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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

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Blätter und Blüten.

Der Sturm der Garde auf Le Bourget. (zu dem Bilde S. 736 und 737.) Wohl in keinem anderen Punkt in der Umgebung von Paris ist im Kriege von 1870/71 so oft und so hartnäckig gerungen worden wie um das 11 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt, im Osten von St. Denis gelegene Dorf Le Bourget. Ströme Blutes wurden um jenen Besitz vergossen, und an den Namen dieses Ortes knüpfen sich einige der schönsten aber auch verlustreichsten Ehrentage der preußischen Garde. Da das im Cernierungsbezirk gelegene Dorf stark dem Feuer der französischen Forts ausgesetzt war, so hatte man nur eine Kompagnie vom Augustaregiment daringelassen, die in der Morgenfrühe des 28. Oktober von starker Uebermacht angegriffen und hinausgedrängt wurde. Eine Beschießung durch Artillerie am nächsten Tage blieb fruchtlos; der Kronprinz von Sachsen wollte den Ort jedoch unter allen Umständen wiedergenommen haben. Generalleutenant v. Budritzky, Kommandeur der 2. Garde-Infanteriedivision, wurde damit beauftragt. Am 30. Oktober morgens 8 Uhr begann dieser von 9 Bataillonen ausgeführte berühmte Sturm. Artilleriefeuer leitete ihn ein, dann rückten die drei Sturmkolonnen von Le Blanc Mesnil, von Pont Jblon und von Dugny aus gegen das gemeinsame Ziel vor. Das Dorf bestand aus ansehnlichen, massiv und gut gebauten Häusern, deren Gärten und Gehöfte mit starken hohen Steinmauern umfriedigt waren. Die Eingänge waren stark verbarrikadiert. Heftiges Artillerie- wie Chassepotfeuer empfing die Kolonnen, von denen gar mancher Tapfere sein Leben lassen mußte, bevor er noch einen Feind erblickte. Die Barrikaden und alle Mauern waren besetzt, aus jeder Schießscharte, aus jedem Fenster richteten sich unablässig feuernde Flintenläufe auf die Kolonnen. Es war ein großartiges Schauspiel, wie trotzdem Preußens Garde, ohne einen Schutz zu thun, mit fliegenden Fahnen und unter den Klängen der Wacht am Rhein vorrückte. Bis auf hundert Schritt ging’s heran, ohne der Lücken zu achten, die in die Reihen gerissen wurden, dann schwieg die Musik, und nun wurde im Schnellschritt bis an die Dorfumfassung herangestürmt. Aber die Mauern waren zu hoch, als daß in diesem vernichtenden Feuer hätte jemand hinüberklettern können. Die Pioniere mußten mit ihren Aexten erst Breschen hineinschlagen, durch die man sich dann hindurchzwängte. Diesen Zeitpunkt aus dem heißen Kampfe des 30. Oktober veranschaulicht in überaus packender, naturwahrer Weise C. Röchlings Schlachtenbild, das unser Holzschnitt auf S. 736 und 737 wiedergiebt. Nicht minder hartnäckig war auch das Ringen um die Barrikaden, aber überall mußten schließlich die Franzosen weichen. Vier Stunden währte der Kampf, fast jedes Gehöft mußte einzeln gestürmt werden, dann aber war der Ort genommen, den die Garde von nun an festhielt. Nicht minder heldenhaft in der Verteidigung wie beim Angriff zeigte sie sich bei dem großen Ausfalle der Franzosen am 21. Dezember; ein letzter Angriff auf Le Bourget mußte dann noch in der Nacht zum 16. Januar zurückgewiesen werden. F. R.     

Siemens und Halske. Am 12. Oktober feierte die weltberühmte Firma Siemens und Halske ihr fünfzigjähriges Jubiläum. Nicht nur die Tausende von Arbeitern, die das Haus beschäftigt, vereinten sich mit ihren Leitern zu einer erhebenden und fröhlichen Feier; auch das deutsche Volk nahm im Geiste teil an diesem Gedenktage der Arbeit, denn das Jubiläum der Firma Siemens und Halske war ungleich ein Jubiläum der so mächtig aufgeblühten Elektrotechnik. Unvergeßlich sind die Verdienste, die sich Werner Siemens, der Gründer des heutigen Welthauses, um diesen so wichtigen Industriezweig im Laufe eines an Forschen und Arbeit reichen Lebens erworben.

Im Jahrgang 1892, S. 868[WS 1], der „Gartenlaube“ haben wir unsern Lesern ein Lebens- und Charakterbild dieses berühmten Erfinders geboten, heute möchten wir nur kurz an die Hauptleistungen des von ihm gegründeten Unternehmens erinnern. Vor einundfünfzig Jahren gelang es Werner Siemens, der damals ein preußischer Artillerieleutenant war, einen neuen Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung zu erfinden, der alle bis dahin vorhandenen telegraphischen Apparate bei weitem übertraf. Siemens verband sich nun mit dem jungen begabten Mechaniker J. G. Halske und gründete am 12. Oktober 1847 eine kleine Telegraphenwerkstätte, aus der in rascher Entwicklung das weltberühmte Haus Siemens und Halske hervorgehen sollte. Während Halske den technischen Betrieb mit größter Umsicht leitete und verwaltete, gab Siemens stets neue und befruchtende Anregungen. Schon im Jahre 1846 hatte er in der Guttapercha das vorzüglichste Isoliermittel für unterirdische und unterseeische Telegraphenleitungen entdeckt. Dank diesen Errungenschaften konnte die junge Firma in der Anlage der Telegraphenlinien „zu Lande und zu Wasser“ eine führende Stellung einnehmen. Sie war es auch, welche die erste größere Telegraphenlinie Europas von Berlin nach Frankfurt a. M. baute und später das weite russische Reich mit einem Telegraphennetz überzog. Bahnbrechend ging sie zugleich vor auf dem Gebiete der Tiefseekabellegungen.

Werner Siemens war es aber vorbehalten, noch Größeres zu leisten – eine neue Aera der Elektrotechnik zu eröffnen; denn im Jahre 1866 entdeckte er das dymamo-elektrische Prinzip und baute die erste Dynamomaschine. Von nun an sollte die Elektricität auf allen Gebieten der Arbeit als Gehilfin des Menschen auftreten, zur Licht- und Wärmeerzeugung und zu allerlei Arbeiten verwendet werden. Die Firma Siemens und Halske war es auch, welche die erste elektrische Straßenbahn in Lichterfelde bei Berlin im Jahre 1881 dem Verkehr übergab.

Der treue Mitarbeiter Siemens J. G. Halske, trat bereits im Jahre 1868 von dem Geschäfte zurück, er starb im Jahre 1890. Werner Siemens führte inzwischen mit seinen Brüdern das Unternehmen weiter fort. Im Laufe der Jahre war es zu einem Welthause geworden, das in Berlin Tausende von Arbeitern beschäftigte und in Petersburg, London, Wien und Chicago Zweigniederlassungen errichtete.

Die Verdienste Werner Siemens’ wurden überall gewürdigt und es fehlte ihm nicht an äußeren Auszeichnungen. Schon im Jahre 1860 hatte ihn die Berliner Universität zum Doctor philosophiae honoris causa ernannt, und Kaiser Friedrich verlieh ihm bei seiner Thronbesteigung den erblichen Adel. Am 6. Dezember 1892 schied der große Elektrotechniker aus seinem arbeitsreichen Leben.

Das von ihm gegründete Welthaus wird von den Erben weiter in seinem Geiste geleitet. Eins seiner schönsten Merkmale ist das gute Einvernehmen, das sich zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestand. Dasselbe gelangte bei dem Jubelfest der Firma in glänzender Weise zum Ausdruck. Die Besitzer des Hauses haben der Pensionskasse für die Witwen und Waisen ihrer Angestellten eine neue Zuwendung in der Höhe von einer Million Mark gemacht.

In dem großartigen Berlin-Charlottenburger Werke der Firma Siemens und Halske werden heute an 6000 Arbeiter beschäftigt das Wiener Haus zählt 1900, das Petersburger 1000 Arbeiter, während in dem Kupferbergwerk im Kaukasus 600 Mann wirken. Die Zahl der Beamten beträgt über 2000.*      

Erster Unterricht (Zu dem Bilde S. 733.) Die beiden kleinen Mädchen sind alles, was der jungen Witwe an Lebensfreude geblieben ist, sie nimmt es deshalb schwer mit ihrer Erziehungspflicht und will ihnen lieber den ersten Unterricht selbst erteilen, als sie zu Fremden hinausschicken. Noch können sich aber die kleinen Fräulein nicht recht an die neue Ernsthaftigkeit in der ehemals so lustigen Kinderstube gewöhnen. Daß jetzt am Spieltische gearbeitet und gelernt werden soll, und die Puppen nur zusehen dürfen, ist doch äußerst unerfreulich! Klein Ada zieht trübselig und langsam ihre Wollfäden durch den Stramin, aber der größeren Hedwig geht bereits eine Ahnung von der Schwere des Daseins auf unter dem vorwurfsvoll prüfenden Blick der Mutter. Sie weiß alles nicht, was sie wissen sollte, kann sich die dummen langweiligen Worte nicht merken, bleibt auf jede Frage die Antwort schuldig. Der klugen jungen Frau aber steigt über alles dieses der erste Zweifel auf, ob ihr lebhaftes Töchterchen denn auch wirklich geistig so begabt sei, wie sie es bisher ohne weiteres voraussetzte? … Daß der Grund des Mißerfolges auch wo anders liegen könne, fällt ihr nicht ein, sie wird ihn vielleicht erkennen, wenn das bei ihr allein nicht vorwärts kommende Kind, einer Schule übergeben, gern lernt und gute Fortschritte macht. Denn Erziehen und Lehren ist zweierlei, das hat schon manche Mutter erfahren. Sie thut genug, wenn sie das erstere Amt mustergültig verwaltet! Bn.     

Die Kunstnovize. (Zu dem Bilde S. 729.) F. y Gonzalez, einer der fruchtbarsten unter den modernen spanischen Malern, dürfte manchem unserer Leser bereits bekannt sein. Seine Gemälde zeichnen sich durch meisterhafte Ausführung und lebenswahre Darstellung aus. Gern wählt er als Vorwürfe Scenen aus seiner Heimat, auch auf dem Bilde „Die Kunstnovize“ führt er uns in sein engeres Vaterland Andalusien und zwar nach Sevilla. Das kleine Volkslied, das man dort oft in den Straßen hört:

„Die Schleppe am Kleide,
Die Blume im Haar,
Allein auf dem Herde,
Kein Essen wird gar,“

wäre kein schlechtes Motto für die Gesellschaft schöner Frauen verschiedenen Alters, die der Maler hier vereinte. Die Anmutigste und Jüngste, Lolita, hat auf dem letzten Frühlingsfest – der Feria – den braunen Gil gehört, als er eine alte, alte Malaguénia spielte, deren Melodie heute noch spanische Tanzheime in Bewegung setzt. Die süßen Klänge haben sie seitdem Tag und Nacht verfolgt. Es ließ ihr keine Ruhe, sie mußte Gil wiedersehen und jene alte Weise von ihm lernen. Nun hat sie’s endlich durchgesetzt und ihre Züge strahlen glückliches Behagen. Man hat Gil eingeladen und er ist Mittelpunkt geworden. Die Capa hat er abgeworfen, wie den schwarzen Hut des Andalusiers – die Montera. Auf dem glattrasierten Gesicht spiegelt sich naive Eitelkeit. Er fingert an den Saiten des Instruments und berührt dabei ein schlankes, schmales Händchen, das der Guitarre noch etwas ungeübt die Töne entlockt. Dicht neben der Musizierenden die kräftige Rechte auf den Stuhl gestützt, den Kopf etwas zurückgeworfen begleitet Dolores mit leiser, etwas heisrer Stimme das Guitarrespiel. Wie sie so dasteht, das schwarzgrundige, großgeblumte Seidentuch mit breiten Fransen lässig um die Schulter gelegt, mit ihrem trotzigen Prosit und dem etwas wirren Haar, würde Dolores kaum die Zierde eines deutschen Hauses sein – aber was für ein interessanter Vorwurf für den Maler ist sie in ihrer pittoresken Schlamperei! Weniger interessant, aber stillvergnügt und wohlgenährt, die Hände leicht ineinander geschlungen, betrachtet Ines neidlos die Schwester mit der Guitarre. Die Familienähnlichkeit steht hier außer aller Frage. Unterdes scheint die älteste der Schwestern ernsten Träumen nachzuhängen Es ist, als ob Erinnerung ihr einen Schleier über alles Gegenwärtige gebreitet, als ob ihr dunkles Auge, obwohl halb geöffnet, nur auf ein innres Bild gerichtet sei; denkt sie der vergangenen Blütezeit, wo ihre schlanken Glieder sich im Fandango oder der Jota bewegten, oder jenes linden Abends, da Romero – dessen Triumph als Stierfechter eine Lithographie an der Wand verewigt – sie in den Delicias, den Promenaden von Sevilla, traf’ … Die Jugend weiß noch nichts vom Ernst und den Enttäuschungen des Lebens, und von fröhlichem Lachen unterbrochen ziehen die Klänge jener vierhundertjährigen Malaguénia durch den Raum.

C. B.

Waldbrände in Kanada. Von der Meerenge von Belle-Isle bis Alaska erstreckt sich im Norden Amerikas ein Waldgebiet von etwa 6000 km Länge und 1000 km Breite. In ihm wüten noch Waldbrände

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 878
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_739.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)