Seite:Die Gartenlaube (1897) 606.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Ein herrliches Bild bietet sich hier dar. Ein paar hundert Reiter in weißen Hosen und dunklen Jacken, mit bespornten schwarzen Stulpenstiefeln und weißen Jockeymützen regieren ihre kräftigen Pferde. Jeder trägt eine Lanze. Rote, lila, weiße, grüne, blaue Fähnlein wimpeln in der sonnendurchfluteten Luft. In Abteilungen stellen sie sich auf, mit einer staunenswerten Ordnung, mit einer verblüffenden Ruhe vollzieht sich alles. Fortwährend fliegt, wie ein Herrscher seine Truppen

musternd, Georg Hansen, ein junger Mann mit geschmeidigem Körperbau, sympathischen Gesichtszügen und in einer Haltung auf seiner feurigen Fuchsstute hin und her, als ob Roß und Reiter zusammengewachsen wären. Und dann setzt sich der Zug in Bewegung. Voran zwei Herolde in mittelalterlichem Kostüm, dann ein vierspänniger bekränzter Musikwagen mit Musikern in weißen Mützen, mit Jockeys in blutroten Jacken auf den Handpferden. Und abermals ein Musikantenwagen, voran vier Gäule, zwei mit wallenden Federbüschen auf den Köpfen, inmitten des langen Zuges, dem das nach Tausenden zählende Publikum nachströmt. Oben in der Hauptstraße habe ich mich aufgestellt, nachdem ich eiligst vorangeschritten bin, um den Gesamteindruck der bewegten Masse auf mich wirken zu lassen. In der Sonne schimmern die weißen Mützen der Reiter wie Silber, dazwischen all die nickenden Pferdeköpfe, darüber die bunten Fähnlein, zu seiten die Gebäude mit ihren roten Dächern, hellen Wänden, glitzernden Türmchen und Blitzableitern. Ein prächtiger, überaus malerischer Anblick!

Und nun ging es zurück zu dem lang ausgestreckten Festplatz mit all dem vielerlei, das zu einem Jahrmarkt und Volksfest gehört: den Karussells, den Buden, Zelten, Schiffsschaukeln, Bierhallen, Glücksrädern, Phonographen, Schießständen und Kraftmessern. – Zur Linken aber dehnten sich die Reitbahnen aus, sie, das Hauptstück des Festes, zu dem sich wohl achttausend Personen versammelt hatten. Am Ausgange einer jeden der von beflaggten Fahnenstangen eingefriedigten Reitbahnen befand sich ein schwebendes Seil, in

Datei:Die Gartenlaube (1897) b 606 2.jpg

Ansicht von Sonderburg.
Nach einer Photographie von J. L. Stöckler in Sonderburg.

dessen Mitte ein eiserner Ring so in einer Klammer befestigt ist, daß er sich bei scharfer Berührung löst. Jeder Reiter legt nun, in Galopp vorwärts stürmend, seine Lanze ein und hat, während er unter dem Seil dahinfliegt, die Aufgabe, den Ring herauszustechen. Freilich, nur den Meistern gelingt diese Aufgabe der Geschicklichkeit. Knaben bedienen den Apparat mit dem Seil; ist ein Ring heruntergestochen, so wird ein neuer in die Klammer gefügt. Jeder Treffer wird notiert. Das Spiel ist für die Reiter von großem Reiz und für den Zuschauer ein außerordentlich anziehendes Schauspiel.

Welche schlanken und kernigen Gestalten, welche kraftstrotzenden, gleichsam aus der Ritterzeit stammende Gäule! Welche flottstürmende Gangart! Und immer so fort, stundenlang, nur dreimal am Nachmittage durch eine kurze Pause von zehn Minuten unterbrochen.

Schon herrschte auf dem Festplatz allüberall das lustigste Treiben. Zelt- und Reitermusik, Pferdegewieher, Klingeln, Johlen, Singen und Lachen, Drehorgelklang und Karussellbegleitung klang ohrenbetäubend durcheinander, als die Auffahrt der Augustenburger Herrschaften von Schloß Gravenstein her erfolgte. Die liebenswürdig leutselige Herzogin Adelheid, die Mutter unserer Kaiserin, steigt aus, begleitet von dem Herzog Ernst Günther, der Herzogin Ferdinand von Glücksburg und der Prinzeß Feodora von Augustenburg. Das Gefolge schließt sich an, und die vom Publikum freudig begrüßten Gäste wenden sich unter Herrn Hansens Führung dem Festplatze zu. Zuerst wird den Spielen der Jugend zugesehen, Wettlaufen, Topfschlagen, Stangenklettern und Eselreiten von eigenartig herausstaffierten mit grotesken Masken versehenen Jungen folgen einander, bis die Versammelten, immer begleitet von dem nachdrängenden Publikum, zu den Reitbahnen aufbrechen und diesem Geschicklichkeitskampf der Reiter und Pferde ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Erst nach einstündigem Aufenthalt erfolgt der Aufbruch. Die Wagen mit der Dienerschaft in silberbeknöpften Jacken und polnischen Mützen fahren vor, die Herrschaften nehmen Abschied.

Alsdann stürmt alles zur hohen, bekränzten Tribüne. Die Sieger erscheinen und empfangen, nachdem der letzte Wettkampf zwischen gleichbefähigten Ringreitern nach der vorgeschriebenen Ordnung ausgefochten, die Preise. Mit Lorbeerkränzen das Haupt oder die Brust umwunden, kehren sie zurück, von der Musik mit Tusch, vom Publikum mit einem brausenden Hoch begrüßt. Aber auch reiche Gaben, Reit- und Fahrutensilien und silberne Pokale von beträchtlichem Wert für den König und den besten Ringstecher werden verteilt. Dann ordnen sich die Reiter wieder zum Zuge, der, von der Menge begleitet, den Platz verläßt, mit Musik die Stadt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_606.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)