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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

im Vorsaal zu treffen, anstatt sie gewohntermaßen in ihrem Zimmer aufsuchen zu müssen.

„Was machst du denn hier?“ fragte er.

„Nichts, ich komme dir entgegen. Ich sah vom Fenster aus den Wagen einfahren.“

„Dieses aufregende Schauspiel wiederholt sich alle Tage. Bis jetzt hat es noch nie den Erfolg gehabt, mir das Vergnügen deiner Begrüßung zu verschaffen. Ist irgend was passiert, daß du mich erwartet hast?“

„Aber nein,“ antwortete sie verlegen. „Ich stand nur gerade am Fenster, als der Wagen kam, und dachte. Sieh’, da ist ja schon der gute Mann.

„Na weißt du, mein Haseken – er trat dicht vor sie hin und faßte sie an beiden Schultern – „wenn du nicht ’ne ganz gewichtige Sache auf der Seele hast, will ich Matz heißen. Für nichts und wieder nichts kommst du mir nicht wenigstens neuneinhalb Meter entgegengegangen. Ich bin doch schließlich nicht von gestern, verstehst du. Also raus mit der Sprache. Was ist los?“

„Wirklich Ludwig, es ist nichts,“ antwortete sie, immer beklommener. „Es thut mir leid, wenn du dich wunderst über eine so einfache Sache, daß ich aus dem Zimmer gehe, um dich zu begrüßen.“

„Das kann dir auch leid thun. Soll dir auch leid thun! Du siehst daraus, wie wenig du mich mit Liebenswürdigkeiten verwöhnt hast. Na, es soll vergeben sein, wenn du dich von nun an ein bißchen anständiger gegen mich benehmen willst. Also komm her, sag ’bitte, bitte, lieber Mann!'“

Sie zuckte aber unwillkürlich zurück, als er sie in seiner ungestümen Weise an sich zog und küßte; sein Bart war naß.

„Na was hast du denn? Reut es dich schon, daß du ein einziges Mal nett gewesen bist?“

„Dein Bart –“ sagte sie halblaut, sich abwendend.

„Ach so,“ lachte er, als er sah, daß sie die feuchte Spur hastig abwischte. „Da hätt’ ich wohl erst Toilette machen müssen. Na wart!“

Geschwind zog er sein Tuch aus der Brusttasche und rieb ihr damit über Mund und Wange. Sie machte sich los.

„Ich bitte dich,“ sagte sie mit einem kleinen, schlecht unterdrückten Schauder, „Jeder mit seinem eigenen. Wie kannst du nur!“

„Ei Donner! Mein schönes seidenes Tuch! Na ja, es ist von gestern. Ekelst dich? Als wenn das unter Kameraden nicht ganz egal wäre. Tuch hin, Tuch her, wenn man sich liebt.“

„O nein,“ wehrte sie eifrig, „auch dann nicht. Das könnte nie sein.“

„Auch dann nicht ist gut,“ sagte er mit einem harten Auflachen. „Dies Zugeständnis ist gut. Auch nicht, wenn du mich liebtest, hm?“

„Was für Thorheiten,“ antwortete sie, leicht erschreckt. „Ich denke, du machst dich jetzt wirklich zu Tische in Ordnung. Hast du rechten Appetit? Pauline meint, der Rehrücken wäre auserlesen.“

„Na schön. Ich werde mich also menschlich machen. Trocken und sauber. Zu Befehl. Trocken hinter den Ohren bin ich übrigens schon, wenn du das noch nicht wissen solltest. Ich kriege auch noch heraus, was heute mit dir los ist, verlaß dich drauf.“

'O nein, das kriegst du nicht heraus,' dachte Hanna, als er in sein Ankleidezimmer gegangen war. – Sie seufzte dann tief; es flog dabei ein leichtes Zittern über sie hin. Die leidenschaftliche Erschütterung dieses Vormittags zuckte ihr noch in jedem Nerv. Ihr Herz ging in schweren, harten Schlägen, ihre mühsam errungene Fassung konnte umgeweht werden wie ein Kartenhaus. Wenn sie doch noch einige Stunden Ruhe vor ihm gehabt hätte! Sie ertrug ihn noch so schlecht. Seine laute, klingende Stimme that ihr weh; jeder seiner Bewegungen hätte sie zurufen mögen: Geh weg, komm mir nicht nahe! Und seine Art, an ihr herumzunörgeln, aus ihren eignen Worten kleine Waffen zu schmieden! O, sie kannte das ja nicht erst seit gestern und heute! Und daß er eine Aenderung ihres Verhaltens nicht ohne Bemerkung aufnehmen würde, hätte sie sich eigentlich denken und hätte darauf vorbereitet sein können. Auch, daß diese Bemerkungen sich nicht zartsinnig äußern würden.

Wie dankbar wäre sie ihm für stillschweigende Schonung gewesen!

Mit ihren nach dem langen Weinen noch fieberisch glühenden Augen sah sie vom Fenster her, an dem sie lehnte, zum Speisetisch hinüber, auf den Platz, wo sie sich von nun an die Mutter sitzend denken wollte, als Warnerin, als Schutzengel.

Ich will ja, ich will ja, murmelte sie. Aber was weißt du davon, wie es ist, ohne dich!

Ludwig trat ein. In seiner hastigen, geräuschvollen Art, die Thür mit einem schallenden Schlag auf die Klinke vor sich herstoßend. Sie kannte das nun schon, aber sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, schreckte auch jetzt wieder unwillkürlich zusammen.

Er lachte.

„Nervös!“ sagte er mit gemacht hoher Stimme, indem er, die Schultern und den Rücken krümmend, ihr Zusammenzucken nachahmte. Und als sie ihm nun, mit Ueberwindung lächelnd, entgegentrat, fuhr er fort: „Na also. Ich melde mich gebügelt und geschniegelt. Nun wollen wir ’mal so thun, als wenn wir uns gegenseitig lieb hätten.“ Er zog sie an sich und küßte sie.

Tapfer, ohne Widerstand, überließ sie sich seiner Zärtlichkeit.

Der Eintritt des Dieners erlöste sie von der sie beklemmenden Umarmung. Sie atmete auf und ging an ihren Platz.

Ludwigs Gedanken erhielten im Umsehen eine völlig andere Richtung. Seine Stimmungen, unberechenbar in ihren Folgen und unberechenbar in der Raschheit ihres Wechsels, gaben der Färbung des Tages stets eine Reihe unsichrer, zackiger Linien unvermittelter Uebergänge von rot zu blau, von schwarz zu weiß. – Mit der brummig kritischen Miene des argwöhnischen Feinschmeckers studierte er jetzt das elegante, in den Farben des Meißner Porzellans verzierte Kärtchen mit dem „Menu“, das immer neben seinem Teller liegen mußte.

„Bouillon mit Risotto – Zanderfilets à la crême – Blumenkohl au four – Rehrücken mit Salat und Kompott – Vol au vent von Birnen – Käse und Obst.“

Die Suppe ließ er hingehen. Den Zander strich er mit dem Daumennagel aus. „Ess’ ich nicht.“

„Aber warum? Du hast ihn ja letztesmal gelobt.“

„Liebes Kind – Abwechslung muß der Mensch haben. Immer dasselbe ist nicht auszuhalten! Den Zander hab’ ich mir nun glücklich übergegessen“

„Bester Ludwig, vor beinahe vier Wochen hast du ihn zuletzt bekommen.“

„Keine Spur. Ich habe ja den Geschmack noch auf der Zunge.“

„Nun, das ließe sich leicht feststellen. Ich bewahre ja die Kärtchen da auf.“

„Sitzengeblieben!“ Er winkte gebieterisch mit der Hand „Alibi nachweisen …. Fehlte noch. Wenn ich dir sage, daß ich ihn mir übergegessen habe, kann dir das doch wohl genügen, was?“

„Gewiß,“ sagte sie ruhig, sich zu einem gleichmütigen Lächeln zwingend. „Der Fisch wird es verschmerzen, wenn du ihn nicht mehr magst. Ich kann dir nur im Augenblick keinen Ersatz schaffen.“

„Ersatz! Als ob ich so ein Tyrann wäre! Wie du manchmal sprichst! Ich werde mich schon so behelfen für heute. Obwohl der Blumenkohl mich auch nicht gerade zu einem Meineid verführen könnte.“ Er runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht was mit der Person, mit der Pauline, los ist. Gar nicht mehr dieselbe!“

Hanna errötete. August, der ab und zu ging und jetzt eben hinter ihr an der Kredenz stand, hörte ja der ganzen Unterhaltung zu. Das war auch eine von Ludwigs Gewohnheiten: in Gegenwart der Dienstboten alles zu besprechen, als ob sie blind und taub wären.

„Oder findest du etwa nicht?“ fragte er, da sie noch nicht antwortete.

„Ich? Nein. Aber du scheinst nicht mehr mit ihr zufrieden zu sein.“

„Hast du das bemerkt? Na weißt du, dann hättest du dich als Hausfrau schon einmal mit Ernst dahinter machen können, um Wandel zu schaffen.“

„Wenn ich nur wüßte, was du ihr vorwirfst. Sie hat an Sorgfalt nicht nachgelassen. Und wir überlegen so vorsichtig.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_662.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)