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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Jetzt, da der Zug auf dem Heerweg langsam bergauf stieg, vernahm man wieder deutlich das seltsam dünne, schreckliche Kleppen, das seit Menschengedenken die Verurteilten der Glaustädter Tribunale nach dem Richtplatz begleitet hatte. Zurückschauend, sah man das Glöckchen in seinem regelmäßigen Hin- und Herschwingen scharf abgezeichnet gegen das Blau des Himmels, das durch den schlanken tempelartigen Turmaufsatz leuchtend hindurch schien.

Auch Hildegard, die sich jetzt wieder gefaßt hatte, sah bei der Biegung der Landstraße dies unheimlich schnelle Auf und Nieder und wunderte sich, daß ihr so wenig vor diesem Anblick grauste. Sie war nun vollständig Ergebung und Ruhe. Das einzige, was sie noch quälte, war das Bewußtsein, daß sie dem wackeren Notar für den Versuch, ihr werkthätig beizuspringen, nicht mehr gedankt hatte. Aber auch das ging vorüber.

Auf dem Böhlauer Trieb stand das Blutgerüst aufgeschlagen, wenige Ellen davon entfernt der Scheiterhaufen. Der Böhlauer Trieb war ein brachliegendes viereckiges Grundstück, ehemals Weide. Hinter dem Trieb zog sich die Wolfskante her, ein dichtes, uraltes Nadelgehölz, das in weit ausgreifendem Bogen mit dem Lynndorfer Walde zusammenhing.

Der Scheiterhaufen, das Blutgerüst und die Gestalten der Scharfrichter hoben sich mit jeder Minute unübersehbarer von dem grünschwärzlichen Tannicht der Wolfskante ab. Der Stadtpfarrer Melchers mühte sich eifrig, den Blicken des jungen Mädchens eine andere Richtung zu geben. Aber es half nichts. Wie magisch gebannt schaute sie aufwärts. Sie seufzte aus tiefster Brust, schloß ihre Augen und murmelte voll glühender Inbrunst. „Jesus, allgütiger Heiland, erbarme dich meiner!“

Die Henkersknechte zogen die längst schon Willenlose rasch vom Wagen herab. Die Mitglieder des Tribunals bildeten einen Halbkreis. Der Gerichtsschreiber trat vor, um ihr noch einmal den Urteilsspruch zu verlesen.

Mit eintöniger Stimme begann er wie folgt:

„Ihr, Hildegard Leuthold, Tochter des kursächsischen Magisters und Hochschullehrers Franz Engelbert Leuthold, geboren zu Wittenberg am sechzehnten Februarii anno domini sechzehnhundertundeinundsechzig, anjetzo wohnhaft in Glaustädt, seid überführt und habt vor den Schranken des hochverordneten Glaustädter Malefikantengerichts reumütig bekannt, daß Ihr seit etlichen Jahren …“

So weit war er gekommen, als plötzlich vom Walde her eine helldonnernde Salve erkrachte und ihn mitten im Satze verstummen ließ. Noch schien keiner von der zahlreichen Menschenmenge verletzt. Die Schüsse aus den wuchtigen Feldbüchsen, die da von unsichtbarer Hand im Untergehölz abgebrannt wurden, mochten geflissentlich über die Köpfe der Volksmasse hinaus gehen. Trotzdem riefen sie eine gewaltige Wirrnis hervor. Und eh’ sich der Rauch an der Wolfskante verzog, drang eine Schar wohlbewaffneter Männer, teils Flinten im Arm, teils Pistolen im Gürtel, sämtlich aber den blanken Stahl in der Faust, mit unaufhaltsamer Schnelligkeit auf die Blutrichter ein. Der vorderste dieser Anstürmer war Doktor Gustav Ambrosius.

(Fortsetzung folgt.)

Vom Stachel der Fische.
Von Dr. med. Otto Thilo. Mit Abbildungen von Aug. Specht.

„Was will er eigentlich mit seinen Fischen? Will er vielleicht Gräten zählen?“ Diese ewig denkwürdigen Worte richtete Friedrich der Große an den hochverdienten Naturforscher Bloch, als dieser sich an ihn mit der Bitte gewandt hatte, er möge die Fischerei an der Ostsee veranlassen, Bloch bei seinen Untersuchungen der Seefische zu unterstützen.

Heutzutage ist das allerdings anders geworden. Viele Regierungen haben namhafte Summen der Erforschung unserer Gewässer gespendet. Viele Gesellschaften haben mit großen Mitteln für diesen Zweck gearbeitet. Trotzdem ist das allgemeine Interesse am Leben und Bau der Fische noch immer kein sehr großes. Auch mancher unserer Leser denkt vielleicht wie „der alte Fritz“. Das Leben der Fische muß doch eigentlich recht einförmig und langweilig sein. Wenigstens äußerte sich noch vor kurzem ein mir befreundeter Mineralog, als er mich mit der Untersuchung von Fischflossen beschäftigt fand, folgendermaßen:

„Sagen Sie einmal, lieber Doktor, was finden Sie eigentlich an den Fischflossen Bemerkenswertes? Mir scheint es, daß sie alle

Einhorn mit aufgerichtetem, mit zurückgelegtem Stachel. 
Seekröte mit aufgerichteten,   Heringskönig.
mit zurückgelegten Stacheln.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_592.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2021)