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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Bürgersinn zu neuer Blüte entfaltet! Ein Dankfest soll es sein für die um die Einigkeit, Größe und Ehre des Vaterlandes Gefallenen, für alle treuen Mitarbeiter an seiner Größe, für die großen Männer, die den Ruhm des deutschen Namens in die fernste Zukunft tragen werden. Ein Friedensfest soll es sein für die Lebenden, daß sie ihre Kraft und ihre Tüchtigkeit in opferbereiter Liebe zum Vaterlande, zu Kaiser und Reich, zu Fürst und Heimat, zu deutschem Sinn und deutscher Treue sammeln und im Rahmen deutscher Kunst in kraftvollem Wettstreit zur Geltung bringen. Ein Mahnfest soll es sein für die heranwachsenden Geschlechter, an der Kraft und Größe unseres Volkes mitzuarbeiten in Treue und Hingebung, durch Selbstzucht und nie rastende Pflichterfüllung.

Ueber die Frage, wo das erste deutsche Nationalfest stattfinden soll, ist noch keine Einigung erfolgt. Erst wenn die Entscheidung hierin getroffen sein wird, was noch im Herbste dieses Jahres geschehen soll, kann in eine allgemeine Bewegung zu Gunsten des Festes mit klarem Zielbewußtsein eingetreten werden. Aber schon jetzt darf man die Erwartung aussprechen, daß der Plan unter der Teilnahme und dem Beifall der Nation bis zum Jahr 1900 der hießigen Ausführung entgegenreifen werde! Den „Mitteilungen und Schriften des Ausschusses“, deren 3. Heft den „Aufruf“ sowie die „Satzungen“ enthält, ist mit Genugthuung zu entnehmen, daß bereits in weiten Kreisen, auch unter den Deutschen des Auslandes, eine rege und stetig wachsende Teilnahme sich geltend macht.


Der gute Regen.
Humoreske von Eva Treu.

Ja, natürlich, nun regnete es wieder!

Seit acht Tagen war es so gewesen: frühmorgens die klarste, blaueste Luft, dann, gegen neun Uhr, drei oder vier Wolken „wie eines Mannes Hand“, die langsam und unfreundlich heraufzogen und sich, man wußte nicht wie, plötzlich über den ganzen Himmel ausgebreitet hatten, dann zuerst ein paar versprengte, gleichsam widerwillige Tropfen, und endlich, etwa von zehn Uhr an, ein ganz gelassener, besonnener Regen, der völlig den Eindruck machte, als wenn er sich gründlich und gewissenhaft auf seine Aufgabe vorbereitet hätte und nicht die Absicht hege, aufzuhören, ehe er nicht alles, Berge, Bäume, Menschen, Häuser bis herab zum kleinsten Gräschen, einer sorgfältigen Abwaschung unterzogen hätte.

Dann, gegen Abend, wenn man bereits einen verzweiflungsvollen Spaziergang unter Schirm und Regenmantel gemacht und sich grollend seines durchnäßten Schuhwerks entledigt hatte, pflegte ein plötzlicher Sonnenblick die Wolken zu zerteilen, es wurde trocken und klar, jetzt, da sich niemand mehr recht daran erfreute, man hoffte – optimistisch wie Sommerfrischler nun einmal zu sein pflegen – auf einen schönen nächsten Tag, und der kommende Morgen brachte genau dieselben freudigen Ereignisse.

Wie gesagt, so war es nun seit einer Woche, und im allgemeinen herrschte die Anschauung vor, daß man besser gethan hätte, zu Hause in seiner bequemen Wohnung zu bleiben, wo man sich wenigstens nicht moralisch verpflichtet fühlte, täglich trotz aller Nässe seinen Weg zu machen, um die teuer bezahlte Bergluft auszunutzen. Heute jedoch hatte die Sache in der Frühe hoffnungsvoller ausgesehen als gewöhnlich, und die gut gehaltenen Spazierwege, auf welchen sich die Regenspuren immer schnell wieder verwischten, waren deshalb ungewöhnlich belebt gewesen. Ja, ein paar Wanderer hatten sich sogar unternehmungsfroh bis in eine ziemliche Entfernung von der kleinen Sommerfrische über die nächsten Berge gewagt. Und als nur eine halbe Stunde später wie zur gewohnten Zeit der Himmel sich doch mit plötzlicher Geschwindigkeit, als entsänne er sich erschrocken einer versäumten Pflicht, dunkel bezog und gleich darauf die ersten Tropfen fielen, da konnten nur die Vorsichtigen noch ihre nahen Wohnungen erreichen, die Wagemutigen mochten sehen, ob sie in irgend einem der an den Wegen stehenden Schutzpavillons wenigstens ein Unterkommen bis zur nächsten Regenpause fänden.

Zwei dieser Versprengten eilten auf verschiedenen Wegen dem gleichen Pavillon zu, ohne jedoch voneinander zu wissen.

„So, da hätten wir die Bescherung ja wieder einmal,“ sagte ein großer, blonder, junger Mann mit einer Brille, indem er eintrat und den Regenschirm, auf dem übrigens erst wenige Tropfen glänzten, schloß und in einen Winkel steckte. „Es wird ja wohl gleich in vollem Gange sein, da ist es doch wohl besser, vorläufig unter Dach und Fach zu treten.“ Er trat noch einmal in den Eingang, sah in den Regen hinaus, der schnell an Heftigkeit zunahm, und wischte sich die Brille ab.

Durch hervorragende Schönheit zeichnete er sich nicht aus, doch hatte er das intelligente Gesicht eines wissenschaftlich gebildeten Mannes, hübsche, ehrliche Augen und eine elegante, durch einen gut sitzenden Anzug vorteilhaft gehobene Figur.

Vielleicht zählte er achtundzwanzig Jahre, schwerlich mehr, denn auf seinem Gesichte lag bei aller Klugheit ein gewisser träumerischer Ausdruck, der einem späteren Alter abhanden zu kommen und schon bei Herren, welche die ersten Zwanziger überschritten haben zu den Seltenheiten zu zählen pflegt.

Und diesem träumerischen, für seine Jahre so ungewöhnlichen Ausdruck ganz entsprechend, hatte er auch in diesen Tagen etwas verübt, was sonst eigentlich ebenfalls nur von ganz jungem Menschenvolk begangen wird und gewöhnlich den gelinden Spott verständiger Menschen herausfordert; er hatte sich Hals über Kopf in ein Mädchen verliebt, mit dem er bis jetzt kein einziges Wort gewechselt, und das er nur vier- oder fünfmal aus einiger Entfernung gesehen hatte.

Aber kaum der vier- oder fünfmal hätte es von Rechts wegen bedurft. Sein Herz, mit dem er bis dahin eigentlich immer recht vorsichtig umgegangen war, weil er zu den Leuten gehörte, die sehr ideale Ansprüche an die Frauen stellen, welche ihnen gefallen sollen, hatte schon nach der ersten, flüchtigen Begegnung rettungslos lichterloh gebrannt. Nicht einmal wie „sie“ hieß, wußte er, nicht, woher sie kam, gar nichts, nur die eine überwältigende Thatsache, daß sie entzückend war, hatte sich ihm vollständig ins Bewußtsein eingeprägt. Natürlich dachte er auch jetzt an sie, und ein wahres Glück war es eigentlich, daß er in diesem trostlosen Regen wenigstens an etwas so Reizendes denken konnte; es wird nicht jedem so gut in solchen trüben Tagen.

Er hatte sich jetzt auf die Bank gesetzt, die im Innern des Pavillons rings an den Wänden herum angebracht war, und einen Band Shakespeare – es war eine sehr gute englische Originalausgabe – hervorgezogen, hielt auch das Buch aufgeschlagen vor sich hin, aber die Lektüre schien nicht recht vorwärts zu schreiten, über die Blätter hinweg schauten seine Augen sinnend in den Regen hinein, und nun legte er gar das Buch beiseite und lehnte den Kopf an die Wand zurück.

Vor einigen Tagen war „sie“ plötzlich an der Seite einer älteren Dame an der Wirtstafel aufgetaucht, sie, die lieblichste Mädchenerscheinung. Ob die ältere Dame die Mutter oder eine Tante sei, hatte er bis jetzt nicht herausbekommen. Nie hätte er mit seinem scheuen Zartgefühl es über sich gewonnen, etwa den Kellner auszufragen und diesem dadurch sozusagen einen Einblick in sein Interesse zu gewähren. Eine Aehnlichkeit bestand keinenfalls zwischen der alten, etwas gewöhnlich aussehenden und der jungen Dame, also mochten die beiden wohl Tante und Nichte sein. Die Tante hatte er indessen kaum angesehen, so sehr hatte die Nichte seine Aufmerksamkeit gefesselt: eine schlanke, fein aufgebaute Figur, der das lose, bauschige, die zarten Formen nur leicht andeutende Sommerkleid vortrefflich stand, ein ovales, mattrosiges Gesicht mit langbewimperten, seelenvollen Kornblumenaugen und fein gezeichneten dunklen Brauen, die sich ganz eigenartig ausnahmen zu dem hellblonden, lockigen Haar, das in flockigen, weichen Wellen das schöne Köpfchen umgab, und über dem allen ein Hauch von Poesie, von Mädchenhaftigkeit, von zwanzigjähriger Jugend – nein, wirklich, er hatte den Blick nicht wieder abwenden können! Leider saß er so, daß nur dann und wann ihr Kopf, gewöhnlich im Profil, für ihn sichtbar wurde, und nur ein paarmal hatte sie ihm das Gesicht voll zugewendet, so zum Beispiel einmal, als der Kellner ihm eine Bestellung überbracht hatte, von der er trotz des etwas ungebührlich lauten Tones, in dem sie gemacht wurde, keine Silbe verstand, so daß Jean sie wiederholen mußte.

Seitdem hatte er „sie“ ein paarmal gesehen, nicht nur täglich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_636.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2021)