Seite:Die Gartenlaube (1897) 653.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

allgemeinen Verwirrung unter den vorfahrenden Equipagen vorzubeugen, mußten die beiden Damen nun warten, bis fast alle Wagen oder Sänften ihre Insassen hinweggeführt hatten.

Frau Gräfin Schwichard war derartiges nicht gewöhnt. Sie pflegte als letzte zu kommen und zuerst wieder zu gehen. Wie eine hergelaufene Abenteurerin so im Vorsaale stehen und warten müssen, das war ihr bisher noch nie geschehen! Sie that, als sei ihre Tochter gar nicht vorhanden, aber um Mund und Nase zuckte es bedrohlich. Armgarts Schuldregister schwoll riesengroß an.

Endlich konnten die Damen einsteigen. Die Gräfin drehte während der kurzen Fahrt ihrer Tochter den Rücken zu und verließ nach der Ankunft den Wagen, ohne sich nach ihr umzusehen. Ihr Gesicht hatte einen strengen

harten Ausdruck, als sie in stolzer Haltung, den mit Federn und blitzenden Steinen geschmückten Kopf zurückwerfend, durch den fallenden Schnee dem Schloßportal zuschritt und die Treppe zu ihren Gemächern hinaufstieg.

Sie flößte ihren Leuten immer Furcht ein, heute aber lag ein besonders böser Zug auf ihrem Gesichte – die sieben dienenden Frauen hatten eine schlimme Stunde durchzumachen. Sprach sie auch wenig, so waren ihre zornigen, verächtlichen Blicke und ungeduldigen Bewegungen hinreichend beredt und ausdrucksvoll.

Endlich wurden die Frauen entlassen und die Gräfin sah befriedigt in den großen venetianischen Spiegel. Ein roter seidener Schlafrock umgab ihre Figur, den Kopf bedeckte ein Turban von türkischem Stoff und um den Hals lag ein feines, gesticktes, linnenes Tuch, von einer Diamantnadel zusammengehalten. Sie ließ sich in einen Sessel fallen, kreuzte die mit gefütterten Hausschuhen bekleideten Füße und erteilte den Befehl, Komtesse Armgart zu rufen.

Es war spät, vielleicht schlief die junge Dame schon, jedenfalls lag sie bereits unter der warmen Federdecke – dann mußte sie eben wieder aufstehen, sich ankleiden und frisieren lassen! Das konnte eine geraume Weile dauern, deshalb wartete die Gräfin ziemlich geduldig. Verschieben wollte sie die Unterredung nicht! Morgen mußte Armgart wissen, wie sie sich als zukünftige Gräfin Trosche zu verhalten habe. In angenehmster Klarheit breitete sich Armgarts Zukunft vor ihrer Mutter Blick aus.

Und mochte Armgart dann Verwirrung in Mennettis Quadrillen und in den Herzen anrichten, das war hernach Sache ihres Gemahls!

Die Gräfin versank – ein höchst seltenes Ereignis – für einige Zeit in Jugenderinnerungen. Hatte sie nicht auch durch ein Lächeln oder einen kalten abweisenden Blick oft genug die Quadrillen in Unordnung gebracht und ihrem Tänzer die Fassung geraubt?

Mit einem leisen Seufzer kehrte sie in die Gegenwart zurück, wunderte sich mit einer Regung von Ungeduld, wo Armgart bleibe, und ergriff die Handglocke auf dem Tische.

Die Kammerfrau erschien so schnell, daß die Vermutung nahelag, sie habe vor der Thüre auf das Glockenzeichen gewartet.

„Komtesse Armgart?“ fragte die Gräfin kurz. Die Kammerfrau antwortete nicht, sondern machte der hinter ihr stehenden Kammerjungfer der Komtesse ein Zeichen, näherzukommen, was diese scheu und zögernd that.

„Was soll das! Was will Sie Meiern? Ist die Komtesse krank?“ fragte die Gräfin scharf.

Die Jungfer kam noch näher und flüsterte einige Worte. „Unmöglich! Sie holt sofort die Komtesse!“ war der Gräfin Entgegnung, von einer sehr entschiedenen Handbewegung begleitet. Doch der Befehl der erzürnten Herrin fand dieses eine Mal keine Beachtung. Die Jungfer wechselte einen Blick mit der Kammerfrau und zuckte die Achseln. Die Gräfin sah es und winkte den Frauen, näherzukommen, indem sie ruhiger sagte.

„Sie hat wohl geträumt, Meiern! Die Komtesse ist an meiner Seite im Wagen hergefahren und nach mir ausgestiegen.

Aber die Jungfer schüttelte den Kopf und wiederholte ihre Meldung. Die Komtesse mochte vielleicht mit eingestiegen sein, war aber jedenfalls nicht wieder mit ausgestiegen.

Die Kammerfrau wagte die Bemerkung, Komteßchen sei am Ende im Wagen eingeschlafen und mit diesem in die Remise geschoben worden.

Die Gräfin sah sie starr an, schickte dann die Meiern hin, um nachzusehen, und blieb einen Augenblick wortlos, man könnte fast sagen, zusammengesunken in ihrem roten Schlafrocke vor dem großen Spiegel sitzen. Ihr Antlitz war ungewöhnlich bleich und erregt. Kaum zeigte aber das Zuschlagen der großen Hofthüre an, daß die Jungfer den ihr gewordenen Auftrag ausführte, so blickte sie auf. Die Kammerfrau stand noch da. „Hast du etwas zu melden, Lotte?“

Die Kammerfrau nickte. „Gnädigste Komtesse haben zweimal heimlich geschrieben. Es ward ihr offenbar schwer, solches von ihrer jungen Herrin berichten zu müssen.

Die Gräfin runzelte die Stirn. „Geschrieben? Das ist sehr bös! An wen? Und wer hat die Briefe –“

„Komtesse geruhten die Schreiben selbst mitzunehmen.“

„Wann?“

„Freitags.“

Jeden Freitag fand eine Vorstellung der französischen Truppe statt, wozu sich auch die Nachbarschaft des Städtchens einfand. Wie nicht anders zu erwarten, war Komtesse Armgart von Bewunderern umschwärmt. Welchem galten ihre Billets?

„Gestern fand die Meiern dieses im Strickbeutel von Komtesse.“

Die Gräfin nahm der Kammerfrau ein abgerissenes Stückchen Papier aus der Hand, auf dem „Paul“ geschrieben stand.

Jetzt kehrte die Jungfer zurück und berichtete, die Komtesse sei nicht im Wagen. Natürlich nicht! Die Gräfin hatte es überhaupt gar nicht erwartet.

Nach kurzer Zeit ward es in dem großen Hause wieder lebendig.

Die Lakaien und der Kutscher wurden heraufbefohlen. Der letztere hatte nichts gesehen und ward sofort wieder entlassen, um möglichst schnell abermals anzuspannen. Auch die Lakaien

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_653.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)