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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Immer heiterer wird sie. Die verweinten Augen, wie lustig jetzt. Die trotzigen verschlossenen Lippen, wie sie wieder lachen können. Sie singt. Sie scheint ihren Angebeteten, ihren Engel richtig zu vergessen. Heut’ haben wir Mittwoch in der vierten Wochen – na, und um von mir zu reden, ich kann dir nicht sagen Schilcherio mio, wie ich glücklich bin. Es war ’ne Dummheit, daß ich noch nie nach Italien reiste, aber die Dummheit belohnt sich jetzt, alles ist mir nun neu, alles wunderbar! Ich bin wie ein Junge, den der Vater auf die erste Reise mitnimmt –“

„Nur daß hier die Tochter den Vater mitnimmt –“

„Ja,“ lachte Rutenberg , „ja, das gute Kind! Alle Tage bin ich ihr dankbar, daß sie mich veranlaßt hat, nach Sorrent zu reisen! Du, wenn das so fortgeht, werd’ ich auch noch ihrem Arthur dankbar … “

Er sprang auf, stellte sich vor Schilcher hin und schüttelte ihn an beiden Armen. „Na, kurz, ich bin glücklich!“

„Du bist doch das richtige Gummibändchen,“ sagte Schilcher, der sich nicht rührte. „So eins für Pakete mein’ ich; sowie man ihm sein Päckchen abnimmt, springt es fidel in sich zurück. – Bist beneidenswert!“ seufzte er leise.

Rutenberg lächelte mitleidig: „Armer Schilcher! Märtyrer der Freundschaft! Dir fehlt was in diesem Paradies: deine Whistpartie. Ich spiele zwar Schach mit dir –“

„Schach ist kein Whist“.

„Sehr richtig. – Darum hab’ ich auch – –“ Rutenberg brach ab und lächelte in sich hinein. „Was hast du?“

„Darum hab’ ich auch heimlich – einen Streich gemacht –“

Er hielt wieder inne, seine blauen Augen lachten den andern an.

„Was heißt das?“ fragte Schilcher „Wirst du dich wundern, Alter?“

„Das kann ich noch nicht wissen.“

„Ich hab’ Lugau und Wild heimlich eingeladen, uns nachzukommen hierher nach Sorrent … Aha! Jetzt wundert er sich! – Schon vor einer Woche, Allein hab’ ich ihnen geschrieben. Meine Freunde, es ist hier schön, göttlich schön, zu schön für uns allein; ihr müßt mit dabei sein! Lugau ist ein freier Mann, Wild braucht Erholung, seine drei Patienten sind gesünder als er und können bis nach Weihnachten warten. Ihr wollt den Vesuv sehn, der Vesuv will euch sehn, Schilcher rollt jeden Abend die Daumen übereinander, Schilcher schwindet hin; rettet den Mann und kommt her! Dieses Hotel ist meine Villa ihr seid meine Gäste, auch für die Hin- und Herreise … Was hast du?“

Schilcher war aufgestanden, er wollte seine Rührung nicht zeigen und wußte nicht recht, was er machen sollte; etwas unbeholfen stieß er mit dem Fuß, als stieße er etwas fort, das am Boden lag. „Nichts,“ brummte er dann nur, konnte sich aber doch nicht enthalten, Rutenberg anzuschauen. Darauf ergriff er ihn dann vorn am Rock, und schüttelte ihn eine Weile, was er wohl noch niemals gethan hatte. „Heimtückischer – dummer alter Kerl, du!“ stieß er aus der Kehle. „Machst mich lächerlich. Als könnt’ ich nicht ohne Whist – Aber vor Liebe könnt’ ich dich – –“

Er ließ ihn los und ging von ihm weg, um den Tisch herum. Nach einer Weile blieb er wieder stehn, hilflos, weich.

„Du bist der beste aller dummen Kerle auf der ganzen Erde!“

„Das ist nun wieder eine deiner Uebertreibungen,“ sagte Rutenberg lächelnd, „deiner Ueberschwenglichkeiten.“

In all seiner Rührung mußte Schilcher lachen „Meiner –? Großer Gott!“

„Also kurz, ich hoffe, sie kommen –“

„Du weißt es!“ rief Schilcher aus und sah den „Heimtücker“ forschend an. „Sie haben dir geschrieben!“

Rutenberg lächelte, schwieg. Er fing nun an zu pfeifen, was aber nicht seine Stärke war, das konnte der andre besser; Rutenberg hatte nur einen Ton.

11.

In das Pfeifen hinein erklang gedämpfter Gesang, von einem frischen hübschen Bariton; er schien von dem Fahrweg zu kommen, der zum Hotel und daran vorbei ging. Die Nacht war schon so still, daß man ihn sehr deutlich hörte. Nach einer Weile ließ Rutenberg ab, zu pfeifen, und lauschte angestrengt, mit vorgebeugtem Kopf; seine Brauen zogen sich zusammen. „Du,“ sagte er, „was ist das?“

„Gesang,“ brummte Schilcher. „Auf der Straße“. „Das hör’ ich. Aber – aber – die Stimme klingt mir so bekannt …“

„Mir nicht. – Italienische Worte. Ein italienisches Lied.“ Rutenberg nickte, sehr verstört. „Aber so gesungen, wie es ein Engländer oder ein Deutscher singt. So unitalienisch.“

„Bei Gott, diese Stimme kenn ich!“

„Das wär ja auch noch kein Unglück – „Kein Unglück … Mann, ich sag’ dir …– –“

Rutenberg sagte es aber nicht. Er ging auf den Zehen, als sollte man ihn nicht hören, zu der südlichen Thür, die an einen buntgepflasterten Balkon vor den Südzimmern und zu einer breiteren Terrasse am Fahrweg führte. In der Thür blieb er stehn und schaute zurück: Will nur ’mal nach dem Rechten sehn … Damit ging er hinaus.

Was hat er? dachte Schilcher. Ihn verließ nun doch auch die „klassische Ruhe“. Rutenbergs sonderbares, unheimliches Gesicht hatte ihn aufgestört. Er horchte. Der Gesang dauerte nur noch ein paar Takte, ward dann plötzlich still. Er öffnete leise die Thür, die der andre wieder geschlossen hatte; es war nichts zu hören. Endlich kamen gedämpfte Schritte von der dunklen Terrasse her, die bekannte hohe und breite Gestalt tauchte auf, ging rasch auf den kleinen Schilcher zu und schob ihn vor sich her in den Salon zurück.

„Es ist richtig,“ sagte Rutenberg, als sie drinnen waren. „Ich hatte recht. Er ist es!“

„Mensch, du bist ja blaß. Wer? Arthur?“

„Da. Dieser Wyttenbach. Draußen auf der Straße … Rutenberg mußte erst tüchtig atmen, eh’ er weitersprechen konnte. „Und Gertrud stand an ihrem Fenster. Ich hab's gesehen. Sie mich nicht; ich sie alle beide … Schilcher das war abgekartet!– Jetzt geh’ ich zu meinem Kind – jetzt geh’ ich zu meinem Kind und sag’ ihr – Er hob die Faust; er war außer sich.

„Ruhig, Mann! ruhig!“ nahm nun Schilcher das Wort und hielt ihn am rechten Arm. „Umgekehrt wird ein Schuh daraus, nichts sagen! gar nichts!“

„Nichts?““

„Nein. Den jungen Menschen herausrufen. Erstaunt, ganz harmlos erstaunt, ihn in Sorrent zu sehn. Und das Kind dazu rufen, na, und dann so allmählich herausbringen, was das Ding bedeutet!“

Rutenberg starrte den Oberapellationsrat an. Er sah das kleine, kluge Lächeln, das über das bartlose Gesicht huschte; ihm kam dabei die Fassung wieder, oder doch etwas Aehnliches, er fuhr sich durch das dichte Haar. „Hast recht, Alter. Hast schon wieder recht. Keine Scene. Ruhe. Ohne Uebereilung! – Ich kann den Bengel nicht sehen, aber ich will ihn sehen. Ich will –“

Er war schon wieder bei der Thür.

„Was willst du?“ fragte Schilcher.

„Es ganz so machen, wie du meintest. Wie ein Diplomat, Schilcher. Hab’ um mich keine Bangen das mach’ ich. – ’s ist aus, Schilcher! Unser Glück ist aus! – Aber die Sache wird in aller Ruhe – –“

Er trat auf den Balkon. Die Thür fiel wieder zu.

Der arme Schilcher stand und horchte, ihm ward nun nachträglich schlecht zu Mut. Dieser dreiste Bengel, dieser Schwerenöter plötzlich abends um Neun in Sorrent! Darum jeden Abend ohne Whist in der Ecke sitzen … Damit so ein Kerlchen dann doch – –

Rutenberg schien das Kerlchen zu rufen, dann schien er zu Gertrud zu gehn, die ihr Zimmer auch auf der Südseite hatte, neben dem Salon. Dann war's eine Weile still. Ob der Bengel wirklich kommt? dachte Schilcher. Ja, natürlich kommt er! Mir ist, als hört’ ich schon seinen schwebenden Adonisgang draußen auf der Treppe …“

Auf einmal fiel ihm ein, daß er doch auch das Seinige thun könne, um herauszubringen wie die Sache sei, abgekartet oder nicht? – Er knöpfte sich den Rock zu, für die kühle Nachtluft; darauf ging er geschwind auf den Korridor hinaus. Dort hing auch sein Hut. Er nahm ihn vom Riegel. Richtig, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_722.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)