Seite:Die Gartenlaube (1897) 640.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Die deutsche Sprache in Böhmen.
Von Dr. Adolf Hauffen.

Das deutsche Volk Böhmens befindet sich in allen seinen Schichten seit einigen Monaten in einer Erregung, wie sie Oesterreich seit dem Beginne des Parlamentarismus und der nationalen Kämpfe wohl noch nicht gesehen hat. Die Veranlassung gaben die zunächst nur für Böhmen bestimmten, doch alsbald auch auf Mähren ausgedehnten „Sprachenverordnungen“ vom 5. April dieses Jahres.

Diese Verordnungen haben das im Jahre 1890 begonnene (dazumal als Staatsnotwendigkeit bezeichnete) Ausgleichswerk zwischen Deutschen und Tschechen vollends in Trümmer geschlagen. Jener geplante Ausgleich hätte den Deutschen unter Abgrenzung ihres geschlossenen Sprachgebietes und unter Anerkennung ihrer nationalen Rechte dauernden Frieden und Schutz gegen die Slavisierung gewähren sollen. Doch nur kleine Zugeständnisse wurden ihnen zuteil, der Landeskultur- und der Landesschulrat wurden in eine deutsche und eine tschechische Sektion geteilt, dann kam das Werk ins Stocken trotz der dringendsten Forderungen und berechtigten Wünsche der Deutschen, bis diese plötzlich und unversehens mit den neuen Sprachenverordnungen überrascht wurden.

Diese Verordnungen bestimmen im wesentlichen, daß alle nach sechs Jahren in Böhmen und Mähren zu ernennenden Beamten (mit Ausnahme der Lehrpersonen) der tschechischen Sprache völlig mächtig sein und daß schon vom Tage der Veröffentlichung ab tschechische Eingaben auch von den Behörden deutscher Bezirke in tschechischer Sprache nicht nur erledigt, sondern auch verhandelt werden müssen. Daraus ergiebt sich, daß von nun an alle deutsch-böhmischen Jünglinge, die in ihrer engeren Heimat nie ein tschechisches Wort gehört, in ihren Schule keine Gelegenheit gehabt haben die andere Landessprache zu lernen, eine Staatsanstellung als Juristen, Mediziner, Techniker, Postmeister, Hilfsbeamte in Deutsch-Böhmen nur dann erlangen können, wenn sie die schwierige tschechische Sprache so sehr beherrschen, daß sie in ihr fachmännische Berichte abstatten oder mündliche und schriftliche Prozesse führen können. Dazu kommt, daß man an deutsche Beamte gewöhnlich sehr wenige Anforderungen stellt, was die Reinheit ihrer tschechischen Rede betrifft, während man tschechische Beamte in deutschen Gegenden ohne weiteres in Amt und Würden behält, selbst wenn ihr Deutsch nur vom Standpunkt des Humors aus berechtigt erscheint und selbst wenn sie, was tatsächlich täglich vorkommt, die Landleute des Bezirks, die auch vor der Behörde ein mundartlich gefärbtes Deutsch reden, einfach nicht verstehen. Die Folge dieser Verhältnisse muß natürlich eine Ueberflutung Deutsch-Böhmens durch tschechische Beamte und eine bedrohliche Slavisierung seiner bürgerlichen Kreise sein.

Begreiflich, daß die Deutschen des Landes, durch diese Aussichten im höchsten Grade beunruhigt, ja, in ihren Existenzbedingungen bedroht, sich entschlossen haben, den mannhaftesten Widerstand zu leisten, die Verordnungen mit allen gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen und auf deren Aufhebung mit allem Nachdruck hinzuwirken. Begreiflich ist es auch, daß die Volksgenossen im Deutschen Reiche nicht gleichgültig bleiben, sondern dem nationalen Ringen ihrer Brüder in Oesterreich eine warmherzige Teilnahme entgegenbringen.

Da aber im Deutschen Reiche die von den Zeitungen sorgfältig geschilderte politische Vorgänge des Tages im allgemeinen viel besser bekannt sind als die geschichtlichen und ethnographischen Verhältnisse des Deutschtums in Oesterreich, so ist der Verfasser dieser Zeilen sehr gern der freundlichen Aufforderung der „Gartenlaube-Redaktion“ nachgekommen, knapp und in einfachen Linien die vielhundertjährige Geschichte der deutschen Sprache in Böhmen, der weit zurückreichende Teil der Deutschen an der glanzvollen Entwicklung des Landes und das Geschick ihres gesonderten Sprachgebietes zu zeichnen.

Dies ist um so notwendiger, als in den vielen tendenziösen Darstellungen tschechischer (neuester Zeit auch französischer) Zeitungen und Bücher die Sachlage so aufgefaßt wird, als wären die Tschechen als ursprüngliche Bewohner auch die „historisch“ allein berechtigten Herren und Vollbürger des Landes und als käme den Deutschen als „spätere Eindringlinge“ und „Fremden“ nur das Recht geduldeter Gäste und Bürger zweiter Ordnung zu. Nun, ganz abgesehen davon, daß gewiß kein Volk der Erde, das heute ein Gebiet thatsächlich besitzt und die Kraft hat, es zu verteidigen, freiwillig aus „historischen Gründen“ darauf verzichten wird, ist die Unrichtigkeit der besagten Auffassung schon dadurch erwiesen, daß jahrhundertelang, ehe Slaven nach Böhmen kamen, das Land von Germanen besetzt war.

Vom Jahre 8 vor Christus ab bis in das 6. Jahrhundert beherrschte Böhmen der germanische Stamm der Markomannen, der dann, dem Ansturm der Avaren weichend, in das westliche Nachbarland zog, wo er, mit anderen versprengten Germanenscharen vereinigt, unter dem Namen Bajuvaren erscheint. Erst im letzten Drittel des 6. Jahrhunderts wurde das entvölkerte Böhmen allmählich und wahrscheinlich kampflos von schwachen Stämmen bezogen, die sich vorerst unter avarischer Botmäßigkeit befanden. Nach dem Tode ihres Befreiers von den Avaren, des Franken Samo, 658, zerfiel Böhmen in mehrere einander befehdende Stammesgebiete, bis es den Herzöge des in der Mitte des Landes (um Prag) hausenden Tschechenstammes bis zum Ende des 10. Jahrhunderts gelang, ihre Herrschaft über das ganze Land auszudehnen, das auch nach diesem Stamme die slavische Bezeichnung „Cechy“ erhielt. Böhmen hatte nun jahrhundertelang eine rein slavische Bevölkerung. Nur im Südwesten des Landes, wo noch heute Bayern wohnen, sind möglicherweise germanische Reste dauernd sitzen geblieben. Trotzdem konnte es sich der politischen und Kultureinflüsse des mächtigen deutschen Nachbarreiches, mit dem es auch geographisch verbunden ist, nicht erwehren. Schon unter Karl dem Großen wurde Böhmen dem Frankenreiche tributpflichtig. Die böhmischen Herzöge, später (seit 1198) die böhmischen Könige, mußten die Oberhoheit des deutschen Kaisers anerkennen. Durch deutsche Priester wurde von 895 ab das Christentum in Böhmen eingeführt. Rasch nahm die Zahl der Deutschen zu, denn sie wurden von den Fürsten des Landes unter günstigen Bedingungen berufen. Der von Sobieslaw II. (1778) den Deutschen ausgestellte, von Wenzel I. um 1231 erweiterte Freiheitsbrief hebt diese Berufung ausdrücklich hervor.

Im 12. und 13. Jahrhundert erfolgte die große Kolonisierung der Grenzgebiete Böhmens durch Deutsche. Die Tschechen hatten nämlich nicht das ganze Land besiedelt. Sie verstanden es nur, den lockern Boden der fruchtbaren Niederung mit der leichte Hacke zu behandeln, sie waren darum bloß an den Flußthälern (der Eger, Elbe usw.) bis nahe an die Grenze, stellenweise sogar darüber hinaus gegangen, aber die von dichtem Wald bedeckten Grenzgebirge ließen sie unberührt. Auch war die Bevölkerung nicht dicht genug, um von innen heraus zu kolonisieren. Als nun nach Eintritt friedlicherer Zeiten die Landesfürsten, einzelne Adlige und Kloster ihren Waldbesitz urbar zu machen wünschten, so mußten sie das mit dem schweren Pflug vertraute, anerkannt beste Kolonistenvolk des Mittelalters, die Deutschen, herbeirufen. Die Grenzgebiete Böhmens also, das Braunauer Ländchen, das Adler-, Riesen-, Iser- und Erzgebirge, der Böhmerwald, große Strecken um Neubistritz, Stecken und Landskron waren niemals von Tschechen besetzt; sie wurden von den Deutschen erst urbar gemacht und auf grüner Wurzel besiedelt. Das beweisen neben zahlreichen urkundlichen Nachrichten das von den tschechischen Runddörfern sich deutlich abhebende fränkische Anlagesystem der alten deutschen Dörfer, sowie die fast ausschließlich deutschen Ortsnamen dieser Gebiete, die durch ihre Verbindungen mit –reuten und –roden, mit –grün und mit –wald ihre Entstehungsweise klar bezeugen. Hier kann also von einem „allmählich germanisierten“ Gebiete nicht die Rede sein.

Während diese Besetzung des Markwaldes durch deutsche Bauern stattfand, umgaben sich die Fürsten des Landes, von denen mehrere deutsche Frauen gefreit hatten, mit deutschen Adligen, Beamten und Künstlern. Am Hofe und auf den Burgen des heimischen Adels fanden die ritterlichen Sitten des Westens Eingang, am wichtigsten aber wurde die Gründung deutscher Städte. In Prag, wo die uralte Stadtgemeinde der deutschen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_640.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)