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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Thomas sie fortwährend mit seinen glänzenden aufmerksamen Augen betrachtete.

„Gut, gut,“ sagte er jetzt. Sein Blick löste sich nur zögernd, wie es schien, von ihr und ging zur Mutter hinüber. „Das ist ein Argument. Dagegen läßt sich nichts sagen. Ueber die sogenannten Gefühle soll man nicht streiten. Ich konnte ja auch nicht wissen, daß dieser Pensionär zugleich ein so naher Freund ist, wie es nach dieser Bestimmung den Anschein hat.“

„Ja, er ist ein treuer und guter Freund,“ erwiderte Frau Wasenius. „Nur die Notwendigkeit dieser neuen Lebenseinrichtung zwingt uns zur Trennung.“ Es war ihr Bedürfnis, ihrer mitleidsvollen Teilnahme für dieses Stiefkind des Glückes in irgend einer Form Ausdruck zu geben.

„Sehr schön.“ Thomas klopfte sacht mit dem ausgezogenen Handschuh auf sein Knie. „Wieder ein Punkt erledigt. Gestatten Sie mir nur noch eine Bemerkung, meine verehrte Frau. Eine Betrachtung. Vielleicht erweisen Sie dem Herrn mit Ihrem großmütigen Geschenk gar keinen Gefallen. Er muß sich jetzt ein leeres Zimmer mieten und hat die Kosten des Umzugs mit seinen Möbeln zu bezahlen, während er bisher nur seine gebacknen Birnen und Pflaumen in die Tasche zu stecken brauchte, um in das neue Quartier zu wandern. Aber dies hat mich ja nicht zu kümmern. Und vielleicht macht es dem Herrn gar nichts aus. Was ist er denn seines Zeichens?

„Lehrer“ – antwortete Frau Wasenius und schwieg dann betroffen. „Das ist mir noch gar nicht eingefallen,“ sagte sie nach einem Weilchen in ziemlicher Beklemmung und mit einem ratlosen Blick auf ihre Tochter.

Hanna, die in den letzten Minuten sehr still geworden war, schaute flüchtig auf. „Laß, Mutterchen, zerbrich dir deswegen jetzt nicht den Kopf! Bis wir uns darüber entscheiden müssen, fließt noch viel Wasser zu Thal. Wir ziehen ja morgen noch nicht aus. Es ist aber – sie holte einmal tiefer Atem – „noch etwas andres, wegen dessen ich Sie nun um Ihren Rat bitten möchte, Herr Thomas. Ihre Freundlichkeit macht mir Mut.“

Sie sah freilich nicht danach aus, als ob sie viel Mut hätte. Das fand Thomas wohl auch.

„Na,“ sagte er lächelnd und sich etwas zu ihr vorneigend, „scheint Ihnen aber doch gewaltig schwer zu werden.“

Hanna schüttelte den Kopf und versuchte auch zu lächeln, sie errötete tief unter dem seltsam eindringlichen Blick, mit dem er sie ansah. „Ich muß mehr Geld verdienen,“ sagte sie dann rasch, mit einem Anlauf. „Vielleicht wissen Sie Mittel und Wege. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.“

Thomas verneigte sich von seinem Platz aus. „Ihr Vertrauen ehrt mich, mein Fräulein. Ich dachte gerade über eine schickliche Redewendung nach, um auf diese Frage loszusteuern; da kommen Sie mir so offenherzig entgegen. Reizend von Ihnen! Es thut mir zwar riesig leid, daß es überhaupt nötig ist, von solchen leidigen Dingen zu reden. Aber was will man machen gegen die verkehrte Weltordnung. Hoffentlich bin ich wenigstens imstande, Ihnen wirklich behilflich zu sein. Aus welchen Quellen flossen denn bisher Ihre Einnahmen?“

„O, von sehr kleinen. Ich habe Handarbeitsunterricht gegeben und habe für Geschäfte gestickt, gehäkelt, gebrannt, geschnitzt, geätzt, Muster gezeichnet. Es ist kein großartiger Erwerb, aber als Zuschuß zu unsern bisherigen Einnahmen konnte es noch genügen. Jetzt – – ich weiß mir keinen Rat. Ich kann ja nichts unternehmen, was mich lange vom Hause fernhält. Und nun gar, wenn wir da draußen wohnen werden! Ich müßte alle geschäftlichen Beziehungen vorher so ordnen können, daß die weite Entfernung nicht ungünstig wirkte, denn ich könnte mich doch nur auf ganz seltene Stadtbesuche einlassen. Aber wie viele Leute werden mir unter diesen Umständen dann noch Beschäftigung geben? Mit dem Handarbeitsunterricht ist es vorderhand ganz aus, wenn wir wegziehen, denn ich darf nur hoffen, aber nicht darauf rechnen, daß es mir gelingt, in dem neuen Wohnort einen neuen Kursus zu gründen.“

Sie schwieg, etwas atemlos, mit leicht zitternden Lippen, die Hände fest im Schoß gefaltet. Die Mutter sah blaß und verstört, mit ihrem ödesten Sorgegesicht seitwärts zum Fenster hinaus. Thomas war auch eine Weile still. Er schien gerührt zu sein, er schüttelte mehrmals den Kopf.

„Gott bewahre!“ sagte er endlich und klopfte mit der Hand auf die Stuhllehne. „Wie fürchterlich dauern Sie mich! Und das Dumme ist, ich kann nicht einmal versprechen, Ihnen behilflich zu sein. Im Augenblick wenigstens bin ich ratlos, wie ich die Geschichte anzupacken hätte. Ich bin ja nur ein ganz gewöhnlicher Thalermensch. Eine Stelle als Buchhalterin könnt’ ich Ihnen zur Not bald genug verschaffen. Ueberhaupt eine Stelle in irgend einem Geschäft. Aber damit ist Ihnen ja nicht gedient. Und mit weiblichen Handarbeiten und solchen Dingen hab’ ich mich nie abgegeben. Aber halt! Da fällt mir ein. Zeichnen! Sprachen Sie nicht von Zeichnen? Das wäre was. Wenn Sie Vögel und Bäume und so Zeugs zum Sticken auf Kissen und Tischtücher zeichnen können, dann werden Sie’s auch fertig bringen, ein Buch zu illustrieren. Ich denke mir’s wenigstens. Wissen Sie was? Geben Sie mir mit, was Sie etwa von vorrätigen Sachen da haben. Ein paar Blätter mit Entwürfen und so was. Ich zeig’s einem Maler, mit dem ich befreundet bin, und der soll uns dann sagen, ob es zu solchem Zweck langt und was zu thun ist, um in so eine Buchgeschichte erst ’mal reinzukommen. Daß Sie dabei bedeutend mehr verdienen, ist todsicher.“

„Ich danke Ihnen,“ sagte Hanna mit herzlichem Lächeln. „Aber ich weiß schon, damit ist es nichts. Meine Zeichenkünste sind sehr gering und meine Leistungen sehr endlich. Für einen Tischläufer und ein Sofakissen reicht es allenfalls aus, jedoch höhere, also künstlerische Ansprüche, darf man an mich nicht stellen. Aber ich danke Ihnen, Sie müssen nicht glauben, daß ich Ihre Freundlichkeit nicht empfände, noch dazu mit Leuten die Sie ja eigentlich gar nicht kennen.

Er wehrte ihr mit beiden Händen, winkte auch der Mutter ab, die sich wieder zu ihm wendete.

„Hören Sie auf!“ rief er. „Machen Sie keine Sachen! Ich hab’ Ihnen ja nichts gethan! Ich sitze da und erkläre Ihnen, daß ich Ihnen nicht helfen kann, und da wollen Sie mir danken. Warten Sie erst ab, ob ich überhaupt irgend was für Sie ausrichte! Erst muß ich mir bei Giesecke meine Sporen verdient haben. Morgen also! Für heute empfehl’ ich mich. Er stand auf, Hanna auch. „Das heißt, ich möchte den Damen einen Vorschlag machen. das Wetter ist famos. Ich komme nach Tisch mit meinem Wagen und hole Sie zum Spazierenfahren ab.“

„Wo denken Sie hin,“ sagte Hanna an Stelle der Mutter, die nur förmlich erschrocken den Kopf schüttelte. „Meine Mutter ist seit fünf Jahren nicht mehr aus der Wohnung gewesen. Sie kann ja die Treppen nicht hinunter, kann überhaupt nicht mehr gehen.“

„Was?“ sagte er ganz entsetzt. Nicht mehr aus dem Hause diese ganze Zeit? Gänzlich lahm? Das ist ja schauderhaft! Ja, mein Gott, was meint denn Ihr Arzt dazu? Das kann doch nicht so weiter gehen!“

„Unser Arzt meint nichts, denn wir behelfen uns ohne Hausarzt,“ antwortete Hanna. „Als meine Mutter damals das Unglück hatte, den schweren Fall zu thun, hat der Doktor, der dazugeholt wurde, gesagt, es sei ihr nicht mehr zu helfen. Seitdem leben wir so hin und bemühen uns, nicht überflüssig viel an das Unabänderliche zu denken.

„Find’ ich gräßlich,“ sagte er. „Find’ ich einfach unmöglich! Sie müssen mir gestatten, daß ich Ihnen meinen Hausarzt herschicke und daß er eine neue Diagnose stellt.“

„Das müssen wir nicht gestatten, Herr Thomas,“ fiel Hanna mit ernstem Gesicht ein. „Wir können keinen Arzt bezahlen, also dürfen wir auch keinen fragen.“

Er wollte etwas erwidern, aber nach einem Blick in Hannas Augen verstummte er.

„Ich wollte Sie nicht kränken,“ sagte er dann freundlich. „Ich bin nur über die Geschichte förmlich konsterniert, sie will mir nicht in den Kopf. Aber daß Sie nicht an die Luft sollen, meine verehrte Frau, dagegen protestier’ ich. Das muß zu machen sein. Wissen Sie was? Ich nehme zwei Dienstmänner, die tragen Sie die Treppe hinunter und setzen Sie unten in den Wagen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_551.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)