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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

mitklangen – „am Ende lernt sie auch noch wieder gehen! Mein Einziges! Und da soll ich nicht froh sein. Nicht dankbar? Das alles ermöglicht er mir! Aus lauter Liebe! unglaublich, aber wahr! Er erzählt mir alle Tage auf’s neue diese wunderbare Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick. Solche Dinge kommen doch eigentlich nur in den dummen Romanen vor. Aber es ist gewiß nicht nur diese thörichte Vernarrtheit. Er ist wirklich ein guter Mensch.

„Dafür leg’ ich meine beiden Hände ins Feuer,“ warf Frau Wasenius ein.

„Mein Mutterchen hat er ganz und gar gewonnen,“ sagte Hanna lächelnd. „Die schwört auf ihn. Muß ich da nicht auch? Ich sehe ja auch jeden Tag mehr ein, daß ich alle Ursache habe, glücklich zu sein.“

„Gott, mir fällt ein Centnerstein vom Herzen,“ rief Günther seelenfroh. „Sie dürfen mir’s nicht übelnehmen, Hannichen, daß ich so verblüfft in die Stube kam. Ihre Nachricht war so lakonisch, so ernsthaft: ,Lieber Günther, ich habe mich mit Herrn Thomas verlobt.' Punktum. Darüber konnt’ ich mich doch unmöglich gleich freuen. Aber nun bitt’ ich mir auch verschiedene Einzelheiten aus. Ad eins: Wann ist die Hochzeit?“

„Am dritten Juli.“

„So bald schon?“

„Das sollte Ludwig hören,“ sagte Frau Wasenius heiter. „Wenn es nach ihm ginge, dürften wir nicht einmal bis Pfingsten warten. Ich will aber Freund Rettenbacher erst sicher in seiner neuen Behausung wissen. Er zieht am ersten Juli in den zweiten Stock hinunter. Es trifft sich prächtig, daß die Leute gerade ein leeres Zimmer vermieten wollen. Nun nimmt er seine ganze Einrichtung von hier oben mit. Da nun Bertha mit uns geht, bliebe er bis dahin hier mutterseelenallein. Das will ich unter keinen Umständen. Natürlich ist er ohne Ahnung, daß um seinetwillen gewartet wird, darf es auch nicht wissen, sonst ginge er in seinem Stolz und seiner peinlichen Rücksichtnahme sofort bei Nacht und Nebel seiner Wege.

Günther öffnete schon den Mund. Zur rechten Zeit aber fiel ihm seine ungeschickte Frage von vorhin wieder ein und so schwieg er wohlweislich.

„Das war ad eins,“ sagte Hanna. „Was wollen Sie noch wissen?“

„Ja. Bei dieser aberwitzigen Fixigkeit – jetzt haben wir erstes Drittel Juni – wie wollen Sie da mit Aussteuer und all dem Kram fertig werden?“

„Gar nicht,“ antwortete Hanna errötend. „Das ist ein Punkt, über den wir nicht sofort einig waren. Ich habe nichts, lieber Günther, das heißt, ich bin ein ganz bettelarmes Mädel, kann mir keine Aussteuer kaufen. Thomas – Ludwig – nimmt mich, wie ich bin. Muß mich so nehmen. Er wollte mir die Ausstattung schenken, will sagen, ich sollte sie mir auf seine Kosten bestellen. Aber das wollte ich nicht. Das wäre mir wie eine Unwahrheit erschienen. Mit den paar Dingen, die ich habe, muß er mich heiraten. Erst von dem Augenblick an, wo ich seine Ehefrau bin, nehme ich solcherlei Geschenke von ihm an. Meiner Mutter darf er bringen, was ihn freut! Mir nichts als den Ring da zur Verlobung – sie zeigte ihn, mit seinen schimmernden Diamanten – und viele Blumen, und Naschwerk meinetwegen – was ja freilich ein ganz neues, komisches Vergnügen für mich ist.

Günther betrachtete sie zärtlich.

„Hat Rasse, unser Hannichen, hat Kern, gefällt mir. Ja sieht denn der Herr Thomas das ein?“

„Er muß wohl. Anders thu’ ich’s nicht. Er sagt, nachher würde er sich für die Entbehrung schadlos halten; das sollte ich sehen. Und mit einem verlegenen Lächeln fügte sie hinzu: „Ich werde nämlich eine gräßlich reiche Frau, Güntherchen.“

„Famos,“ rief er, „so muß es kommen. Ihnen gönn’ ich’s! Donnerwetter! Gehen Sie denn auch nachher noch mit so einem armen, ruppigen Musikanten um?“

„Schwerlich. Besonders, wenn er dumme Fragen stellt.“

„Gut, fein, Hannichen! Ich bin ja so vergnügt! Also schwer reich. Schönes Haus, was?“

„Herrlich. Sie sollten nur Mutters Zimmer sehen. Ich bin ihm wirklich sehr dankbar dafür, wie hübsch er das alles für sie herrichtet! Ein schönes, großes Haus, ja. Eigentlich viel zu groß. Ich weiß auch noch gar nicht, wie ich mich mit den vielen Dienstboten zurechtfinden werde. Für so ein paar Leute. Eigentlich ein Unsinn.“

„Na, Sie werden’s schon machen. Ich glaube, dergleichen lernt sich leicht.“

„Sagen Sie das nicht! Zum Reichsein gehört auch Talent.“

„Das ist richtig. Manchem steht’s seiner Lebtage scheußlich. Mancher ist dazu geboren. Aber Sie, Hannichen wissen Sie, so gut wie Sie gelernt haben, als Kirchenmäuschen herumzuknuppern – ich hab’ Sie stets bewundert, wie haben Sie’s nur manchmal gemacht?“

„Reden wir davon doch jetzt nicht,“ wehrte Hanna, wehmütig lächelnd.

„Na ja, was ich sagen wollte. Mit der Knusperei! richtig. Ebensogut, glaube ich, werden Sie’s anders herum fertig bringen.“

„Sie meinen mit Grazie ausgeben?“

„Hm, meine ich.“

„Wenn ich aber nun hart werde?“

„Keine Gefahr. Bei Ihnen darf man’s drauf ankommen lassen, ohne Probe. Ja, und dann – ad drei. Um doch mit meinem Fragezettel fortzufahren. Ist über die Trauung schon alles beschlossen? In der Kirche doch hoffentlich?“

„Gewiß,“ antwortete Hanna rasch, mit einem plötzlichen Erröten. „Ganz gewiß.“

„Das ist famos. Wir singen, ja?“ Das Mädchen nickte nur heftig, die Lippen fest geschlossen. Erst nach einer kleinen Pause sagte sie gepreßt: „Darf ich mir eins aussuchen?“

„Aber selbstredend. Was möchten Sie denn? Zum Eingang?“

„Das Engelterzett aus dem ,Elias', ja?“

„Gut, soll geschehen! Und dann? Zum Schluß? „Das bestimmen Sie. Es wird alles recht sein. Nur um das eine hätt’ ich gebeten!“

„Abgemacht! Gott, wie wird mir zu Mute sein, da oben auf meinem Schemel, zum erstenmal ohne meine liebe kleine Singdrossel! Und die sitzt da unten in der Kirche und hört zu. Schneeweiße Braut. Wird das rauschen mit der langen Seidenschleppe!“

„Freuen Sie sich darauf nicht,“ unterbrach Hanna, ihre beklommene Stimmung durch ein rasches Lächeln aufheiternd. „Es wird nicht rauschen, denn es wird keine Seide sein, nur Mull. Es giebt so weichen, indischen. Von dem Erlös meiner letzten Arbeiten kaufe ich mir das Kleid.

Günther nickte erst ihr, dann der Mutter zu, die in stiller Behaglichkeit dem Gespräch folgte, ohne sich zu beteiligen.

„Gefällt mir wieder riesig,“ sagte Günther dann, „daß Sie das so machen. Stimmt alles zusammen. Na, ich renne weg. Sie werden zu thun haben. Müssen Sie nicht noch viele Besuche machen? Ist die Familie sehr groß?

„Gar nicht. Er hat nur eine Schwester, und die ist in Breslau verheiratet. Seine Eltern leben schon lange nicht mehr. Von ihnen hat er das große Haus geerbt. Nein, Besuche machen wir jetzt überhaupt nicht. Das kommt alles erst nach der Vermählung. Ich kann doch Mutter nicht so viel allein lassen. Dazu ist sie noch lange nicht wohl genug. Ludwig sieht das auch ein, ich bin ihm sehr dankbar für diese Rücksichtnahme. Draußen ging die Thürglocke. „Hui, ich drücke mich, der Bräutigam kommt!“

„O nein, der kann es noch gar nicht sein.“ Sie sah nach der Uhr. „Es ist Rettenbacher, sagte sie dann aufstehend. „Ich will Bertha sagen, daß sie ihm seinen Kaffee bringt.“

„Wieso? Trinkt er denn nicht mehr mit Ihnen zusammen?“

„Seit kurzem nicht mehr,“ antwortete Hanna mit etwas gepreßter Stimme. „Seine Privatstunden häufen sich, er hat keine übrige Zeit mehr, nur hier herumzusitzen; trinkt so nebenher. Gleich wird der kleine Leonhardt zur Lateinstunde kommen. Sein Liebling.

Sie hatte hastig gesprochen und mit abgewandtem Gesicht. An der Thür stehen bleibend, hatte sie gewartet, bis sich Rettenbachers Schritte in seinem Zimmer verloren hatten. Dann erst ging sie hinaus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_583.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)