Ein Herzschlag. Ich habe ihn befürchtet.“


40.

Hanna brauchte sich um nichts zu kümmern. Die Schwägerin „besorgte alles.“

Frau Selma Eggebrecht war am andern Morgen in aller Frühe erschienen, außer sich, daß man sie nicht gerufen habe, als der Bruder zum Sterben gekommen sei.

Oben in Hannas Zimmer hatte sich der Sturm dann freilich legen müssen. Der Sanitätsrat, sehr besorgt um seine junge Freundin, war nach kurzer Nachtruhe, die er sich ja nun doch im eigenen Hause hatte vergönnen dürfen, wiedergekommen und empfing zunächst allein den ersten Ansturm der schwesterlichen Entrüstung. Er rief der aufgeregten Frau den Wortlaut seines im Namen Hannas sofort nach Ludwigs Tode an sie abgesandten schriftlichen Bericht ins Gedächtnis zurück.

„Daß es am Nachmittag bereits sehr ernst um den Kranken stand, war Ihnen nicht verheimlicht worden. Daß trotzdem am Abend niemand von Ihnen allen zu Hause war, als August die Trauerbotschaft überbrachte, konnte man unmöglich vorher sehen -“

„Ein Plauderstündchen bei guten Freunden, nur um auf Augenblicke unsere nagende Sorge zu vergessen um uns ein bißchen auf andere Gedanken zu bringen – –“

„Bitte, bitte sehr, meine gnädigste Frau, dies ist ja ganz individuell. Eine Kritik hätte ich mir nicht erlaubt. Dagegen gestatte ich mir, festzustellen daß der Zufall und nicht Frau Thomas daran schuld ist, daß Sie die Todesnachricht erst spät in der Nacht empfangen – vielmehr also vorgefunden haben. Ein Herzschlag, der das schwere Leiden Ihres Bruders rasch beendigte, konnte man der schon vorher festgestellten leichten Herzerkrankung wegen wohl befürchten, nicht aber mit Sicherheit prophezeien. Ich bitte Sie also inständigst, Ihre ganz gegenstandslose Entrüstung aufgeben zu wollen! Das Natürlichste wäre wohl, Ihre Trauer mit der der armen kleinen Witwe zu vereinigen.“

„Wie geht es Hanna? Ich vermute sie ist sehr gefaßt. Von Kummer wird bei ihr nicht groß die Rede sein. Danach war die Ehe nicht beschaffen. Sie ist eine eiskalte Natur.“

„So? – Ich finde sie in mitleidswürdigem Grade erschüttert. Und ich möchte Ihnen ans Herz legen, gnädige Frau, recht schonungsvoll mit ihr umzugehen. Mir scheint, Sie kennen sie denn doch wohl nicht genug, um über ihr Seelenleben urteilen zu können.“

„Wo steckt sie denn überhaupt? Warum läßt sie sich vor mir nicht sehen? Das ist doch zum mindesten wunderlich.“

„Als ich Ihren Wagen anfahren sah, empfahl ich ihr, sich vorläufig zurückzuziehen. Es lag mir daran, mich zuerst zu vergewissern, daß ihr nicht anders, als sehr zart begegnet werde.“ – –

Frau Eggebrechts Trauer setzte sich in Thatkraft um.

Es galt eine „pompöse“ Leichenfeier zu veranstalten, wie sie dem Reichtum und der Prachtliebe des Verblichenen entsprach. Die Schwester fühlte tief die Wichtigkeit ihrer Mission. Es konnte jetzt als ein besonderes Glück angesehen werden, daß Linchen mit hergekommen war. Ihr als verheirateter und von ihrem Mann begleiteter Frau konnte sie Evchen tagsüber zu schützen überlassen, da die Mama als natürliche und oberste Hüterin zunächst unabkömmlich war, wenn sie auch für die Nacht ins Hotel zu den Ihren zurückkehrte. Die Kinder sollten das Trauerhaus nicht eher beweinen als bis alles bereit war. Der Kondolenzbesuch bei der Tante kam immer noch früh genug.

Die Dienstboten wußten kaum, wie ihnen geschah. Als ob nicht die Witwe, sondern die Schwester Herrin des Hauses wäre, so schaltete und waltete die majestätische Frau Bankdirektor, ohne sich im einzelnen mehr um Hannas Zustimmung zu bemühen, nachdem sie sich in einem kurzen Gespräch mit der blassen stillen Frau die Freiheit des Handelns im allgemeinen gesichert hatte. Wirklich „verstand“ sie die Repräsentation des Hauses Thomas besser als ihre Schwägerin, und Hanna that gut, sie in den nächsten Tagen völlig gewähren zu lassen.

August, schlecht verhehlte Widersetzlichkeit in jeder Falte seines Gesichts, war eine halbe Stunde nach dem Ausbruch dieser neuen und höchst lärmvollen Regentschaft bei Hanna erschienen, um die ausdrücklichen Befehle seiner gnädigen Frau zu erfahren. die Frau Bankdirektor seien doch schließlich nur zu Besuch hier, und sie wüßten sich alle nicht zu deuten – –

Der Bescheid befriedigte ihn anscheinend nur wenig, doch wurde er um seine Meinung nicht befragt. Er gab sie darum in der Küche zum besten, wo sie mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurde. Die Allergnädigste aus Breslau, so groß und breit sie war und so laut sie sprach, sollte sich nur nicht einbilden, daß sie das Kommandieren so beibehalten dürfte. Und wenn sie sich nach der Beerdigung noch weiter so dicke that, so würde gestreikt.

Dekorateure und Gärtner hantierten in den unteren Räumen Der Festsaal und der davorliegende große Salon wurden schwarz ausgeschlagen, sämtliche elektrische Lampen, bis ins Vestibül hinaus, mit schwarzem Flor behängt oder überzogen. Das Thomas'sche Gewächshaus, so groß es war, enthielt nicht so viel des „ernsten Grüns“, wie man brauchte. Schmidt Unter den Linden, der „Hoflieferant“ des Verstorbenen, wurde entboten, um die Ausschmückung zu vollenden. Frau Selma war überall selbst mit dabei, keine Palme, kein Lorbeerbaum durfte ohne ihre ausdrückliche Genehmigung aufgestellt werden. Kein Mißverhältnis im Faltenwurf und in der Spannung der schwarzen Stoffmassen entging ihrem raschen Blick. Die Tapeziergehilfen, die zehnmal für einmal die Leitern auf- und abklettern mußten, waren sich darüber einig, daß sie noch nie so „gezwiebelt und gepiesackt“ worden wären. Wenigstens bei Trauersachen pflegten sich die Leute sonst sanfter zu verhalten.

Am zweiten Tage nahm die Interimsregentin die zahlreich einreisenden Kranzsendungen entgegen, öffnete und ordnete die Beileidsschreiben, wie sie gestern als erstes für die Erledigung der Anzeige in Zeitungen und Briefe gelegt hatte. Sie gönnte sich keine Ruhe, man konnte ihre laute, befehlende Stimme – es war, ins Weibliche übersetzt, die des Bruders – durch das ganze Haus hören.

Nur das Sterbezimmer betrat sie nicht. Den Toten sah sie nicht an. Die letzte Umbettung mochte Hanna besorgen, deren frostige Natur diese Dinge nicht anfochten. Ihre Nerven waren solchen Erregungen nicht gewachsen. Sie wäre unbedingt krank geworden, wenn sie sich einem derartigen Gefühlssturm ausgesetzt hätte. Und sie durfte ihre Fassung nicht verlieren.

Erst als der schon geschlossene Sarg, mit Blumen reich geschmückt, Palmen zu Häupten, im Saal aufgestellt war, verrichtete sie kniend ein stilles Gebet. August hatte zu diesem Zweck sämtliche Kerzen der vielarmigen hohen Leuchter anzünden müssen.

„Mich wundert nur eins,“ sagte er nachher zu Pauline, „daß sie sich nämlich keinen Photographen bestellt hat, um den weihevollen Augenblick zu verewigen.

Am Nachmittag des zweiten Tages kam Günther. Er wurde zunächst Frau Eggebrecht ausgeliefert, wie alles, was in das Haus kam.

Verwundert, aber mehr noch beklommen, verbeugte er sich in seiner linkischen Art, als diese große, weitläufige Dame im langschleppenden schwarzen Gewand zur Thür hereinkam, er hatte sein schmächtiges, blasses Hannichen erwartet.

„Mein Name ist Günther,“ murmelte er einigermaßen verdonnert.

„Günther? Günther? Ich erinnere mich nicht, daß ich irgend etwas bei Ihnen bestellt hätte. Wer schickt Sie denn?“

„Bitte schön.“ Günther mußte unwillkürlich lächeln, trotz

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_807.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)