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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

wieder die Achseln. Morgen! dachte er, und zu Lande! – „Gute Nacht!“ sagte er dann laut, damit auch Gertrud ihn hörte.

Sie blieb aber abgewandt stehn und sagte nichts. Nur Schilcher erwiderte ein herzliches Gute Nacht- Um seinen Nußknackermund spielte jedoch ein verwünschtes Lächeln, das dem eingeweihten Rutenberg sagte: die ‚Brandung’ hat sich bewährt! Fritz schickte sich an, mit Arthur zu gehn. Rutenberg trat ihm in den Weg und nahm noch einmal seine beiden Händen „Waldeck Sohn!“ sagte er fast zärtlich. „Morgen mehr! Schlafen Sie gut!“

„Ich hoffe,“ erwiderte Fritz mit ernsthaftem Lächeln. Auch seine Augen suchten dann Gertruds Gesicht, sie schien aber ganz mit dem Meer beschäftigt, auf das sie hinaussah. So nahm er denn nur noch von Schilcher Abschied und ging mit Arthur und dem Barkenführer auf den Korridor hinaus. Rutenberg und Schilcher blickten ihm liebreich nach. Darauf lächelten sie einander zu wie zwei alte Schelme.

Langsam und fast unhörbar kam das Mädchen nach einer Weile vom Balkon zurück. Die Männer thaten, als bemerkten sie es nicht, um sie nicht zu stören. Sie war entfärbt und ihr Mund verzog sich; es ging ihr allerlei durch den Kopf. Und das Meer ist beinahe still, dachte sie. „Seekrank! – Wasserscheu!“

Sie warf noch einen unsichern Blick auf den Vater, ihr fiel nun ein, daß ihm doch eigentlich nichts zugestoßen war, und daß sie noch kein Wort mit ihm gesprochen hatte. Jetzt mochte sie erst recht nicht sprechen. Da die beiden so beisammen standen, ohne auf sie zu schauen, ging sie still in ihr Zimmer.

„Ich glaube, Vater Rutenberg,“ sagte Schilcher leise, als das Kind hinaus war, „heute nacht können wir ruhig schlafen.“

„Ja, bei Gott, es scheint so. – Du Intrigant.“ – Rutenberg deutete dann nach dem Korridor hinaus. „Schilcher! Der da – der wär' der andre!“

Schilcher hob die rechte Schulter, wie hoffnungslos oder ratlos: „Hätte nichts dagegen!“

17.

Ebenso wolkenfrei und sonnig und schön wie die früheren war auch der nächste Morgen wieder heraufgestiegen, Gertrud saß allein im Garten, da, wo sie morgens am liebsten saß: vorne an der steinernen Brüstung, so daß sie am steilen Fels hinunter gerade in das flache, grünliche Wasser, auf die umspülten Steine, oder vorwärts nach den herrlich besonnten Inseln Ischia und Procida und an der ganzen Weite des Golfs entlang schauen konnte. Hier hatte sie auch vor acht Tagen gesessen, als die Sorrentiner, die zur Tarantella-Gesellschaft gehörten, von Rutenberg bestellt, aus den immergrünen Gebüschen in ihren farbenreichen Kostümen hervorgetreten waren und so unter dem blauen Himmel, im Garten, getanzt, gesungen, allerlei neckische kleine Komödien gespielt hatten. Hier ließ sich so gut von allem träumen, was das Herz bewegte, von den fernen Freundinnen, von der Schulzeit, von der himmlischen Freiheit in der himmlisch schönen Welt, von der Hochzeitsreise – wenn die einmal käme – und von Ihm, von dem Einzigen … Hier war's immer schön – nur heut’ wollte ihr nichts gefallen, sie wußte nicht recht, warum. Es gefiel ihr nur, daß der Vesuv so mächtig dampfte, wie er bisher noch nie gethan, obgleich er besonders aufgeregte Zeiten hatte; fast unheimlich schwarz und wild stieg seine Rauchsäule auf, oben wie ein Schirm sich ausbreitend, und auch weiter unten am Berg brach eine Wolke hervor, einer grauen, riesigen Katze ähnlich. Ihr war’s recht! Nur zu! Ihrer tragisch gestimmten, verstimmten, aufgeregten Seele that’s wohl, daß der alte Vesuv so aufbegehrte; brich du nur los! dachte sie. O wenn du das doch thätst, altes Ungeheuer! Wenn du mal wieder Ernst machtest, aber ordentlich! Daß so recht was los wär’ in der Welt, daß es ächzte und krachte … Dann würd’ mir am Ende besser zu Mut!

Pasquale kam vom Hause her durch den Garten; auf seinem schwarzbärtigen Gesicht leuchtete die Morgensonne und machte Bronze daraus. Mit etwas theatralischer Grazie nahm er den schwarzen Kalabreser ab und grüßte: „Guten Morgen, Fräulein – Immer die erste beim Frühstück, immer die erste im Garten!“

Buon giorno, Pasquale,“ erwiderte das Mädchen, noch in ihren Gedanken. „Wohin?“

Er deutete mit dem Finger: „An den Meer hinab. Die Barke wartet unten. Wenn der Vapore kommt –

„Ah, der Dampfer von Neapel!“

„Zu dienen. Muß ja alle Tage mit meine Barke zur Piccola marina, ob auf dem Dampfer Fremde kommen für uns. – Nun? Was hab' ich gesagt, Signorina? Er streckte die Hand wagerecht aus: „Der Meer ist wie meine Hand!“

Gertrud fuhr leicht zusammen: alles war wieder da, was sie heut‘ verstörte. „Ja, ja,“ sagte sie, indem sie den Uebergang zu einer Frage suchte, die ihr eben einfiel. „Ja, Sie haben recht … Pasquale!“

„Signorina?“

„Als Sie gestern abend mit – mit dem jungen Herrn in der Barke saßen – da unten an den Felsen – war denn das Meer wirklich so bewegt?“

Die schwarzen Schelmenaugen Pasquales ruhten mit schlauem Forschen auf ihr. Er begann dann die Hände sehr ernsthaft hin und her zu drehn: „Die Barke machte so – so!“

„Na, um ein bißchen, so, so‘ fürchtet man sich doch nicht. Wenn‘s nicht schlimmer war –“

Pasquale lächelte zurückhaltend: „Eh! Die Fräulein ist mutig. Der junge Herr ist wohl nicht so mutig. Er versuchte Arthurs Baryton nachzuahmen: „Ans Land! – Will ans Land!“

Gertrud stand auf, ihr ward auf einmal so schlecht zu Mut. Nicht so mutig, sprach sie vor sich hin, vom nächsten Busch ein Blatt abreißend. – „Guten Morgen, Pasquale!“ Sie warf das Blatt über die Brüstung, in die „Brandung“ hinunter.

„Guten Morgen“, gab er zurück. „Buona passeggiata!“

Grazie.“

Pasquale stieg die Felsentreppe hinab, die sich in mehreren Windungen, mit Ruhebänken, zum steinigen Ufer senkte. – Nicht so mutig! dachte Gertrud wieder. Und ich wollte – – Fliehen wollt‘ ich mit ihm. In die Welt hinaus!

Wieder kam einer vom Hause her, abermals war es nicht Arthur, sondern der andre Lange, Fritz Waldeck. Er grüßte, etwas feierlich, und wandte sich dann gleich zur Felsentreppe, als wiche er ihr aus. Oder will er mich nur nicht stören? dachte sie. Zarte Rücksicht? – Ich muß aber doch endlich was von Arthur hören …

„Guten Morgen, Herr – Waldeck!“ rief sie ihn mutig an.

Er verneigte sich und trat höflich ein paar Schritte näher.

„Sie kommen vom Frühstück?“

„Ja,“ antwortete er kurz.

Sie zögerte, überwand sich aber: „Und er?“ fragte sie. „Herr van Wyttenbach, mein‘ ich –?“

„Setzt sich eben zum Frühstück. Er stand erst auf, als ich schon hinunterging.“

„Ah!“ sagte sie. Das Herz schlug ihr unruhig, vor plötzlicher Sorge um den Geliebten. „Ist er unwohl?“ fragte sie, suchte aber recht gleichmütig dabei auszusehn. „Hat er schlecht geschlafen? Er hatte vielleicht eine schlechte Nacht –“

„Im Gegenteil,“ erwiderte Fritz Waldeck lächelnd. „Er hat vortrefflich geschlafen. Die ganze Nacht, beneidenswert gut.“

Es kam wieder Bitterkeit in Gertruds Seele; und ich, dachte sie, lag schlaflos da, fast die ganze Nacht! – Sie sah diesen langen Menschen an, der ihr das sagte und sie so kränkte; ein verhaltenes, sonderbares Lächeln, das sie nicht mochte, spielte um seinen Mund. Es rührte sich ein trotziger Zweifel in ihr. „Aber woher wissen Sie das?“ fragte sie, den Kopf auf die Seite gelegt.

„Was, mein Fräulein?“

„Daß er so fest, so gut –-“

„Weil ich – wachte. Fast die ganze Nacht.“

„Sie auch?“ fuhr aus ihr heraus. „Sie? sagte sie dann, wie sich verbessernd. „Warum denn?“

Er suchte seine Worte. „Warum? – Es war mir so merkwürdig, so – wunderbar, unter einem Dach mit Ihnen …“

Sehr erstaunt sah sie ihm in die Augen.

Er errötete, aber nur schwach, nur flüchtig, als hätte er eine Kraft oder ein Mittel, das zu unterdrücken. „Und – so das Ganze, mein Fräulein!“ setzte er wie zur Erklärung hinzu. „Alles, was ich erlebt hatte. Sie begreifen wohl.“

„O gewiß, gewiß! Diese weite Reise und 'alles'!“

„Ja, das ist es, Fräulein.“

„Ach ja! Sie haben viel erlebt! – –“ Gertrud rückte auf ihrem steinernen Sitz, sie sammelte neuen Mut. „Entschuldigen Sie,“ fing sie tapfer an, indem sie die unruhigen Füße übereinanderlegte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_767.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)