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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Er klagte über Herzklopfen und Angstgefühle und der gleichen. Es scheint nach der Untersuchung eine beginnende Herzverfettung zu sein.“

„Ach geh!“

„Ja, und ihm fällt jetzt ein, daß er diese Pulsunruhe schon mehrmals, vor Wochen schon, vorübergehend gespürt hat. In den letzten Tagen nahm es zu. So haben wir denn einen ‚Spezialisten‘ konsultiert.

„Ist denn euer Hausarzt – – wart’, ich hänge das hier auf, gieb her, soll ich dir den Schleier aufbinden?“

„Danke, danke.“

„Ist denn euer Hausarzt nicht mehr zuverlässig?“

„O, nach meiner Meinung schon. Ich wünschte mir keinen bessern. Aber mein Mann bekam plötzlich große Angst und traute unserem alten Herrn nicht mehr. Das ist Ansichtssache, dagegen läßt sich nichts sagen. Meinhardt nahm es auch nicht im mindesten übel, dazu ist er zu klug und zu gütig. Zu meinem stillen Vergnügen brachte dann aber das große Tier mit seiner Diagnose auch nicht mehr heraus als unser gewöhnlicher Doktor. Doch nun glaubt Ludwig wenigstens daran und wird sich der vorgeschriebenen Kur unterziehen, während er Meinhardt vorher nur einfach ins Gesicht gelacht hatte. Ja, es ist mit dem Autoritätenglauben ein eigenes Ding.“

Sie waren mittlerweile schon in Helenens winziges Wohnzimmerchen eingetreten.

„Wie hübsch warm scheint die Sonne hier herein, das thut wohl,“ sagte Hanna, nach einem kleinen Frostschauer die Hände umeinander reibend.

„War dir denn kalt? Es ist doch herrliches Wetter. Wenigstens fand ich die Luft reizend, als ich heut' vormittag mit den Kindern aus war.“

„Das mag schon sein. Aber mich friert eigentlich immer. Ich brauche viel Sonnenwärme. Laß mich da am Fenster in dem Korbstuhl ein Weilchen sitzen, ja?“

„Gern. Aber drinnen im Kinderzimmer haben wir's ebenso sonnenwarm, da scheint sie gar zu zwei Fenstern herein.

Hanna saß schon und lehnte sich mit ineinandergeschobenen Armen fest an.

„Ein kleines Weilchen, ja?“ bat sie mit einem fast ängstlichen Streifblick auf die Thür, nach der Helene schon die Hand ausgestreckt hatte. „Komm, setz dich her zu mir! Du siehst vorzüglich aus, rosig und blühend.“

„Ich wollte, ich könnte dir das zurückgeben,“ erwiderte Helene, an der Freundin auf und absehend. Hier im hellen Licht erschien sie ihr erschreckend großäugig, schmal und bleich. „Dir sieht man’s nicht an, daß du erst kürzlich von einer langen Erholungsreise heimgekommen bist.“

„Gott, weißt du, mit unsern Reisen – – zum Erholen sind sie im Grunde nicht sehr geeignet. Wenigstens für mich nicht. Zu dem Zweck müßte ich ganz allein viele, viele Wochen lang in einem stillen Winkel sitzen – er brauchte nicht einmal überirdisch schön zu sein – und mich nicht vom Fleck rühren und thun, nur was mich freut.“

„Nun, das könntest du dir doch einmal einrichten.“

„Das könnte ich nicht. das wäre nichts für meinen Mann –“

„Ja also, dein Mann. Sag’ doch, ist es schlimm, das mit seinem Herzen?“

„Nein. Meinhardt versichert mich, daß von Besorgnis vorläufig keine Rede sei. Das Uebel ist noch ganz in seinen Anfängen entdeckt worden und kann mit Vernunft und Energie vollkommen beseitigt werden.“

„Ich kann auch gar nicht finden, daß er, was man so nennt, dick ist.

„Das ist er freilich nicht. Doch würde man bei seiner mächtigen, kraftvollen Gestalt eine stärkere Zunahme auch wohl nicht sehr bald sehen. Uebrigens kann eine solche Verfettung auch ganz örtlich auftreten, hab' ich mir sagen lassen. Aber Ludwigs Konstitution ist im allgemeinen so großartig, daß der Krankheitsstoff bald wieder ausgestoßen sein wird, sagt Meinhardt.“

„Daß er überhaupt krank werden kann, ist kaum zu glauben. Was hat er angestellt?“

„Gar nichts Besondres. Aber er lebt zu gut. Er ißt viel und sehr üppig, trinkt schwere Weine, raucht schwere Cigarren und so weiter. Das muß nun eingeschränkt werden. Flüssigkeitsentziehung, so eine Art Oertelscher Kur, weißt du. Dann alle Speisen leicht, reizlos. Keine pikanten Würzen mehr. Rauchen ist einstweilen ganz verboten.

„O! O! Fügt er sich in das alles?“

„Nicht gern. Er ist sogar sehr entrüstet. Aber er muß wohl. Wenigstens hoffe ich, daß es gelingen wird, ihn standhaft zu erhalten. Endlich soll er sich auch stark bewegen, spazieren, rennen. Das trifft mich am härtesten.“

„Wieso?“

„Ich muß mit. Er langweilt sich allein. Nun kann ich schon so, weil er soviel größer ist als ich, schlecht mit ihm Schritt halten. Wie das nun werden soll, wenn er erst tüchtig ausgreift, das weiß ich nicht.“

„Aber Hanna! Das sind ja Tollheiten! Das darfst du nicht thun. Das darf dein Arzt nicht erlauben.“

„Ich habe ja auch die Absicht, mich hinter ihm zu verschanzen. Hoffentlich hilft es. Im allgemeinen gilt bei uns aber des Herrn Wille als oberstes Gesetz.“

Helene wollte etwas erwidern, sie unterdrückte es aber nach einem Blick in Hannas Gesicht. Armes Tierchen, dachte sie. „Mach keine Geschichten,“ bat sie laut. „Du warst ja ganz atemlos vorhin von dem bißchen Treppensteigen. Solche Gewaltkuren verträgst du nicht. Was soll daraus werden?“

Hanna errötete in der peinlichen Empfindung, viel zu viel gesagt zu haben.

„Gut, gut, sei nur ruhig,“ sagte sie hastig, mit der Hand winkend. Sie stand dann auf. „Laß uns jetzt zu den Kindern gehen!“

Das war eine Aufforderung, die sich die kleine rosige Mutter nicht zweimal machen ließ! Sie hatte ohnehin nicht ruhig auf ihrem Stuhl gesessen, und ein Ohr war beständig auf der Lauer nach dem Nebenzimmer hin gewesen.

„Ja, komm,“ sagte sie erleichtert, „Düttila muß im Augenblick aufwachen. Mit seinen Schlafbäckchen mußt du ihn sehen -

„Was ich schon fragen wollte,“ unterbrach Hanna lächelnd und die Freundin noch einmal zurückhaltend „Düttila! Was ist denn das nun wieder für ein unglaublicher Name? Mit Heidi bin ich ja ganz einverstanden, er hat sich selbst so genannt, als er zu sprechen anfing, und es wird schon einmal Heinrich daraus werden. Aber was ist Düttila für eine Verquatschung? Und wie heißt der Junge in Wirklichkeit? Oder steht er so im Geburtsregister auf dem Standesamt?“

„Das nicht,“ erwiderte Helene mit einem zärtlich verlegenen Lächeln. „Wenn man den Schaden besieht, heißt er Otto. Nach Bismarck. Nur daß der von seiner Patenschaft nichts ahnt. So wenig wie vor fünfunddreißig Jahren, als mein Mann aus Verehrung für ihn so getauft wurde. Meine Schwiegermama hat es dem Fürsten damals zwar geschrieben, und eine Liebeserklärung dazu, aber was er dazu gesagt hat, wissen wir nicht, denn sie hat keinen Namen daruntergesetzt. Nun haben wir schon die zweite kleine Durchlaucht in der Familie. ‚Durchläuchting’ haben wir zu Anfang immer zu dem Kleinen gesagt. Und dann kam eben immer ein neuer Liebesname dazu, einer immer unverständlicher als der andere. Wer an Düttila schuld ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Es thut ja auch nichts. Wenn er nur darauf hörte. Komm herein! Da ist Heidi.“

„O, wie ist er groß geworden!“

Der goldhaarige Bub’ war beim Eintritt der beiden Damen von seinem kleinen Stuhl aufgestanden und hatte sich langsam hinter das Kindertischchen, an dem er gerade spielte, zurückgezogen; von diesem Wall gedeckt, betrachtete er aus seinen übergroßen, meerblaustrahlenden Augen ernsthaft den Besuch.

„Heidi!“ rief seine Mutter, „kennst du die Tante nicht?“

„Nee,“ sagte Heidi energisch, mit tiefer Stimme.

„Es heißt ja Nein, du kleiner Straßenjunge. Aber was bist du für ein Dummer. Kennst Tante Hanna nicht mehr? Komm, gieb die Hand und ein Küßchen!“

Der Kleine machte ein sehr erstauntes, entschieden zweifelndes Gesicht. Er gehorchte zwar, kam heran und gab die Hand. Als Hanna ihn aber, sich niederkauernd, an sich ziehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_774.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)