Seite:Die Gartenlaube (1897) 679.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Hanna sorgte für vorsichtiges Abstäuben und peinliches Wiederordnen dieser „Dekoration“, wie aller andern im Zimmer, die sie vorgefunden hatte – ihre eignen Bücher, die von den Eltern nach und nach geschenkten, vom Vater ererbten, zärtlich gehegten Lieblinge, standen unten im verschlossen Terrassenzimmer. – „Wozu? Du hast ja so schöne Bücher in deinem Boudoir“ – war die Antwort gewesen, als sie eines Tages zaghaft darum gebeten hatte. „Diese Thür bleibt geschlossen. Basta! Kauf’ dir meinetwegen, was du noch brauchst, wenn du noch nicht zufrieden bist. Wo die Buchhändler wohnen, weißt du.“ – Das hatte sie dann gethan und sonderbar genug nahm sich der große, dunkle Bücherschrank in ihrem rosenfarbenen Ankleidezimmer aus, wo er hatte Platz finden müssen, da in dem zierlichen Damensalon kein Raum für ihn war; die Einheitlichkeit des Stils hätte auch jedenfalls durch ein so großes, anspruchsvolles Möbel gelitten. Von dort wo sie manche ihrer einsamen Stunden, in einen tiefen Sessel geschmiegt, lesend, grübelnd verbrachte, hatte sie alsdann, stiller Hoffnung froh, herbeigeholt, was sie für die Nachmittage, die er ihr widmete, zu brauchen dachte. Auch dies vergebens.

Das Unglück wollte, daß ihm nichts gefiel, was ihr Freude machte, daß aber ihr Vortrag eintönig und reizlos blieb, sobald das Geschriebne nicht ihr innerstes Empfinden weckte. Und auch dann nicht immer, da Rührung oder Erschütterung ihrer Stimme Klang und Farbe nahmen. Der Stoff beherrschte dann sie, nicht sie ihn. Von der eigentlichen, wohlstudierten Vortragskunst wußte sie nichts. Für die Mutter hatte sie immer gut genug gelesen und war gut genug von ihr verstanden worden, auch wenn ihr gelegentlich die Kehle eng wurde und sie eifrig Wasser trinken mußte, um sich zu fassen. – Jetzt befand sich ihr anstatt des lieben, feinen, aufmerksamen Gesichts der Unersetzlichen das fremde, ach, immer fremder werdende ihres Mannes gegenüber, in dem nichts von horchender Teilnahme geschrieben stand. Und es blieb nicht einmal immer auf demselben Fleck. Ludwig hielt ein längeres Stillsitzen nicht aus. Eine stete körperliche Unruhe trieb ihn oft nach wenigen Minuten schon von seinem Platze. – „Lies nur weiter, ich höre schon!“ rief er über die Achsel zurück, wenn Hanna sich unterbrach, das Buch sinken ließ und ihm nachsah. Sie versuchte alsdann auch, weiterzulesen, aber um die Sammlung war es geschehen. Es störte sie unsäglich, daß er nun ohne Anhalten im Zimmer hin und her ging, die Hände in die Hosentaschen geschoben, wo er mit dem Schlüsselbund klimperte. Sie las unwillkürlich mit erhobener Stimme, ohne jede Modulation um gegen das Geräusch anzukommen. Gleichzeitig peinigte sie der unwiderstehliche Zwang, immer wieder nach ihm hinsehen zu müssen; dadurch verlor sie den Faden, geriet in die falsche Zeile und verwirrte sich. In dem sacht glimmenden, nur mühsam niedergehaltenen Fieber der Nervosität wurde sie in wenigen Minuten heiser und hörte dann entmutigt auf. Blieb er wirklich ihr gegenüber an dem Fenstertischchen sitzen, so trieb er wenigstens irgend einen kleinen störenden Unfug. Er rollte ihr Garnknäuel oder ihren Fingerhut hin und her, er nahm ihr Scherchen lose an der Spitze und klopfte damit auf den Tisch oder versuchte, sich damit die Nägel zu schneiden, er faßte den Henkel des Arbeitskörbchens mit einem Finger, ließ es baumeln und niederfallen. Anfangs merkte er nicht, daß diese Dinge Hanna quälten. Er that sie so nicht aus böser Absicht. Sie beherrschte sich eine Weile ziemlich gut, bis sie ihm einmal ganz plötzlich – mitten im Satz innehaltend – den Gegenstand, mit dem er gerade spielte, aus der Hand nahm und weit weglegte.

„Nanu?“ sagte er, „was fällt dir denn ein?“

„Ich kann das nicht vertragen,“ entgegnete sie indem ihr eine fliegende Röte über das Gesicht lief „Thu’ mir den Gefallen und sitz’ still.“

„Alle Wetter,“ gab er mit etwas gereiztem Lachen zurück „bist du aber nervös. Das ist ja scheußlich. Mußt du dir ganz entschieden abgewöhnen. Uebrigens, ’ne nette Art, mir das Ding einfach aus der Hand zu reißen, als wenn ich ein unnützer Junge wäre. Mit deinem Mann könntest du schon anders umgehen, würde dir nichts danach fehlen.“

„Ich hab’ es dir doch nicht weggerissen,“ verteidigte sie sich möglichst sanft „nur weggenommen. Ich hielt eben dies fortwährende Geklapper und Gespiele nicht mehr aus. Entschuldige!“

„Nein, mein Engel, das entschuldige ich nicht, wenigstens nicht so ohne weiteres. ,Ewiges Geklapper und Gespiele!' Du thust ungefähr, als wenn ich den Veitstanz hätte. Man wird sich doch noch rühren dürfen in deiner Gegenwart. Und als sie darauf stillschweigend und unbeweglich vor sich niedersah: „Natürlich, wieder beleidigt! Gott im Himmel ist das ein Kreuz mit so einer reizbaren Frau! Klapp’ dein Buch nur zu. Mir ist alle Stimmung heute vergangen.“ Sie that es sofort.

„Klapp’ zu, hab’ ich gesagt, nicht schlag’ zu! Du willst mich wohl herausfordern, ja?“

„Ich denke nicht daran,“ sagte sie ruhig, ihn fest ansehend. „Ich war nur ganz mit dir einverstanden, aufzuhören. Sehr gefallen hat es dir wohl überhaupt wieder nicht.“ Es waren Ludwig Anzengrubers „Dorfgänge“, was sie las.

„Ist die Geschichte aus?“ fragte er mit gespielter Harmlosigkeit.

„Es scheint so,“ antwortete sie ruhig, noch ohne den Blick zu ihm zu wenden.

„Für diese tiefsinnige Antwort bin ich zu dumm. Wende dich gefälligst an meinen beschränkten Unterthanenverstand.“

Sie hörte die aufsteigende Gereiztheit in seiner Stimme; nur zu gut kannte sie nun schon diese scharfgespannte Saite, die bei der leisesten Berührung mitsummte und die, einmal gestreift, mit ihrem Mißklang schnell alle andern Töne überschrie. Aber sie besaß im Augenblick doch nicht mehr genug Herrschaft über ihre durch dieses beständige Rupfen und Zupfen gepeinigten Nerven um noch geschickt einer neuen Disharmonie auszuweichen. Mit einem scharfen Blick in seine ärgerlich funkelnden Augen sagte sie: „Es scheint, du willst, daß sie aus ist.“

„Du bist ’ne dumme, empfindliche Person, weißt du das?“

„Möglich. Aber such’ dir jemand, der dir vorliest, wenn du es so treibst wie heute. Ich glaube nicht, daß es ein andrer so lange aushält wie ich.“

„Du brauchst mir überhaupt nicht mehr vorzulesen, wenn du dich so albern anstellen willst!“

„Wie du wünschest. Ich hab’ es ja nicht mir, sondern dir zu Gefallen gethan.“

„Ach Gott, ja! Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes! Besonders Ludwig Thomassens hochgebildete Gattin. Wolltest mich belehren was? Erziehen. Meinen verrotteten Geschmack ausbessern. Bin dir nicht fein genug in meinen litterarischen Anschauungen. Möchtest wohl auch gern meinen schlechten kaufmännischen Stil in die Mache nehmen, ja? Neuneinhalben Fehler. Mit Bedauern gelesen. Sechse runter. ’ne Stunde nachbleiben. Könnte dir passen!“

Mit einem schwachen Lächeln ging Hanna über diese letzte Anklage hinweg.

„Ich weiß ja noch immer nicht, was in der Litteratur dir eigentlich gefällt,“ bemerkte sie. „Nichts von dem, was ich dir bis jetzt vorgelesen habe, war dir recht.“

„Ne. Konnte mir auch nicht gefallen. Ist kein Saft und keine Kraft drin.“

„So?“ sagte Hanna sehr verwundert, mit einem raschen Seitenblick auf Anzengruber. „Und was müßte es denn schließlich für dich sein?“

„Na eben – was saftiges. Wo man doch noch sein Vergnügen dran haben kann.“

„Ach so,“ erwiderte Hanna eiskalt. „Nun, das lies dann nur für dich allein.“

„Kann ich, prüde Gans du!“ Sie nickte ernsthaft „Prüde – in deinem Sinn – hoff’ ich immer zu bleiben – –.“

Mit dieser Klarlegung hatte ein neuer Abschnitt seine Erledigung gefunden, hatte sich ein neuer Riß zwischen ihnen aufgethan. Wieder gab es nun einen Punkt mehr, über den nicht mehr gesprochen werden durfte sollten nicht Bitterkeiten hin und wider sprühen.

Allein gelassen, hatte sich Hanna aufs neue mit heftigen Selbstanklagen zerquält. An ihr war es, das Hereinbrechen von Streitigkeiten zu verhüten, da sie doch nun schon aus Erfahrung wissen konnte, daß Ludwig, einmal aufgereizt seiner bösen Laune keinen Zügel anlegte. Aendern würde sie seinen Charakter nicht mehr, das wußte sie nicht erst seit heute und gestern. Es galt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_679.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)