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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der Pfannenflicker.
Charakterskizze aus Tirol. Von Karl Wolf-Meran.

Vor dem Eggerhofe ist heute großes Kinderfest. Der Pfannenflicker ist da! Die Kinder drunten in der Stadt, mitten im Getriebe der Welt, die Kinder in den Dörfern, wo es allerwegs Abwechslung giebt, ahnen nicht, was für ein Ereignis es ist, wenn auf einem einsamen Berghofe ein Handwerker ankommt, ein Hausierer, ein Händler, oder sonst wer aus der großen, weiten Welt.

Und ein solcher großer Tag war just heute auf dem Eggerhof. Der alte Pfannenflicker hatte seine Kraxe abgeladen, sein Werkzeug auf der breiten Bank auf dem Solder ausgebreitet und dann fest in den Boden seinen Stock geschlagen, der war sein Amboß. Nun wickelte er aus seinem Taschentuche die mit Messing eingefaßte Brille, wischte mit dem Daumen und Zeigefinger die Gläser rein und nun konnte die Arbeit losgehen.

Erfreut über seine Ankunft, sagte die Eggerbäuerin „I mai, ’s Pfannenflickerle ist da! Ja grüaß Gott wünsch’ i und pfüat Gott sag’ i erst in fünf, sechs Tag, denn eher laß i di nit fort. Schon ganz g’wiß nit! Bleibst mir nou drei Woch’n aus, meiner Seel und Gott, i hätt’ nit g’wußt, mit was koch’n, so schaut mein G’schirr aus.

Da huschte ein Schmunzeln über das hagere, alte, faltige Gesicht des Pfannenflickers. „A schau, da hätt’ i’s a mal gar recht troff’n mit der Flickerei. Ist mir recht, Eggerin, gar aus recht. Fast nimmer koch’n können? Wär’ fein schad, Bäurin, denn in deinen Pfannen geht’s gar schmalzig her, nit so trockn wie drunt bei der Kundlerin, oder so mager wie bei der Saltenhoferin, oder so g’sparig wie bei der Zwickin.

Geschmeichelt wischte sich die Bäurin ihre mehligen Hände an der blauen Schürze ab, denn sie war gerade beim Knödlteig anmachen gewesen. „Sollst heut’ Strauben bekummen Pfannenflickerle, goldiggelbe und Zucker drauf g’sät.“

„Nit sou gach, Bäurin,“ jubelte der alte Pfiffikus, „nit sou gach, sonstern mein’ i, i war verstorben und wach’ jetz g’rad’ im Himmelreich auf!“

Die Bäuerin zog sich lachend in die Küche zurück, um alle schadhaften Pfannen und Töpfe zusammenzusuchen und vor allen Dingen den Kaffee zu rösten, welchen der Bauer gestern aus der Stadt gebracht hatte.

Der Pfannenflicker, der mitten unter den sechs Kindern des Hofes hockte, schnupperte mit seiner Nase in die Luft, als er den Geruch der Bohnen verspürte, und dann wendete er sich an den ältesten der Buben. „Hansele,“ sagte er, „jetzt sperr’ deine Ohrwaschel auf, i will dir a Botschaft auftragen, für die Mutter: ’s Pfannenflickerle, sagst, hätt g’sagt, sagst, es thät ihm schon gäraus nit taugen, wenn er ein Schüssele Milch bekäm, wie es halt gebräuchlich, wenn er in der Fruh auf einen Hof käm', sagst, das seien preußische Farben, ’s rußige Pfannenflickerle und die weiße Milch, sagst, s’ Pfannenflickerle sei anno sechsundsechzig, sagst, beim Militär Soldat g’west, sagst, und kann die zwei Farben nit leiden. Die Preuß'n hätten damals G’wehr gehabt, hintertückische, weil sie hinten ummer g’laden worden seien. Und da seien wir mit unsere vordertückischen auf alle Weis’ zu kurz kummen, sagst. Seit der Zeit seien dem Pfannenflickerle die weiß-schwarzen Farben garaus zuwider, sagst, und die Bäuerin, wenn sie einen Kaffee brächt, sagst, nachher kämen die österreichischen Farben zammen, ’s schwarze, rußige Pfannenflickerle und der goldig gelbe Kaffee, sagst.

Dieser Vortrag hatte auch richtig Erfolg. Nach gar nicht langer Zeit brachte die Bäuerin eine Schüssel Kaffee, die sich der Pfannenflicker prächtig schmecken ließ.

Dann aber machte er sich mit großem Eifer über das Küchengeschirr her. Da und dort nietete er auf ein Pfannenloch ein rundes Eisenblättlein, umstrickte einen gesprungenen Topf mit einem Drahtnetz, flickte die Gewichtskette der alten Uhr in der Stube zusammen dem „heiligen Geist über dem Eßtisch“ heftete er den halb abgebrochenen rechten Flügel mit Draht fest und der Wollkarlatsche (Instrument zum Flockigmachen der Wolle) setzte er die ausgegangenen Zähne alle frisch ein. Mit Staunen verfolgten die Kinder die Geschäftigkeit des alten Pfannenflickers, und wenn eines oder das andere zu einer Handleistung herangezogen wurde, so wußte es vor Stolz fast nicht mehr wo ein und wo aus. Und als er nun gar einen Fensterflügel in der Stube aushob, eine Glasscheibe flach auf den Tisch hinlegte und daraus ein Stück zurechtschnitt für die eingeschlagene Stelle, stieg er im Ansehen der Kinder ganz gewaltig. Die gebrochene Scheibe hatte dem Hansele damals für einige Zeit das Sitzen verleidet, solche Folgen zog das Hinausstoßen derselben nach sich. Und der Pfannenflicker machte drei-, viermal „Ritsch, ritsch,“ dann einigemal „Krix-krax“ und eine neue Scheibe lag fertig da.

Mittag aß der Pfannenflicker allein auf der Bank vor dem Hause.

„Pfannenruß und Tischzeug taugt nit zammen,“ sagte er. „Auf z’ Nacht aber schwänz[1] i mi sauber und zelm Diandlen gebt’s acht, daß enkere Herzlen nit springen wie a Hafele. Dieselbe kann i nit zamme flicke mit Draht.“

Den Leuten auf dem Eggerhofe war es auch ganz recht, daß der Pfannenflicker sein Mittagsmahl allein verzehrte. Der Bauer sah es nicht gerne, wenn da viel herumgeredet wurde. Frisch gegessen und dann wieder munter bei der Arbeit, so wollte er es gehalten haben. Am Abend jedoch, nach dem Rosenkranze, da war ein Heimgart mit dem närrischen Pfannenflicker sehr angenehm. Und so kam es auch.

Die Leute knieten auf der Bank an den Fenstern und die Weiber in der dunklen Stube, die Ellbogen auf einen Stuhl aufgestützt, und beteten abwechselnd den Rosenkranz, da zupfte das kleine Lenerl die Mutter an der Schürze: „Du gelt, heut’ därf i aufbleiben und dem Pfannenflickerl auflos’n?“[2]

„G’wundrig bin i, was der Pfannenflicker heut’ auftischt,“ flüsterte ’s Michele dem Sepp zu und das Rosele drüben in der Ecke drückte die gefalteten Hände an die bebenden Lippen. Sie war schon ein Jahr als „Jungdirn“ auf dem Eggerhofe und da war es ihr sonst sehr angenehm. Unten im Dorfe spöttelten sie das Findelkind immer aus und ihr junges, fünfzehnjähriges Herzchen war schon voller Bitternis, so daß für die Freude fast kein Platz mehr war. Als der Pfannenflicker das letzte Mal auf dem Hofe war, sagte er zu ihr: Rosele, wenn i z’nächst kumm, haben die fünfzehner Jahrlen ausg’schlag’n bei dir. Dieweil hat die Sonnen die Blümerln alle aufg’weckt und da bring i dir nachher an Gruß von deiner Mutter. O wie oft hatte sie sich gesehnt, von ihrer Mutter, von ihren Eltern zu hören! Aber das von allen Seiten verhöhnte und verspottete Findelkind hatte nie eine Frage gewagt.

Und heute war er gekommen, ihr einziger Freund. Nach dem Rosenkranz saßen die Leute noch alle in der kleinen getäfelten Stube. Der Knecht nagelte seine schweren Bergschuhe frisch auf, denn morgen mußte er ins Wildheuen, und die zwei Dirnen richteten unter vielem Kichern und Gelächter ihre weißen, weiten Leinenhosen zurecht, denn auch sie mußte hinaus in die Wände und Schrofen, um zu helfen. Da taugt der Weiberkittel nicht. Die Mutter strickte und der Bauer schmauchte sein Pfeifchen. In dichtem Schwarm umstanden die Kinder den Pfannenflicker.

„Heut,“ plauderte dieser, „will i grad’ a mal von meiner fürnehmen Hantierung red’n. In der Stadt drunt ist a Schriftgelehrten, der steckt sein Nas’n Tag und Nacht in die Bücher und tüftelt aus, was die Leut alles gleichschauen auf der Welt. So a Tüftler bin i a. I tüftl die Sach aber aus die Pfannen und nit aus die Bücher. A Pfann’ und a Mensch ist allbeid ein Lebenslauf. Kaum steckst dein Nas’n in die Welt brauchst schon a Pfannen. Winzig kloan, g’ed’ für a drei, vier Löff’l Kindsmuas. Und mit ’n Kind wachst a d’ Pfannen. Da der Michele drent, gelt Muater der braucht schon a woltenes Pfandl? Und so steigt’s und wachst’s ’s Pfandl und der Mensch. Gach ists schon kein Pfandl mehr, glei a Pfannen, und der Mensch a Bua oder a Diandl a mudl saubers.

  1. wasch.
  2. zuhören.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_700.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)