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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Jagd und Küche in Neu-Guinea.
Von Wilhelm Haacke.

Wenn ein Europäer, der über die Grenzen der Kulturwelt nicht hinausgekommen ist, davon liest, daß Reisende in den eisigen Einöden der Polarländer oder in den Wüsten der heißen Erdstriche vor Durst und Hunger umgekommen sind, so erscheinen ihm solche Unfälle durchaus natürlich. Unglaublich klingt ihm aber die Nachricht, daß auch in den üppigen tropischen Urwäldern bittere Hungersnot ganze Expeditionen zu bedrohen vermag und zahlreiche Opfer an Menschenleben fordert. Sollten Gebiete, die sich gerade durch die größte Fülle des Pflanzenwachstums auszeichnen, so arm an Nahrungsmitteln sein? Sollten sie so wenig eßbare Früchte hervorbringen und kein jagdbares Wild beherbergen? Und doch ist dem so! Schon die Spanier, die im 16. und 17. Jahrhundert von Peru aus in die Urwälder am Amazonas eindrangen, um neue Goldländer zu entdecken, litten dort furchtbar unter der Hungersnot, und die Hungersnot hat in jüngster Zeit den Begleitern Stanleys auf dessen Zuge durch die Wälder am Aruwimi im Dunkelsten Afrika die schlimmsten Qualen und Entbehrungen auferlegt. Daß an dem Untergange des kühnen Reisenden Otto Ehlers auf seiner Durchquerung von Neu-Guinea gleichfalls die Hungersnot in hohem Grade beteiligt war, wußten wir bereits auf Grund der ersten Mitteilungen über seinen und seines Begleiters Piering Tod. Die nach der Küste zurückgekehrten Eingeborenen, die an der Expedition teilgenommen hatten, erzählten, der Mangel an Nahrungsmitteln sei so groß gewesen, daß sie Gras hätten essen müssen. Ehlers und Piering seien bei einem Flußübergang ertrunken. Nach neuesten Nachrichten sind die beiden Deutschen von ihren schwarzen Begleitern, durch den Hunger zur Meuterei getriebenen Bokkoleuten, erschossen worden. Unter dem Eindruck dieser erschütternden Kunde wird ein Bild der Verhältnisse, welche die Hungersnot verständlich machen, von der Ehlers und seine Leute betroffen wurden, gewiß ganz besonders willkommen sein.

Ja, es ist eine unleugbare Thatsache, daß der tropische Urwald dem Menschen feindlich entgegenwirkt. Die unermeßliche Fülle der Pflanzen ist für die Ernährung des Reisenden belanglos, denn sie bringt fast gar keine bekömmlichen oder nur genießbaren Früchte hervor, und die Jagd in dem undurchdringlichen Gewirr des Unterholzes ist nur sehr wenig lohnend. Der Forschungsreisende muß auf solchen Märschen Nahrungsmittel von den Eingeborenen, die hier und dort in Lichtungen des Waldes wohnen, zu beschaffen suchen, aber das gelingt ihm nur selten, da diese Eingeborenen Fremde fürchten, ihnen feindlich entgegentreten oder vor den Expeditionen die Flucht ergreifen und dabei alle Vorräte aus den Dörfern fortschleppen.

Ich habe aus eigener Erfahrung die Sorgen kennengelernt, die dem Führer einer Expedition in solchen Gebieten die Beschaffung der Nahrung bereiten kann. Das geschah gerade in den Urwäldern Neu-Guineas, die noch obendrein nur wenige und kleine Säugetierarten beherbergen. Ich möchte darum, aus meinen Erinnerungen schöpfend, die Leser zu einem Jagdausflug in jene Urwälder einladen. Sie werden auf diese Weise wohl am besten erfahren, womit sich dort im glücklichsten Falle die Jagdtasche füllt, und wie es dort mit der Küche der Forschungsreisenden bestellt ist.

Zuvörderst wollen wir aber den Eingeborenen einen Besuch abstatten, um uns bei ihnen, allerdings ausnahmsweise, durch Speise und Trank für unseren Streifzug zu stärken.

In den Dörfern an der Küste sind die Papuas stellenweise schon einigermaßen zugänglich. Hier ist der weiße Mann mancherorts bereits bekannt und wird von den Eingeborenen meistens freundlich aufgenommen. Wir selbst haben vor einem Dorfe an der Mündung des Flyflusses Anker geworfen und lassen uns von einem der kleinen Boote unseres Dampfers ans Ufer setzen, um bei den Dorfbewohnern vorzusprechen. Laut schreiend und wild gestikulierend steht ein Haufen Eingeborener am Ufer. Es sind freilich nur Männer und Knaben, denn die Frauen und Mädchen hat man beiseite geschafft. Aber der Empfang ist gleichwohl ein liebenswürdiger. Man trägt uns über den tiefen Schlamm, der die Ufer zur Zeit der Ebbe umsäumt, hinweg und begrüßt uns mit freundlichem Händeschütteln. Wir wollen, abgesehen davon, daß wir allerhand Geräte der Eingeborenen einzutauschen wünschen, vor allem etwas Abwechslung in unsere aus Konserven bestehende Expeditionsnahrung bringen und finden, daß Kokosnüsse und Bananen in Hülle und Fülle zu haben sind. Ein Stückchen Tabak von jener Sorte, der in Amerika eigens für Handelszwecke in der Südsee fabriziert wird, reicht aus, um eine große Traube reifer Bananen und einen Haufen von Kokosnüssen einzuhandeln. Mit den Bananen machen wir kurzen Prozeß. Sie lassen sich bequem ihrer Schale entledigen, und ihr weiches, fast kernloses Innere, das, ziemlich mehlig, an Aepfel und Birnen erinnert, wird nach Gebühr von uns gewürdigt. Die Kokosnüsse machen schon größere Schwierigkeiten. Sie sind von einer dicken, faserigen Hülle umgeben. Da diese noch ziemlich grün ist, gelingt es uns aber, sie zum Teil zu entfernen und bis zur Schale der eigentlichen Nuß vorzudringen. Nunmehr bohren wir ein Loch in die Schale und setzen die gewaltige Nuß an unsern Mund, um die sogenannte Kokosmilch, die an Ort und Stelle, wo man sie nur von unreifen Nüssen genießt, freilich farblos und klar ist, in vollen Zügen zu schlürfen. Dann übergeben wir die Nuß einem Eingeborenen, der sie von der faserigen Hülle vollends befreit, ihre Schale zerschlägt und uns deren Stücke darbietet. Mit einem der kleineren Schalenscherben kratzen wir den weißen Rahm, der die Schale von innen auskleidet, zusammen, wobei wir finden, daß wir es hier allerdings mit einem nahrhaften und vortrefflich schmeckenden nußartigen Brei zu thun haben.

Jetzt könnten wir auch einmal den Sago der Eingeborenen probieren, eine mehlartige, kompakte Masse, die aus dem Stamm der Sagopalme durch Klopfen und Auswaschen des Holzes gewonnen wird und im wesentlichen aus Stärke besteht. Aber wir sind jetzt lange genug Vegetarianer gewesen und möchten auch etwas Fleischkost zu uns nehmen. Auf einem Kohlenfeuer sehen wir einen jungen Kasuar von der Größe eines Huhnes sich in ein Backhähndl verwandeln. Unser Hund ist aber schneller bei der Hand als wir, er hat sich lange mit Reisbrei begnügen müssen und macht sich die gebotene Gelegenheit zu nutze. Mit Entrüstung und Neid sehen wir, wie er den zarten und äußerst saftig erscheinenden Braten in Hast verschlingt, so schnell, daß wir nicht einmal zur näheren Untersuchung des Fleisches gelangen. Aber wir haben genug gesehen, um zu erraten, daß ein Kasuarkücken im Gegensatz zu einem ausgewachsenen Vogel seiner Art nicht übel sein muß. Einen großen hatten wir nämlich einmal geschossen und ihn, nachdem wir die für die Sammlung bestimmte Haut abgezogen hatten, zu Küchenzwecken verwendet, aber gefunden, daß er zäh wie Sohlenleder war. Da es mit dem Kasuar-Backhähndl nichts war, sehen wir uns nach anderer fleischlicher Nahrung um. Man bietet uns einen Pudding an, der aus kleinen faulenden Fischen, die mit Sago gemengt sind, bereitet ist und bestialisch duftet. Unser Enthusiasmus für ethnographische Untersuchungen ist aber nicht groß genug, um diesen Teufelsbrei zu versuchen. Endlich handeln wir für reichliche Tauschgeschenke ein Paar Haushühner und ein kleines Schweinchen ein. Die Tiere leben aber noch, weshalb wir darauf verzichten müssen, sie sofort zu verspeisen. Wir schicken sie mit unserem Landungsboot auf den Dampfer und treten einen Ausflug in den nahen Urwald an.

Hier stoßen wir zunächst auf etliche Schweine. Wir sehen aber, daß es zahme Schweine der Eingeborenen sind, die gleich uns einen Waldspaziergang unternommen haben. Hunde und Hühner sind in Neu-Guinea echte Haustiere. Die Schweine kann man aber nur als halb gezähmt betrachten, denn sie halten gar oft mit den wilden Schweinen im Urwalde Gemeinschaft. Unsere Hoffnung, völlig wilden Schweinen zu begegnen, geht nicht in Erfüllung, obwohl wir deren Spuren hier und da antreffen. Sonst sehen wir zunächst nichts Jagdbares auf dem Boden des Urwaldes. Darum schauen wir uns nach Vögeln um, können aber, obwohl wir ab und zu eine Vogelstimme vernehmen, nichts in dem dichten Laubdach des Urwaldes entdecken. Endlich sehen wir einige bewegte Blätter. Wir richten unsere Flinte auf den Punkt, wobei wir gezwungen sind, den Kopf soweit in den Nacken zu legen, daß unser Hut herunterfällt, und schicken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_603.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2020)