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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Nr. 36.   1897.
Die Gartenlaube.
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahresabonnement: 7 M. Zu beziehen in Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf., auch in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Einsam.

Roman von O. Verbeck.

     (5. Fortsetzung)

12.

Keine Sorgen mehr! Keine Furcht mehr vor dem schrecklichen Quartalsersten. Kein angstvolles Rechnen mehr mit Kassensturz am Abend, mit immer neuem Verteilen der noch übrigen Summe auf die noch übrigen Tage. Kein Arbeiten mehr um Lohn mit heißen Augen, mit schmerzendem Kopf. Kein banges Ueberlegen mehr: dürfen wir das auch diesen Monat noch ausgeben? Oder: dafür muß dann aber das und das unterbleiben.

O, verhaßtes Geld! Verhaßter Tyrann!

Hanna Wasenius wäre kein Mensch von Fleisch und Blut gewesen, wenn das Gefühl der Befreiung von dieser Last ihr nicht allgemach die beengte Brust zu tiefen, lauten Atemzügen gehoben hätte. Keine Geldnot mehr! Das läßliche Bewußtsein der Erlösung von allen Sorgen begann sich als flimmerndes Gerank um den jungen Stamm ihrer Opferfreudigkeit zu schlingen. Es war nicht mehr ganz allein; die gesunde Feuerwärme ehrlichen Wollens, ehrlichen Ueberwindens, die ihr die blaß gewordenen Wangen färbte.

Ein Hauch von dem berauschenden Blütenduft aus dem Garten der Ueppigkeit war herübergeweht. Mit Verwunderung, mit leiser Beschämung gestand sie sich ein, daß sie anfange, sich auf den Reichtum, der ihrer wartete, zu freuen. Ein noch fremdes Gefühl, das sie sehr verwirrte. Wie geschah ihr denn nur? Die oberste, stärkste und einzig entscheidende Triebkraft zu ihrem Entschluß war doch die Liebe zur Mutter gewesen. Sie war auch das stärkste Gefühl geblieben nachher – aber nicht das einzige. Hanna erschrak vor diesem Selbstbekenntnis. Wie ertappt bei einem Unrecht stand sie da. Sie war bis jetzt immer ehrlich gegen sich selbst gewesen; sie bemühte sich, es auch zu dieser Frist zu bleiben. Wo war denn also der Wert ihres Opfers, wenn sie es sich mit klingender Münze bezahlen ließ? War es alsdann überhaupt noch eines? Wurde es nicht ein einfaches Tauschgeschäft? War es das nicht am Ende von Anfang an gewesen? – – Mit selbstquälerischer Grübelei spürte sie Schritt für Schritt ihrem Empfindungsleben der letzten

Ein ungebetener Gast.
Nach einem Gemälde von C. v. Reth.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_597.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)