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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

einen „Fuchs oder Fasan“ angesprochen – dann setze dich flink zum Schreibtisch und erwidere die Einladung mit den höflichen Worten: „Sehr geehrter Herr! Ich danke Ihnen herzlich, daß Sie wieder an mich gedacht haben! Die Aussicht, in Ihrem schönen Revier die mannigfachen Freuden einer Treibjagd mit genießen zu können, hat unendlich viel Verlockendes für mich! Doch leider, leider verhindern mich ernste Berufsgeschäfte, Ihrer liebenswürdigen Einladung Folge zu leisten. Mit Weidmanns heil, Ihr ergebenster N. N. – P. S. In der letzten Nummer der Jagdzeitung fand ich neu erfundene, völlig schrotdichte Gamaschen annonciert. Ich möchte Ihnen raten, mit dieser herrlichen Erfindung einen Versuch zu machen. –“

Während im Wald der Ebene die roten Blätter fallen und bei fröhlichem Jagdgetriebe Schuß um Schuß durch seine bunten Hallen kracht, wird hoch in den Bergen, über deren Gipfel und Almgehänge ein früher Winter schon das weiße Schimmerkleid geworfen, stille und mühsame Jagd gehalten. Wenn zu Ende des Novembers die Flocken in dichter Menge um die Latschenfelder wirbeln, wenn die grimmig kalten Nächte schon alle Bäche zu Eis gerinnen machen und ein schneidender Wind mit Pfeifen um alle Grate und Schroten saust – diese harte Zeit ist im verschobenen Liebeskalender der Natur der „wunderschöne Monat Mai“ des scheuen Krickelwildes. Je kälter da der Bergwind durch die Latschen fährt, um so heißere Gefühle erwachen in dem braven Gemsbock, der die schöne Zeit des Sommers in einsiedlerischem Behagen verbrachte und bei fleißigem Aesen nur der einen Aufgabe lebte, tüchtig Feist unter seine Decke zu bringen. Sein fahles Sommerkleid hat sich in glänzendes Schwarz verwandelt, drall und stattlich ist er anzusehen in der zottigen Fülle seines Winterpelzes, und schon beginnt sich der „Bart“ zum „Wachler“ [1] auszuwachsen und weiß zu bereisen. Da hebt er nun ein ruheloses „Suchen und Wandern“ an, und aus den Latschenfeldern der Klüfte, in deren kühlem und dichtem Versteck er seinen Sommerstand gehalten, steigt er zu den sonnseitigen Almgehängen empor, auf denen die Rudel sich zu sammeln beginnen.

Treibt es der frühe Bergwinter gar zu schlimm, wirft er Schnee über Schnee, und hüllt er durch lange Wochen alle Gipfel in Gewirbel und Nebel, dann freilich wird dem Hochlandsjäger die schöne Zeit der Gemsbrunft, die er das ganze Jahr hindurch mit Sehnsucht erwartet, gründlich verstöbert und verdorben. Wohl scheut er keine Unbill der Witterung, um für seinen Hut den stolzen Schmuck eines „wachsenden Gemsbartes“ zu gewinnen aber bei „grobem Wetter, bei dem der Wind in jeder Minute aus einem anderen Winkel bläst, ist die Jagd auf das scharf „windende Krickelwild“ eine nutzlose Mühe. Gemspirsche, welche Aussicht auf Erfolg verspricht, verlangt blauen Himmel und gleichmäßig ziehenden Wind.

In solch trüber Novemberzeit trat der Hochlandsjäger wohl ein Dutzend Mal des Tages mit heißer Ungeduld vor den Barometer und klopft an die Röhre, ob denn das Quecksilber noch immer nicht steigen will? Endlich eines Morgens atmet er hoffnungsfreudig auf: “Gott sei Lob und Dank, jetzt hat’s a Ruckerl g’macht!“ Gegen Mittag fällt ruhiger Nordostwind ein, Sonnenglanz durchbricht die ziehenden Nebel, und noch ehe der Abend kommt, tauchen die zuckerweißen Berge aus dem steigenden Gewölk hervor. Eine kalte Nacht sinkt über die Thäler, und einzelne Sterne blitzen aus dem dunklen Schleier des Himmels.

Und nun rüste dich, freundlicher Leser, wir wollen aufsteigen zu einer Gamspirsch in den verschneiten Bergen!

Ein paar Stunden, ehe der Morgen graut, sind wir parat zum Abmarsch, nicht allzu warm gekleidet denn das Stapfen und Steigen im frischen Schnee wird uns heißer machen, als uns lieb ist. Einen bescheidenen Imbiß und einen guten Tropfen im Rucksack, den Stutzen und die Patronen, Fernrohr, Wettermantel und Bergstock – mehr brauchen wir nicht. Und jetzt hinaus in die Nacht! Der Himmel ist völlig klar geworden, und mit zitterndem Gefunkel leuchten die tausend Sterne. In schweren Klumpen fällt der Schnee von den Bäumen, deren Wipfel in leichtem Winde sich bewegen.

„Dös Winderl waar net ohne,“ meint der Jäger, der uns begleitet, „fein ziagts abi übern Berg! Heut kunnt's krachen! Und an’ Tag kriag’n m’r … grad’ nobel.“

Schon der halbstündige Weg durch das langsam steigende Waldthal macht die Stirnen gehörig warm. Dann erst das Aufwärtsstapfen über den hochverschneiten Jägersteig! Das geht für ein Dampfbad – und alle paar hundert Schritte verhält man sich eine Minute, um den verlorenen „Schnaufer“ wieder zu finden. Der Wald geht zu Ende und die seilen Latschenfelder beginnen. Allmählich hat sich der Schein der Sterne gedämpft, farbiges Zwielicht gleitet über den Himmel hin, alle Konturen der weißen Berge werden klar und rein, und ein letztes verirrtes Wäldlein löst sich auf in blauem Dunst. Langsam und vorsichtig steigen wir höher jede Blöße zwischen den Felsen und Latschen mit spähenden Blicken musternd … „denn in der Brunft, da fahrt d’r oft a Gamsbock her über’n Weg, du woast net wie!“

Fast haben wir schon den Saum des Almfeldes erreicht, das sich zwischen zerklüfteten Felswänden breit bergan dehnt, schimmernd wie graue Seide. Da brennt es auf dem höchsten der weißen Gipfel auf, gleich einer roten Flamme.

„Sakra! Jetzt dürfen m’r uns aber tummeln … d’ Sunn’ fliegt an!

Sich „tummeln“? Nein! Da heißt es stehen und schauen und staunen! Von einem Gipfel zum anderen fliegt die rote Morgenflamme, tiefer und tiefer brennt sie herunter über Gewänd und Schnee, das ganze Almfeld überhaucht sich mit ros’gem Glanz, sogar die Schatten tauchen sich in zartem Purpur – und über allem der reine Himmel, tief und blau wie ein südliches Meer, und zwischen seinem Plan und dem rosigen Schneeglanz blitzt im Kontrast der Farben die silberweiße Linie des Grates.

„Herrgott! Wie schön ist das!“

Da pfeift es in den Latschen die Büsche rauschen und Schnee stäubt auf.

„Mar’ und Josef!“ zischelt der Jäger. „Richten’ S’ Eahna! A Gamsbock! Und was für Aner!“

Doch ehe die Büchse noch an der Wange ist, fährt der schwarze Gesell, der uns auf lautloser Suche in den Weg geraten, mit sausender Flucht schon durch die Latschen hinunter in den Wald!

„Natürli! D’ Natur antratschen! Dös is ’s Richtige auf der Gamsbrunft! brummt der Jäger. „D’ Sonn’ können S’ alle Tag’ sehn, aber so an Gamsbock net!“ No also, machen wir halt weiter … der is jetzt schon beim Teufel!“

Ein Viertelstündlein steilen Marsches, und ein Hügel des Almfeldes ist erreicht. Gedeckt von einer Latschenstaude, lassen wir uns nieder, obwohl wir bis an die Hüften im Schnee hocken, haben wir doch ein ganz behagliches Weilen, denn kaum merklich zieht der Wind, und die steigende Sonne beginnt sich lind zu fühlen. Während eine gute Cigarre den Aerger des Jägers besänftigt, halten wir mit dem Fernrohr Ausschau nach allen Seiten. Manch ein schwarzes Pünktlein auf dem sonnigen Schnee, das wir mit freiem Auge für eine Gemse halten, entpuppt sich durch das Glas als ein schattiger Felsbrocken oder als ein Latschenstäudlein, das sich aus der Schneedecke hervor drängt. Aber dort oben, wo die beschneiten Schuttfelder steil aufsteigen zu den kahlen Wänden, dort oben bewegen sich ein paar schwarze Punkte. Das Fernrohr wird gerichtet. Ein Rudel – und wir zählen gegen dreißig Stück; brave Mütter mit ihren Kitzen und einige Geltgeißen. Bei genauer Beobachtung zeigt es sich, daß beim Rudel ein dreijähriger Bock steht, der nicht als schießbar anzusprechen ist. Es ist um die Zeit der Sommerhirsche, so würden wir ruhig weiter ziehen und anderswo unser Heil versuchen. Aber jetzt, in der Brunft, da heißt es geduldig ausharren, denn wo ein Rudel steht, wird ein guter Bock nicht lange auf sich warten lassen.

Ruhig sitzen wir im Schnee, der uns nun doch seine Kälte langsam in alle Knochen bohrt. Dazu beginnt der Wind, immer schärfer zu ziehen – die Ohren beginnen zu brennen und die Finger werden steif. Aber die Beobachtung des Rudels kürzt uns die bittere Zeit. Einige der Gemsen ruhen im sonnigen Lager, andere ziehen langsam über den Hang und schlagen mit den Läufen den Schnee von der Erde, um Aesung zu finden.

  1. Der von Hochlandsjägern als Hutschmuck getragene „Gamsbart“ besteht aus den langen Haaren, welche der Gemsbock im Winterkleid an dem Rücken trügt, sie sind glänzend schwarz und zeigen eine weiße Spitze, den „Reis“, bei alten Böcken und im strengen Winter ragen diese Barthaare so hoch über den Pelz hinaus, daß ihre Büschel im Winde hin und her wehen – sie „wacheln“, wie es im Dialekte heißt. Unter einem „Wachler“ versteht man also einen Gemsbart, der zu Ende der Brunft und bei Erlegung eines besonders starken Bockes gewonnen wurde.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_715.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)