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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

ans andere heftete und Sie nach einer Stunde noch bei mir saßen, da am Fenster, und wie dann Hanna nach Hause kam und sich wunderte –“

„Und sich freute,“ fiel das Mädchen ein, „über ihr Mutterchen, das da so aufgeräumt plauderte und alle alten Zeiten ausgekramt hatte –“

„Wissen Sie was, Mamachen,“ unterbrach nun Günther, „ich glaube, es war hauptsächlich die Zunft, die es Ihnen angethan hatte – daß es einer ‚vom Bau’ war. Oder hätten Sie ebensolches Mitleid mit seinem elenden Magistergesicht gehabt, wenn er ein junger Rechtsgelehrter oder sonst was anderes gewesen wäre?“

„Ich weiß nicht,“ sagte Frau Wasenius nach einem herzlichen Blick auf den jungen Mann, der vor sich niedersah, als begänne ihn diese ausführliche Beschäftigung mit seiner Person zu quälen. „Vielleicht. Eine Brücke war es gewiß, das geb’ ich zu. Und das ist wohl auch natürlich. Es hat dann nicht gar lange mehr gedauert, bis unser neuer Kontrakt zustande kam. Und ich glaube, wir sind alle zufrieden damit.“

„Wenigstens ist ihm Mamachens Pflege ganz gut bekommen. Wenn ich denke, wie er vorher aussah. Aber zum Bürgermeister hat er doch wohl kein Talent, scheint mir.“

„Ich glaube,“ warf Hanna so halblaut hin, „das verhindert schon die Sorge für die lieben, lustigen Orgelpfeifen daheim, nicht wahr?“

„Bitte,“ sagte Rettenbacher sich aufrichtend, mit einem fliegenden Lächeln, „wollen wir uns nicht erinnern, daß wir zusammengekommen sind, um Musik zu machen?“ Der Herr Pastor wartet gewiß schon darauf.

„Ja, wenn wir denn wirklich mit Essen fertig sind? Güntherchen, da ist noch ein Löffel voll Salat übrig.“

„Her damit!“ rief der Musiker vergnügt.

Bis aufs letzte Krümchen wurde die Schüssel geleert. Die andern sahen ihm lächelnd zu. Als er fertig war, stand er sofort auf.

„Warten Sie, Mamachen! Bis abgeräumt ist und alle Mann auf Posten sind, spiel’ ich Ihnen den neuen Becker vor, damit Sie doch ’ne Ahnung davon kriegen. Gott, daß Sie den nicht in der Kirche hören können!“

Frau Wasenius antwortete nicht. Aus ihrem schwermütigen Lächeln heraus sah sie erstaunt auf ihre Tochter, die mit dem Zusammenräumen der Teller innehielt und strahlend zu ihr herüberblickte.

In der Kirche hören! Sie sollte ihn in der Kirche hören, den Becker. Wenn erst der herrliche Stuhl da war, in dem sie fahren konnte. Das mußte zu machen sein! Rettenbacher und Günther mußten sie die drei Treppen hinuntertragen, auf ihren verschlungenen Händen. Sie war ja so leicht. Zu leicht. Drunten in den Stuhl hinein und auf die Straße hinaus! In die Luft. In die Frühlingsluft! Zum erstenmal seit fünf Jahren wieder! Und zur Kirche am Samstag abend. Und ihr vorsingen. „Kommet her zu mir!“ Und den Kiel. „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Mit Freuden ernten! Ach, Mutter! Und ihr liebes Gesicht in Freudenthränen!

Ein Viertelstündchen später saß sie still neben Erdmann auf dem Sofa, den Kopf angelehnt, die Hände im Schoß gefaltet.

Arnold Rettenbacher sang, das Gebet aus Mendelssohns „Paulus“. Alles, was die wortarme Befangenheit dieses an Einsamkeit Gewöhnten tagaus tagein verschwieg, das redete jetzt seine klingende Sprache. Alles, was an Hoffnung in ihm lebte, ihm selbst vielleicht nur unklar bewußt, alles, was er zu erbitten hatte ohne Gewähr der Erfüllung, alles, was ihm das Einschlafen schwer machte und seine Träume vergoldete, das sang sich von seiner bedrückten Seele los.

Es blieb sehr still im Zimmer, als der letzte Ton verklungen war. Günther senkte den großen, schwarzen Kopf tief auf seine Hände nieder, die noch auf den Tasten liegen geblieben waren. Er war aber dann doch der erste, der wieder sprach. Mit einer seiner ungestümen Bewegungen schlang er einen Arm um den jungen Mann, der neben ihm stand und mit sehr fernabträumenden Augen in die flackernde Kerzenflamme starrte. „Menschenkind, Menschenkind,“ sagte er halblaut, zärtlich. „Wo singen Sie Einen hin!“ Rettenbacher sah mit der Bewegung eines Erwachenden zu ihm nieder. Auf seinem von der tiefen Bewegung verschönten blassen Gesicht schien eine Flamme zu erlöschen. Er antwortete nicht und sah sich langsam, zögernd nach Hanna um.

Das Mädchen hatte sich noch nicht gerührt. Es schien aber jetzt seinen Blick zu fühlen und richtete sich auf, noch ohne den Mut, nach ihm hinzusehen. Es wandte sich vielmehr zu Erdmann, der mit einem seltsam starren Gesicht geradeaus schaute.

„Nicht wahr, lieber Herr Pastor,“ sagte sie leise und mühsam, mit ganz erdrückter Stimme, „dies ist doch auch Gottesdienst?“

„Auch?“ erwiderte er mit so tiefer Bitterkeit und so rauh, daß Hanna erschrak.

Er sah es, und ehe sie noch in ihrer Bestürzung etwas herausbringen konnte, fuhr er fort, nur zu ihr sprechend, als sei niemand sonst im Zimmer: „Was glauben Sie wohl, mein liebes Kind, was für ein beredter Priester ich geworden wäre, hätte man mir vergönnt, auf meine Weise zu predigen. Man hätte mir meine Geige lassen sollen – damals. Man hätte mir meine Musik lassen sollen. Die war meine Sprache, die war mein Gebet!“

Er atmete tief auf und strich mit der flachen Hand über die gerötete Stirn. „Da hab’ ich jetzt eine sogenannte Unklugheit begangen, sagte er traurig lächelnd, mit einem zögernden Blick auf die erschrockenen vier Gesichter. „Liebe Freunde, vergeßt das! Aber kommt und singt weiter in meiner Kirche! Ich predige dann doch etwas besser. – Und nun – gute Nacht! Heute nichts mehr. Nach diesem heute nichts mehr! Aber bald wieder, ja? – Gute Nacht! Recht gute Nacht!“

(Fortsetzung folgt.)

Das XII. Deutsche Bundesschießen in Nürnberg.
Von Hans Boesch. Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Gar lustig wehten in hellem Sonnenschein auf Nürnbergs malerischen Türmen und spitzen Giebeln bunte Fahnen und Wimpel! Frisches Grün gab den altersgrauen Häusern ein freundliches Aeußeres! Ganz Nürnberg hatte Festschmuck angelegt, gleich einer jugendlichen Braut, die den Erkorenen erwartet, hatte sich die vielbesungene Stadt herausgeputzt, um ebenso würdig ein deutsches Nationalfest zu begehen, wie sie 1861 das große Deutsche Sängerfest gefeiert, an das alle, die daran teilgenommen, heute noch voll inniger Freude denken. Diesmal aber waren es die deutschen Schützen, die aus allen Gauen unseres Vaterlandes, und selbst von jenseit des Oceans sich hier vereinigten, um das XII. Deutsche Bundesschießen in festlicher Weise zu begehen. Schon seit Ende des vergangenen Jahres waren Festausschüsse aller Art thätig, um den Gästen Nürnbergs altbewährte Gastfreundschaft angedeihen lassen zu können, um ihnen den Aufenthalt zu einem recht angenehmen zu gestalten und ihnen Deutschlands Schatzkästlein aufs neue teuer und wert zu machen.

Am Samstag den 3. Juli brachte Zug um Zug, der in Nürnbergs bescheidenem Bahnhofe einlief, fröhliche Festgäste, die sich den frischen Trunk Tucherschen Bieres, der ihnen gereicht wurde, recht gut schmecken ließen. Und nach erfolgter Begrüßung zogen die Schützen, geleitet von dem Empfangsausschuß und einem Musikcorps, in die Stadt zum Rathause, wo ihnen Quartierkarten u.a. zu teil wurden. Beim Eintritt in den altehrwürdigen Waffenplatz des Frauenthores fanden sie denselben reich geschmückt. Die martialischen Landsknechte, die dort ihre Wache ausgetragen, stellten sich in Reih’ und Glied, weidlich schwang der Fähnrich sein Panier mit dem alten deutschen Reichsadler und der Donner der Geschütze auf dem Walle rief den Gästen lauten Willkommsgruß zu.

Die Schützen hatten Glück: Gewitterregen, die nachts heruntergegangen, milderten die tropische Hitze, und bei bedecktem Himmel und angefrischter Temperatur fand der Festzug statt. Schon in früher Morgenstunde herrschte in allen Straßen der Stadt das regste Leben. Außen auf der Ringstraße nahm der Festzug Aufstellung, um sodann durch die Ehrenpforte am früheren Läuferthor in die alte Stadt einzutreten. Infolge der freundlichen Begrüßung von seiten der Bevölkerung Nürnbergs gestaltete sich der Marsch durch die Stadt zu einem wahren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_524.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2016)