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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Weg da!“ wär ihm in die Glieder gefahren; es gab ihm noch nachträglich einen Ruck.

Er stand vom Tisch auf – er war ohnehin fertig – und begann wieder auf und ab zu gehen. Diese Stille im Zimmer, zwischen zwei lebendigen Menschen, diese seltsame Stille, in der es wie mit schweren Flügelschlägen zu sausen schien, wurde ihm immer unheimlicher – oder war dieser Ton nur in seinem Ohr, war es sein eigenes Blut, das so klang, wie das „Rauschen des Meeres“ in den großen Muscheln, an denen die Kinder horchen?

Das Eintreten des Dieners weckte ihn aus seinem Brüten.

„Ich muß jetzt fort,“ sagte er rasch, „es ist ohnehin später als sonst geworden. – August, telefonieren Sie an Sanitätsrat Meinhardt, die gnädige Frau sei erkältet, ich bäte um seinen Besuch im Lauf des Tages.“

„Sehr wohl!“

„Also adieu!“ Von der Thür aus winkte er seiner Frau mit der Hand. „Halt dich ruhig, pfleg’ dich. Zu Tische wirst du dann schon wieder muntrer sein.“

„Gewiß,“ versicherte Hanna nickend, des Dieners wegen mit einer Art von verbindlicher Abschiedsbewegung.

August schloß hinter seinem Herrn die Thür. Durch sie hindurch schickte er ihm ein spöttisches Lächeln nach. Eilfertig räumte er alsdann den Frühstückstisch ab. Zehn Uhr vorbei. Der Sanitätsrat konnte jeden Augenblick kommen. Zu telephonieren war nicht mehr nötig. Es war bereits geschehen, vor zwei Stunden. Nach Henriettes Bericht: Wie ein „Klümpchen Elend“ habe sie die arme Gnädige in der Sofaecke gefunden, ganz in sich zusammengekrochen unter dem Pelzmantel, bloß um „Ihn“ nicht zu stören – hatte er es laut Parlamentsbeschluß in der Küche auf seine Kappe genommen, den Doktor anzurufen nur mit der Anmerkung, der Herr Sanitätsrat mochte doch scheinbar von selbst kommen, wie zufällig, denn die gnädige Frau werde gewiß nicht um ihretwillen zu ihm schicken wollen. – Schon! Um zehn Uhr etwa würde er da sein.

… Sie brauchen es mit dem Telephonieren nicht so eilig zu machen, August. Nur, wenn der Herr Sanitätsrat heute doch gerade in unsere Gegend käme. Wichtig sei es nicht.

„Sehr wohl, gnädige Frau.“

Mit dem Theebrett in der Hand, that er einen Schritt gegen das Fenster hin.

„Eben biegt ein Wagen herein. So ein Zufall! Der Herr Sanitätsrat selbst. Als wenn er's geahnt hätte, daß gnädige Frau recht krank sind. Ich will nur schnell hinunter, aufmachen.

28.

„Eine recht anständige akute Bronchitis,“ erklärte der alte Herr, der auf der Treppe erst von August, dann von Henriette angefallen worden war und sich ihre Berichte hinters Ohr geschrieben hatte, nach sorgfältiger Untersuchung. „Wo haben Sie sich denn die geholt, meine liebe gnädige Frau?“

„Nun, die Herkunft, die wird ja wohl ziemlich gleichgültig sein,“ gab Hanna mit einem abwehrenden Lächeln zur Antwort. „Die Hauptsache ist, daß ich sie habe.“

„Nicht doch. Die Hauptsache ist, daß Sie sie wieder los werden. Und zu diesem Zweck werden Sie sich freundlichst sofort zu Bett verfügen und sich für die nächsten acht Tage nicht herausrühren.

„O, das geht nicht,“ sagte Hanna beinahe erschrocken. „Das würde meinem Manne sehr unbequem sein.“

„Ihr Mann ist augenblicklich Nebenperson und interessiert mich gar nicht,“ entgegnete der alte Herr mit seinem strengsten Doktorgesicht.

„Aber ich kann unmöglich – –“

„Sie werden bedingungslos parieren, meine verehrte gnädige Frau, oder ich lege augenblicklich meinen Kommandostab in diesem Hause nieder. Verstanden? Na, sehen Sie mich nur nicht so ängstlich an. Ich bin ja auf Sie nicht böse. Ich sehe nur – übrigens lassen wir das. Also Sie wollen doch gern von diesem garstigen Husten und von diesen Brustschmerzen befreit werden, nicht? Nun, dazu sind vor allen Dingen nasse Einwicklungen und gleichmäßige Bettruhe unbedingt nötig. Sonst kriegen wir das nicht. Etwas Ernstliches möchten Sie sich durch Widersetzlichkeit doch nicht zuziehen, nicht? Schon. Sie werden also nun die Güte haben, sich mit der Geschwindigkeit eines Mokkakäfers zu Bett zu legen, damit ich Ihrer Jungfer Bescheid zeigen kann. Sie nickt, sie ist schon brav. Zur Belohnung verschreib’ ich Ihnen dann auch noch eine Medizin.“

„O bitte! Daß ich nur in der Nacht nicht huste. Mein Mann verträgt es nicht, im Schlaf gestört zu werden.“

„Ja, was ich übrigens sagen wollte. Natürlich quartieren wir Sie aus. Patienten sollen nicht mit Gesunden die Räume teilen, wenn man’s so einrichten kann. Hier können wir uns das ja leisten.“

Ludwig erstaunte nicht wenig über die „Bescherung“, die er vorfand, als er zu Tische heimkam. Er mußte sich aber wohl oder übel in die vollendete Thatsache fügen, der Sanitätsrat, der seinen Mann seit vielen Jahren kannte, hatte ihm einen unmißverständlichen Mahnzettel zurückgelassen und eine Wiederholung seines Besuches für den Nachmittag angekündigt.

Gerade als wenn sie mit allen Mitteln vor mir geschützt werden müßte, brummte Ludwig in sich hinein.

Zu sehen bekam er seine Frau fürs erste nicht, auf seine ungeduldige Frage hieß es, sie schlafe. So setzte er sich denn allein zu Tisch. Es wollte ihm nicht gefallen. Er spürte eine starke Sehnsucht nach seinem lieblichen Gegenüber.

Es ist ja eigentlich eine Schande, wie ich dieses Weib liebe, dachte er. Förmlich unsinnig. Darum bin ich auch so wütend auf sie. Erschlagen möcht’ ich sie manchmal, wahrhaftig. Sie muß auch wieder fügsam werden – – es lief aufs neue, wie heute morgen, ein Schauer über ihn hin, als er an ihre starre Abwehr dachte. Sie muß wieder fügsam werden, wiederholte er fast laut, sonst nimmt das kein gutes Ende mit uns beiden. Uebrigens – er griff in seine Rocktasche – Donnerwetter, hab’ ich das verloren? Das wäre des Teufels. Aber nein, es muß ja im Pelz stecken Ich bin wohl schon halb dämlich.

Er pfiff den Diener wieder zurück, der eben die letzte Schüssel hinausgetragen hatte.

„Aus meinem Pelz – Brusttasche – das Päckchen in Seidenpapier. Und – schläft die gnädige Frau immer noch?“ Nein. Gerade habe die Henriette ausgerichtet, die gnädige Frau sei wach und bitte den Herrn um seinen Besuch.

„Wahres Glück“, murmelte Ludwig, der sich sofort erhob und hinausging. Aber immer nobel, sein! Bittet um meinen Besuch. Ich möchte mal zu ihr reinkommen – das wäre wohl – wieder nicht vornehm genug gewesen.

Die „Krankenstube“ lag sehr bequem, Thür an Thür mit Hannas Ankleidezimmer, am Ende des Korridors, nach dem Garten hinaus. Zur Aufnahme bevorzugten Logierbesuchs bestimmt, zum Beispiel der Breslauer Geschwister, war es schön und kostbar eingerichtet, reicher und eleganter als die übrigen Gastzimmer, die im Sollergeschoß lagen, und die zu Hannas stillem Mißfallen die leblose, unpersönliche Physiognomie gewöhnlicher Hotelräume trugen. Bisher war keiner von ihnen allen benutzt worden. Eggebrechts verschoben ihren ersten Besuch bis nach der „Haustrauer,“ bis „Madame“ wieder einigermaßen menschlich geworden sein würde. Wenn sie nach Berlin kämen, wollten sie sich „amüsieren“, nicht wie die Asketen umeinander herumsitzen. Thomas hätte seiner Frau diesen schwesterlichen Erguß lieber nicht zeigen sollen, unmöglich konnte sie sich nun auf die nähere Bekanntschaft mit der Schwägerin freuen.

„Was wollen Sie?“ fragte Ludwig, als ihm dicht vor der Thür Henriette entgegentrat.

„Ach, die gnädige Frau sollte eigentlich gar nicht sprechen, hat der Herr Sanitätsrat gesagt. Und wenn die gnädige Frau auch selbst nach dem Herrn geschickt hat – ich dürfte von Rechts wegen niemand ins Zimmer lassen.“

Für ihre kranke Herrin sofort ganz Mitleid, überwand das Mädchen die Scheu, die sie, wie alle Dienstboten im Hause, vor „ihm“ fühlte, sie hatte aber kein Glück mit ihrer Rolle als Cerberus.

„Warten Sie gefälligst bis Sie gefragt werden,“ schnauzte Ludwig sie an. „Im übrigen bleiben Sie hier draußen, bis ich Ihnen klingle.“

Hanna, die seine grobe Stimme gehört hatte, sah ihm ängstlich entgegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_711.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)