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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

nun sei ja alles schön und gut. In den ersten Tagen des Juli solle die Hochzeit sein. Herr Thomas habe es zwar furchtbar eilig und wolle so lange nicht warten. Aber die Frau habe gesagt. Nein, wegen Doktor Rettenbacher, der müsse erst in Ruhe umziehen, sie setzen ihn nicht vor die Thüre! Wenn auch Herr Thomas so was von „oller Schulmeister“ gebrummelt habe. Dem Herrn Doktor werde das übrigens noch eklig genug vorkommen, nun wieder bei ganz anderen Leuten! Er habe es doch sehr gut gehabt bei ihrer Frau. Sie für ihr Teil habe sich manchmal so ihre Gedanken gemacht. Wenn der Herr Doktor man ein bißchen flotter bei Gelde gewesen wäre – der und Fräulein Hannichen, das hätte doch ein zu nettes Paar abgegeben. Aber so war’s freilich viel besser. Und sie gehe auch mit, ganz besonders für die Aufwartung bei Frau Doktor, Fräulein habe es schon für sicher mit ihr ausgemacht. Und gestern sei sie in der Villa gewesen. Nein, diese Pracht! Nein, himmlisch! Vorn der Tiergarten und hinten ’raus ein mächtiger Park. Und Stuben! Säle! Der reine Zucker. Die Frau Doktor, die kriegte es gut. Parterre nach dem Garten zu ein Schlafzimmer und ein Salon. Und die große Terrasse gerade davor! Sie könnte reineweg aus dem Bett ’raus ins Freie. Und dann ein paar Stufen und im Park war sie. Mit dem schönen Krankenstuhl konnte man ganz gut, sachteken, die drei flachen Stufen ’runter kommen. Na, da würde sie aufleben! Sie gönnte es ihr. Gut war sie. Und Fräuleinchen auch. Und gleich am zweiten Tag nach der Verlobung war der Hausarzt von Herrn Thomas dagewesen und noch ein Doktor, ein Geheimrat. Die hatten eine großmächtige Untersuchung vorgenommen. Und Fräulein Hanna war ’rausgeschickt worden und hatte die ganze Zeit über in der Küche gesessen, kreideweiß im Gesicht und die Hände gefaltet, und immer auf die Thür gesehen, über den Vorplatz weg. Und wie die Herren ’rauskamen, aufgesprungen und hingestürzt! Und der Herr Sanitätsrat, was der Hausarzt war, hatte sie über den Kopf gestreichelt und etwas gesagt, aber sie, die Bertha, habe es nicht ordentlich verstehen können. Bloß, wie Fräulein dann so einen Ton ausgestoßen habe, so was wie Lachen und Weinen zusammen, und dem alten Herrn die Hand geküßt habe und dann zur Frau ’reingestürzt sei und vor sie hin auf die Kniee und sie umgefaßt und immer geschluchzt. „Siehst du, Mutter, siehst du wohl! O, wie glücklich bin ich!“ – daran habe sie gemerkt, daß es was Gutes gewesen sei mit dem Bescheid von der Untersuchung. Und nachher habe Fräulein auch zu ihr gesagt. Alles wird gut, Bertha. Gute Pflege, gute Luft, Ruhe, keine Sorgen. Alles wird gut!

Frau Giesecke klatschte natürlich nie mit ihren Leuten. Aber da sie gerade in die Küche gekommen war, als Waseniussens Bertha den Kopf zur Thür hereingesteckt hatte, und da sie gerade in der Speisekammer allerlei zu ordnen gehabt hatte und auf diese Weise den ganzen „Tratsch“ mit hatte anhören müssen, so trieb sie ihre Teilnahme für Fräulein Hanna, das Mädchen zu fragen, wie denn die Brautleute miteinander umgingen.

„O, sehr nett,“ gab die dumme Person zur Antwort. Herr Thomas sei rein weg vor Verliebtheit und Fräulein Hanna werde auch alle Tage vergnügter.

Frau Giesecke hatte doch lächeln müssen. Vergnügt! – Kunststück. – Wenn man so eine Partie mache. Die Sorte kenne man! Durchsichtige Sache. Und das mit dem verhungerten Lehrer – na ja. Was der Herr Doktor denn für ein Gesicht zu der Verlobung gemacht habe?

Gar keins. An dem Verlobungsabend sei er gerade nicht zu Hause gewesen und erstaunt habe er am anderen Tage auch nicht ausgesehen. Sie seien alle ganz so miteinander umgegangen wie gewöhnlich. Viel reden thäte der Doktor Rettenbacher ja überhaupt nicht.

Na ja, ihr könne es so recht sein, hatte Frau Giesecke gesagt, sie wolle ja nicht gleich das Schlimmste denken. Damit war sie aus der Küche und Bertha war ihrer Wege gegangen, ein bißchen verblüfft über den Floh, den ihr die lange, dünne Dame ins Ohr gesetzt hatte. Sie nahm sich vor, aufzupassen, und horchte und spähte von ihrer offenen Küchenthür aus nach Leibeskräften. Leider vergeblich! Aus der Stille in Rettenbachers Stube erlauschte sie nichts und aus den Gesprächen zwischen Mutter und Tochter, die sich immer um Hauseinrichtungen und solche Sachen drehten, war ebensowenig zu entnehmen. Auch Thomas, der mit wenigen Ausnahmen jetzt täglich erschien, manchmal nur auf einen Sprung, häufig zum Abendessen, gab ihr keinerlei Grund zu Besorgnissen. Es wurde wirklich alles gut.

Ja, so sah es aus.

Heinrich Günther wenigstens hätte darauf geschworen. Als er auf die Nachricht von der Verlobung, viel mehr überrascht als erfreut, „mit verhängtem Zügel“ angestürzt kam, fand er die beiden Frauen allein. Das war ihm gerade recht. Denn der Herr Thomas lief ihm nicht weg, und zuerst drängte es ihn, seinen lieben Singvogel ohne bräutigamliche Kontrolle zu sehen und zu sprechen.

„Nun sagen Sie ’mal, um alles in der Welt, Fräulein Hannichen – –“

Mit seinen glänzenden, lebhaften Braunaugen musterte er eindringlich das Mädchen, das ihm ein übers andere Mal befangen lächelnd zunickte.

„Es ist wahr, Güntherchen, es ist wirklich wahr.“

„Ich glaub’s ja,“ sagte er, „hab’ ja Ihre Anzeige gelesen. Aber – ich bin noch vollständig perplex, ich kann mich noch gar nicht in der Geschichte zurechtfinden. Ganz, aber ganz was anderes hatte ich mir im stillen auskalkuliert.

Möglichst ungeschickt – Diplomatie gehörte zu Güntherchens allerschwächsten Seiten – fuhr er dann noch heraus. „Was sagt denn Er dazu?“ mit einer Kopf- und Schulterbewegung zum Nebenzimmer.

Hanna war leicht zusammengefahren, unter einem verwunderten Stirnrunzeln verbarg sie, so gut es ging, ihren Schreck.

„Wieso ,sagt'?“ wiederholte sie gedehnt, fragend. „Er freut sich natürlich.“

„Na ja,“ gab er schnell zur Antwort, übers ganze Gesicht rot werdend, die regelmäßige Folge seiner Verlegenheit, wenn er einer dieser nicht mehr einzufangenden Uebereilungen nachschaute. „Das versteht sich ja. Ich meine nur – ach, Donnerwetter – was ich fragen wollte: ist es denn ein guter Mann, Ihr Thomas? Ich kenn’ ihn ja so gut wie gar nicht. Einmal auf der Treppe an ihm vorbeigerannt.“

An Hannas Lächeln, an der Art, wie sie einen Augenblick die Zähne auf die Unterlippe setzte, erkannte er seine neue „Klotzigkeit“ und verlor nun ganz die Fassung. „Seien Sie gut, Hannichen, ich weiß, ich weiß, ich rede heute Dummheiten, wenn ich den Mund aufthue – aber der Kopf ist mir eben von der Geschichte ganz verdreht. Und mir steht das Herz bis dahin vor lauter Sorge um Sie – na, Dingsda, Sorge wollte ich ja wieder nicht sagen! Also einerlei –“

„Lassen Sie’s gut sein, altes Güntherchen,“ sagte Hanna sanft, auf seine Hand klopfend, die die ihre noch immer festhielt. „Entschuldigen Sie sich nicht. Warum sollen meine Freunde denn nicht einmal Sorge um meine Zukunft haben dürfen? Das thut mir ja gut. Das ist ja lieb von Ihnen. Um so schöner, daß ich Sie so herrlich beruhigen kann. Setzen Sie sich vor allen Dingen da her zur Mutter! Sehen Sie die an! Würde die wohl so aussehen, wenn sie sich Sorge machen müßte?“

„Wahrhaftig,“ sagte Günther sehr erleichtert. „Guten Tag, Mamachen. Ich glaube, ich habe Sie vor lauter Aufregung noch gar nicht ordentlich begrüßt. Sie sehen in der That famos aus, ganz anders als neulich. Wenn Ihr Gesicht Hannichens Barometer ist, dann steht es wohl auf Schön Wetter. Wie mich das freut, wie mich das freut! Ich hatte mir – na also –“

„Na also“ – fiel Hanna schnell ein, im Niedersitzen sich ihren Sessel näher rückend, indem sie mit der Gebärde einer Mutter, die dem Kinde etwas recht Schönes erzählen will, die Hände im Schoß übereinander legte. „Also es ist wirklich ein guter Mann, mein Thomas. Mit seiner Hilfe werd’ ich mein Mutterchen wieder gesund kriegen. Denken Sie, die Aerzte haben mir die Versicherung gegeben, daß es sich nur um nervöse Störungen handelt, die bei ruhigem, bequemem, sorgelosem Leben ganz von selbst schwinden werden. Ordentliche Pflege braucht sie, gute, ärztlich geregelte Ernährung, viel Aufenthalt im Freien zum Herbst, wenn sie erst zur Reisefähigkeit herangepäppelt ist, vielleicht ein Aufenthalt irgendwo da unten, im Süden. Gott im Himmel“ – mit einem zitternden Auflachen, in dem Thränen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_582.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)