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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Günther drehte sich jetzt geschwind zu Frau Wasenius herum, und mit dem Daumen über die Schulter nach Arnolds Stube weisend, sagte er mit besorgter Miene: „Hm? Und der?“

„Also Sie haben es auch gesehen?“ gab sie traurig zurück.

„Aber Mamachen! Und ich in meinem dummen Verstand hatte noch gedacht –“

„Aber, lieber Günther, dazu hätten sie dann doch beide einverstanden gewesen sein müssen.“

„Na eben,“ stieß er heraus. „Und daß ich mich in diese Idee so verrannt hatte, das hat mich ja so erschreckt bei der ersten Nachricht. Der arme Kerl dauert mich schmählich. Wie nimmt er’s denn?“

„Musterhaft. Ich habe den größten Respekt vor seiner Haltung. Als anständiger Mensch darf er ja auch bei Hanna nicht die leiseste Ahnung aufkommen lassen. Es würde sie ja schrecklich betrüben und um die Harmlosigkeit des Verkehrs wäre es geschehen. Still! Sie kommt. Bewundern Sie doch diese schöne seidene Decke, die mein Schwiegersohn mir geschenkt hat. Günther that, wie ihm befohlen war. „Leonhardt?“ sagte er dann. „Quarta? Den hab’ ich ja auch in meiner Gesangsklasse. Ein Goldkern und musikalisch! Wenn Rettenbacher so zufrieden mit ihm ist wie ich, kann er lachen. Da klingelt es. Es ist gewiß der Bub'. Ich kann mir denken, daß Rettenbacher Freude an ihm hat. Das ist so ein Feld für seine Gaben. Wirklich ein köstlicher Schlingel! Und dabei keine Spur von Musterknabenhaftigkeit. Er tobt in den Pausen, haut sich herum, zerreißt seine Sachen wie jeder Taugenichts. Neulich sah ich ihn davonrennen mit einem Dreiangel über den ganzen Hosenboden. Solche Kerle mit Feuer und Blut im Leibe müßte man mehr haben, dann fleckte es besser! Uebrigens hat Rettenbacher das Zeug dazu, alles, was drin ist in der Bande, herauszuholen. Den kennt man erst ganz, wenn man ihn hat unterrichten sehen. Ich hab’ neulich bei ihm hospitiert. Ein Vergnügen, sag’ ich Ihnen! So hören Sie ihn hier zu Hause nie reden. Mit so viel Klang in der Stimme, so energisch und so warm. Und so scharf, ich meine, so gescheit. Der muß Leben in die dümmste Klasse bringen. Der Direktor weiß aber auch, was er an ihm hat.“

„Wie mich das freut,“ sagte Frau Wasenius. „Wenn nur auch allgemach die drückende Last der Familiensorgen für daheim von ihm weichen möchte. Aber bis die acht Geschwister alle richtig herangewachsen sind – du lieber Gott!“

Schon wieder ging draußen die Glocke. Günther sprang auf.

„Aber jetzt wird’s Ernst.“

„Es wird sogar Ludwig,“ verbesserte die Mutter lächelnd. Seit sie angefangen hatte, froh in die Zukunft zu schauen, that auch ihr sanfter Humor die Augen wieder auf. „Nun können Sie gleich Ihren Knix machen, Güntherchen.“

(Fortsetzung folgt.)

Max Haushofer.
Von Ernst Garleb.

Tief im Herzen jedes Nordgermanen schlummert eine eigenartige Sehnsucht nach dem deutschen Süden. Deshalb ist auch gar manchem norddeutschen Leser der in den bayrischen Voralpen eingebettete Chiemsee nicht nur dem Namen nach bekannt.

Aber nicht jeder, der im brausenden Eilzug von dem bayrischen Isar-Athen, vorüber am Südrand dieses „Bayrischen Meeres“, gen Salzburg gereist, wird wissen, welch’ reicher Schatz an Poesie und Naturschönheit in diesem stillen Erdenwinkel

Max Haushofer.
Nach einer Aufnahme des Ateliers Elvira in München.

ruht, welch’ anmutigen Bund hier auch Kunst und Geschichte miteinander geschlossen haben. Dort im Westen grüßt uns auf der Herreninsel des unglücklichen Bayernkönigs märchenhaftes Zauberschloß, weiter östlich lugt auf der Fraueninsel hinter Linden empor das von dem sagenreichen Hauch eines Jahrtausends umwobene Nonnenkloster, dessen Gründer einst Kaiser Karl der Große gewesen sein soll – ein Bild stillen Friedens. Jene Fraueninsel war eines der ersten Gebiete welche in den dreißiger und vierziger Jahren von den Münchner Landschaftsmalern allmählich im Gebirge entdeckt wurden. In dem bescheidenen aber gemütlichen Dumbserschen Wirtshaus fand sich allsommerlich ein Kreis von Wiener und Münchner Malern zusammen, unter den letzteren der Landschafter Haushofer, welcher sogar eine der anmutigen Haustöchter als Gattin heimführte. Dieser Ehe entstammten zwei Söhne; der im Januar 1895 leider bereits verstorbene Münchner Professor der Mineralogie Karl Haushofer und der 1840 geborene, jetzige Münchner Professor der Nationalökonomie und Statistik Max Haushofer, der als Dichter wie als Schilderer der Schönheiten seiner Heimat den Lesern der „Gartenlaube“ längst eine vertraute Gestalt ist. Das Maleratelier des Vaters übte einen nicht minder großen Einfluß auf den künstlerisch hochbegabten Knaben aus als die Ferienzeiten draußen auf der geliebten Fraueninsel, wo der junge Felix Dahn als Spiel- und Abenteuergenosse alles mitmachte, was die beiden Haushofer zu Wasser und zu Lande trieben. Den heranwachsenden Jünglingen aber weckte bald der stille Zauber dieser Chiemgau-Landschaft den Trieb zum künstlerischen Schauen, welcher für Max Haushofers Werke allezeit bestimmend blieb, obgleich er selbst sich zunächst nicht der Kunst, sondern der Wissenschaft zuwandte.

Nach vollendeten Studien habilitierte er sich 1867 als Privatdocent der Rechts- und Staatswissenschaft und erhielt ein Jahr später an der damals gerade gegründeten Technischen Hochschule Münchens die Professur der Nationalökonomie. Nun hieß es also, die bisher im stillen gepflegte Poesie einstweilen zur Seite stellen, um mit voller Kraft in die Leistungen einzutreten, welche Hochschule und Wissenschaft von ihren Vertretern fordern. Eine Anzahl streng nationalökonomischer Werke über Eisenbahnen, Weltverkehr, Handelsgeschichte, Industrie, Kredit- und Erwerbsverhältnisse u.a.m. stellte Max Haushofers Namen bald in die erste Reihe der Fachgelehrten. Was sie aber vor anderen auszeichnet, das ist die lebendige Anschaulichkeit, der große freie Blick, der nirgends über den praktischen Tagesfragen die ethischen Bedürfnisse der Gesellschaft vergißt, und eine künstlerische Gestaltungskraft, welche auch den scheinbar trockenen Stoff anziehend zu machen versteht. Ganz besonders aber leuchten diese Fähigkeiten aus den populären Vorträgen, welche Haushofer, der geborene Redner, seit Jahrzehnten gelegentlich vor dem großen Publikum hält. An solchen Abenden ist der Chemische, ehemals Liebig’sche Hörsaal, das ständige Lokal wissenschaftlicher Vortragsreihen, gedrängt voll, denn jeder weiß, daß ihm eine Stunde des reinsten Genusses bevorsteht, sobald Haushofer an das Pult tritt, um irgend ein Thema der modernen Gesellschaft und Kultur zu behandeln. Der Historiker weist an der Hand der Jahrhunderte vieles als „menschlich“ nach, was heute von Beschränktheit und Geschäftsneid in schlimmem Sinn „modern“ genannt wird, er forscht aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_584.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2021)